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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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Krieg, Hebe als die Jugendgöttin auch die Jugend; es gebe aber entferntere Anwendungen davon: der Fluß, in dem die Jungfrauen baden, empfange gewissermaßen ihre Erstlinge: so habe es geschehn können, daß ein verwegener Liebhaber als Flußgott die Sache in buchstäbliche Erfüllung gebracht. Dies dürfe aber nicht, bloß als eine Personifikation der Zustände oder Eigenschaften betrachtet werden, sondern dieser Doppelsinn sei allen antiken Mythen immanent, wenngleich nicht immer leicht herauszufinden. Den Glaubenden genügte das stricte Wortverständniß, den Wissenden ward der höhere Sinn in geheimen Weihen aufgeschlossen.

Göthe ging auf diese Erörterungen mit dem regsten Eifer ein, als sie gerade bei dem Gingko biloba still standen; er pflückte ein Blatt und sagte: also ungefähr wie dieses Blatt, eins und doppelt! Creuzer fand den Vergleich sehr glücklich, und erhielt am andern Morgen das Blatt nebst dem beifolgenden Gedicht von Göthe zugesendet:

Gingko biloba.

Dieses Baums Blatt, der von Osten

Unserm Garten anvertraut,

Gibt geheimen Sinn zu kosten,

Wies den Wissenden erbaut.

Ist es ein lebendig Wesen,

Das sich in sich selbst getrennt,

Sind es zwei, die sich erlesen,

Daß man sie als eines kennt?

Krieg, Hebe als die Jugendgöttin auch die Jugend; es gebe aber entferntere Anwendungen davon: der Fluß, in dem die Jungfrauen baden, empfange gewissermaßen ihre Erstlinge: so habe es geschehn können, daß ein verwegener Liebhaber als Flußgott die Sache in buchstäbliche Erfüllung gebracht. Dies dürfe aber nicht, bloß als eine Personifikation der Zustände oder Eigenschaften betrachtet werden, sondern dieser Doppelsinn sei allen antiken Mythen immanent, wenngleich nicht immer leicht herauszufinden. Den Glaubenden genügte das stricte Wortverständniß, den Wissenden ward der höhere Sinn in geheimen Weihen aufgeschlossen.

Göthe ging auf diese Erörterungen mit dem regsten Eifer ein, als sie gerade bei dem Gingko biloba still standen; er pflückte ein Blatt und sagte: also ungefähr wie dieses Blatt, eins und doppelt! Creuzer fand den Vergleich sehr glücklich, und erhielt am andern Morgen das Blatt nebst dem beifolgenden Gedicht von Göthe zugesendet:

Gingko biloba.

Dieses Baums Blatt, der von Osten

Unserm Garten anvertraut,

Gibt geheimen Sinn zu kosten,

Wies den Wissenden erbaut.

Ist es ein lebendig Wesen,

Das sich in sich selbst getrennt,

Sind es zwei, die sich erlesen,

Daß man sie als eines kennt?

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[363/0371] Krieg, Hebe als die Jugendgöttin auch die Jugend; es gebe aber entferntere Anwendungen davon: der Fluß, in dem die Jungfrauen baden, empfange gewissermaßen ihre Erstlinge: so habe es geschehn können, daß ein verwegener Liebhaber als Flußgott die Sache in buchstäbliche Erfüllung gebracht. Dies dürfe aber nicht, bloß als eine Personifikation der Zustände oder Eigenschaften betrachtet werden, sondern dieser Doppelsinn sei allen antiken Mythen immanent, wenngleich nicht immer leicht herauszufinden. Den Glaubenden genügte das stricte Wortverständniß, den Wissenden ward der höhere Sinn in geheimen Weihen aufgeschlossen. Göthe ging auf diese Erörterungen mit dem regsten Eifer ein, als sie gerade bei dem Gingko biloba still standen; er pflückte ein Blatt und sagte: also ungefähr wie dieses Blatt, eins und doppelt! Creuzer fand den Vergleich sehr glücklich, und erhielt am andern Morgen das Blatt nebst dem beifolgenden Gedicht von Göthe zugesendet: Gingko biloba. Dieses Baums Blatt, der von Osten Unserm Garten anvertraut, Gibt geheimen Sinn zu kosten, Wies den Wissenden erbaut. Ist es ein lebendig Wesen, Das sich in sich selbst getrennt, Sind es zwei, die sich erlesen, Daß man sie als eines kennt?

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/371>, abgerufen am 10.06.2024.