Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

nung ausgefertigten und legalisirten Papiere befanden sich in seinem Besitze. Außerdem verschaffte er sich die dringendsten Empfehlungen an den Staatskanzler, Fürsten von Metternich, an den Palatinus von Ungarn, an den Finanzminister und andre hohe Beamte. Trotzdem konnte er nicht das allermindeste ausrichten.

Einen Civilproceß bei der ungarischen Staatskanzlei in Wien anstrengen, das hieß, wie man ihm allgemein versicherte, die Sache bis an den jüngsten Tag verschieben. Er ging also nach Ungarn, um zu sehn, ob sich an Ort und Stelle etwas ausrichten lasse. Als er von seinem Erbrechte sprach und die Rechtstitel seiner Besitzungen vorlegte, hielt man ihm die "Aviticität" entgegen, einen Gebrauch, der wahrscheinlich in keinem andern Lande als in Ungarn existirt. Sobald der Eigenthümer eines Schlosses oder einer andern Besitzung ohne direkte Leibeserben stirbt, so eilt der am nächsten wohnende oder der zuerst benachrichtigte Verwandte mit seiner ganzen berittenen und wohlbewaffneten Mannschaft herbei, setzt sich mit Gewalt in den Besitz des Schlosses, und empfängt mit Flintenschüssen die später anlangenden Prätendenten. Da nun die Bechererschen "Realitäten" (so nennt man in Oestreich jeden Grundbesitz) durch die Aviticität bereits in die zweite Hand übergegangen waren, so ließ sich für die Erwerbung derselben gar nichts hoffen.

Aber wie stand es mit den Kapitalien? Man sagte dem Erben, sie seien "in die Skala gefallen" und gänzlich verloren. Dieser Ausdruck erforderte auch eine Erklärung. Als bei dem großen östreichischen Staatsbankerot im Jahre 1811 der Werth des Geldes auf eine unerhörte Weise herabgesetzt ward, ersann man für die hypothecirten und

nung ausgefertigten und legalisirten Papiere befanden sich in seinem Besitze. Außerdem verschaffte er sich die dringendsten Empfehlungen an den Staatskanzler, Fürsten von Metternich, an den Palatinus von Ungarn, an den Finanzminister und andre hohe Beamte. Trotzdem konnte er nicht das allermindeste ausrichten.

Einen Civilproceß bei der ungarischen Staatskanzlei in Wien anstrengen, das hieß, wie man ihm allgemein versicherte, die Sache bis an den jüngsten Tag verschieben. Er ging also nach Ungarn, um zu sehn, ob sich an Ort und Stelle etwas ausrichten lasse. Als er von seinem Erbrechte sprach und die Rechtstitel seiner Besitzungen vorlegte, hielt man ihm die „Aviticität“ entgegen, einen Gebrauch, der wahrscheinlich in keinem andern Lande als in Ungarn existirt. Sobald der Eigenthümer eines Schlosses oder einer andern Besitzung ohne direkte Leibeserben stirbt, so eilt der am nächsten wohnende oder der zuerst benachrichtigte Verwandte mit seiner ganzen berittenen und wohlbewaffneten Mannschaft herbei, setzt sich mit Gewalt in den Besitz des Schlosses, und empfängt mit Flintenschüssen die später anlangenden Prätendenten. Da nun die Bechererschen „Realitäten“ (so nennt man in Oestreich jeden Grundbesitz) durch die Aviticität bereits in die zweite Hand übergegangen waren, so ließ sich für die Erwerbung derselben gar nichts hoffen.

Aber wie stand es mit den Kapitalien? Man sagte dem Erben, sie seien „in die Skala gefallen“ und gänzlich verloren. Dieser Ausdruck erforderte auch eine Erklärung. Als bei dem großen östreichischen Staatsbankerot im Jahre 1811 der Werth des Geldes auf eine unerhörte Weise herabgesetzt ward, ersann man für die hypothecirten und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0412" n="404"/>
nung ausgefertigten und legalisirten Papiere befanden sich in seinem Besitze. Außerdem verschaffte er sich die dringendsten Empfehlungen an den Staatskanzler, Fürsten von Metternich, an den Palatinus von Ungarn, an den Finanzminister und andre hohe Beamte. Trotzdem konnte er nicht das allermindeste ausrichten. </p><lb/>
        <p>Einen Civilproceß bei der ungarischen Staatskanzlei in Wien anstrengen, das hieß, wie man ihm allgemein versicherte, die Sache bis an den jüngsten Tag verschieben. Er ging also nach Ungarn, um zu sehn, ob sich an Ort und Stelle etwas ausrichten lasse. Als er von seinem Erbrechte sprach und die Rechtstitel seiner Besitzungen vorlegte, hielt man ihm die &#x201E;Aviticität&#x201C; entgegen, einen Gebrauch, der wahrscheinlich in keinem andern Lande als in Ungarn existirt. Sobald der Eigenthümer eines Schlosses oder einer andern Besitzung ohne direkte Leibeserben stirbt, so eilt der am nächsten wohnende oder der zuerst benachrichtigte Verwandte mit seiner ganzen berittenen und wohlbewaffneten Mannschaft herbei, setzt sich mit Gewalt in den Besitz des Schlosses, und empfängt mit Flintenschüssen die später anlangenden Prätendenten. Da nun die Bechererschen &#x201E;Realitäten&#x201C; (so nennt man in Oestreich jeden Grundbesitz) durch die Aviticität bereits in die zweite Hand übergegangen waren, so ließ sich für die Erwerbung derselben gar nichts hoffen. </p><lb/>
        <p>Aber wie stand es mit den Kapitalien? Man sagte dem Erben, sie seien &#x201E;in die Skala gefallen&#x201C; und gänzlich verloren. Dieser Ausdruck erforderte auch eine Erklärung. Als bei dem großen östreichischen Staatsbankerot im Jahre 1811 der Werth des Geldes auf eine unerhörte Weise herabgesetzt ward, ersann man für die hypothecirten und
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[404/0412] nung ausgefertigten und legalisirten Papiere befanden sich in seinem Besitze. Außerdem verschaffte er sich die dringendsten Empfehlungen an den Staatskanzler, Fürsten von Metternich, an den Palatinus von Ungarn, an den Finanzminister und andre hohe Beamte. Trotzdem konnte er nicht das allermindeste ausrichten. Einen Civilproceß bei der ungarischen Staatskanzlei in Wien anstrengen, das hieß, wie man ihm allgemein versicherte, die Sache bis an den jüngsten Tag verschieben. Er ging also nach Ungarn, um zu sehn, ob sich an Ort und Stelle etwas ausrichten lasse. Als er von seinem Erbrechte sprach und die Rechtstitel seiner Besitzungen vorlegte, hielt man ihm die „Aviticität“ entgegen, einen Gebrauch, der wahrscheinlich in keinem andern Lande als in Ungarn existirt. Sobald der Eigenthümer eines Schlosses oder einer andern Besitzung ohne direkte Leibeserben stirbt, so eilt der am nächsten wohnende oder der zuerst benachrichtigte Verwandte mit seiner ganzen berittenen und wohlbewaffneten Mannschaft herbei, setzt sich mit Gewalt in den Besitz des Schlosses, und empfängt mit Flintenschüssen die später anlangenden Prätendenten. Da nun die Bechererschen „Realitäten“ (so nennt man in Oestreich jeden Grundbesitz) durch die Aviticität bereits in die zweite Hand übergegangen waren, so ließ sich für die Erwerbung derselben gar nichts hoffen. Aber wie stand es mit den Kapitalien? Man sagte dem Erben, sie seien „in die Skala gefallen“ und gänzlich verloren. Dieser Ausdruck erforderte auch eine Erklärung. Als bei dem großen östreichischen Staatsbankerot im Jahre 1811 der Werth des Geldes auf eine unerhörte Weise herabgesetzt ward, ersann man für die hypothecirten und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/412
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/412>, abgerufen am 11.06.2024.