Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

wohl geeignet sei, den Spott der Freigeister, die verhüllte oder ausgesprochene Misbilligung der Denker hervorzurufen; wir waren aber beide darüber einig, daß auf Miltons Gedicht weder Spott noch Tadel Anwendung finden, so fest ruht es auf der innern Ueberzeugung und auf dem erhabenen Sinne des Verfassers.

Wir geriethen dann wieder auf das schwierige Kapitel von Christi Opfertod. Paul blieb dabei, daß 1) die Opferung eines unschuldigen Menschen für andre, nichts anderes sei, als der alte etwas verfeinerte Sündenbock der Hebräer, eine allegorische Ceremonie des krassesten Köhlerglaubens, und daß 2) nach Christi Tode und gerade in seinem Namen eben so viel und noch mehr Sünden begangen seien als vorher, daß also der sogenannte Opfertod ganz vergeblich gewesen sei. Den ersten Satz mochte ich nicht bestreiten, gegen den zweiten führte ich an, welchen immensen Fortschritt schon allein die Abschaffung der Sklaverei beurkunde; ich sprach schließlich meine Ueberzeugung aus, daß das Christenthum eine Heilsanstalt für alle Zeiten und Völker bleiben werde.



Zu den berliner Freunden, welche ich in Heidelberg wiederfand, gehörte Otto von Gerlach. Wir hatten uns seit der Hartungschen Schule nicht wiedergesehn, wo er der dicke Otto hieß. Diesen Namen hätte er immer noch weiter führen können: denn er war zu einem ungemein stattlichen, wohlbeleibten Jünglinge herangewachsen. Er studirte mit vielem Eifer Jurisprudenz und ward als einer der besten Klavierspieler anerkannt. In Thibauts Vereine sang er einen sehr soliden Grundbaß, und wir begegneten

wohl geeignet sei, den Spott der Freigeister, die verhüllte oder ausgesprochene Misbilligung der Denker hervorzurufen; wir waren aber beide darüber einig, daß auf Miltons Gedicht weder Spott noch Tadel Anwendung finden, so fest ruht es auf der innern Ueberzeugung und auf dem erhabenen Sinne des Verfassers.

Wir geriethen dann wieder auf das schwierige Kapitel von Christi Opfertod. Paul blieb dabei, daß 1) die Opferung eines unschuldigen Menschen für andre, nichts anderes sei, als der alte etwas verfeinerte Sündenbock der Hebräer, eine allegorische Ceremonie des krassesten Köhlerglaubens, und daß 2) nach Christi Tode und gerade in seinem Namen eben so viel und noch mehr Sünden begangen seien als vorher, daß also der sogenannte Opfertod ganz vergeblich gewesen sei. Den ersten Satz mochte ich nicht bestreiten, gegen den zweiten führte ich an, welchen immensen Fortschritt schon allein die Abschaffung der Sklaverei beurkunde; ich sprach schließlich meine Ueberzeugung aus, daß das Christenthum eine Heilsanstalt für alle Zeiten und Völker bleiben werde.



Zu den berliner Freunden, welche ich in Heidelberg wiederfand, gehörte Otto von Gerlach. Wir hatten uns seit der Hartungschen Schule nicht wiedergesehn, wo er der dicke Otto hieß. Diesen Namen hätte er immer noch weiter führen können: denn er war zu einem ungemein stattlichen, wohlbeleibten Jünglinge herangewachsen. Er studirte mit vielem Eifer Jurisprudenz und ward als einer der besten Klavierspieler anerkannt. In Thibauts Vereine sang er einen sehr soliden Grundbaß, und wir begegneten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0376" n="368"/>
wohl geeignet sei, den Spott der Freigeister, die verhüllte oder ausgesprochene Misbilligung der Denker hervorzurufen; wir waren aber beide darüber einig, daß auf Miltons Gedicht weder Spott noch Tadel Anwendung finden, so fest ruht es auf der innern Ueberzeugung und auf dem erhabenen Sinne des Verfassers. </p><lb/>
        <p>Wir geriethen dann wieder auf das schwierige Kapitel von Christi Opfertod. Paul blieb dabei, daß 1) die Opferung eines unschuldigen Menschen für andre, nichts anderes sei, als der alte etwas verfeinerte Sündenbock der Hebräer, eine allegorische Ceremonie des krassesten Köhlerglaubens, und daß 2) nach Christi Tode und gerade in seinem Namen eben so viel und noch mehr Sünden begangen seien als vorher, daß also der sogenannte Opfertod ganz vergeblich gewesen sei. Den ersten Satz mochte ich nicht bestreiten, gegen den zweiten führte ich an, welchen immensen Fortschritt schon allein die Abschaffung der Sklaverei beurkunde; ich sprach schließlich meine Ueberzeugung aus, daß das Christenthum eine Heilsanstalt für alle Zeiten und Völker bleiben werde. </p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Zu den berliner Freunden, welche ich in Heidelberg wiederfand, gehörte Otto von Gerlach. Wir hatten uns seit der Hartungschen Schule nicht wiedergesehn, wo er der dicke Otto hieß. Diesen Namen hätte er immer noch weiter führen können: denn er war zu einem ungemein stattlichen, wohlbeleibten Jünglinge herangewachsen. Er studirte mit vielem Eifer Jurisprudenz und ward als einer der besten Klavierspieler anerkannt. In Thibauts Vereine sang er einen sehr soliden Grundbaß, und wir begegneten
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[368/0376] wohl geeignet sei, den Spott der Freigeister, die verhüllte oder ausgesprochene Misbilligung der Denker hervorzurufen; wir waren aber beide darüber einig, daß auf Miltons Gedicht weder Spott noch Tadel Anwendung finden, so fest ruht es auf der innern Ueberzeugung und auf dem erhabenen Sinne des Verfassers. Wir geriethen dann wieder auf das schwierige Kapitel von Christi Opfertod. Paul blieb dabei, daß 1) die Opferung eines unschuldigen Menschen für andre, nichts anderes sei, als der alte etwas verfeinerte Sündenbock der Hebräer, eine allegorische Ceremonie des krassesten Köhlerglaubens, und daß 2) nach Christi Tode und gerade in seinem Namen eben so viel und noch mehr Sünden begangen seien als vorher, daß also der sogenannte Opfertod ganz vergeblich gewesen sei. Den ersten Satz mochte ich nicht bestreiten, gegen den zweiten führte ich an, welchen immensen Fortschritt schon allein die Abschaffung der Sklaverei beurkunde; ich sprach schließlich meine Ueberzeugung aus, daß das Christenthum eine Heilsanstalt für alle Zeiten und Völker bleiben werde. Zu den berliner Freunden, welche ich in Heidelberg wiederfand, gehörte Otto von Gerlach. Wir hatten uns seit der Hartungschen Schule nicht wiedergesehn, wo er der dicke Otto hieß. Diesen Namen hätte er immer noch weiter führen können: denn er war zu einem ungemein stattlichen, wohlbeleibten Jünglinge herangewachsen. Er studirte mit vielem Eifer Jurisprudenz und ward als einer der besten Klavierspieler anerkannt. In Thibauts Vereine sang er einen sehr soliden Grundbaß, und wir begegneten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/376
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/376>, abgerufen am 24.11.2024.