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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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sier heraus. Sie waren vor wenigen Tagen angekommen und fanden Platz in unserem Hause. Nun begann mit dem erwachenden Frühlinge ein neues fröhliches Studentenleben. Brassier ward eine Stütze und Zierde des Thibautschen Gesangvereines; er erfreute uns vielfach durch seine reichen musikalischen Improvisationen. Ich versuchte mit ihm dasselbe Verfahren wie mit Fritz Curschmann, legte ihm ein Lied von Göthe oder Schiller vor, er setzte sich ans Klavier, sah den Text an, und dann senkten sich die schönsten Melodien mit angemessener Begleitung, wie vom Himmel in seinen Geist herab. Er komponirte auch für Thibaut ein vierstimmiges Ave Maria, im Karakter der alt-italiänischen strengen Kirchenweisen; mir ward dabei das Geschäft zu Theil, die sauber ausgeschriebenen Chorstimmen an Thibaut zu überreichen.

Fritz blieb der alte herzensgute treue Bruder von unerschöpflicher Heiterkeit und Komik, aber bei Kleinigkeiten leicht empfindlich und alsdann ein wahrer Kribbelkopf. Da ich seinen Karakter kannte, so wurde es mir nicht schwer, jeden Anlaß zu irgend welcher Irrung zu vermeiden, und wir traten bald wieder in das traulichste Jugendverhältniß. Er belegte einige kameralistische Kollegia, und ergötzte uns durch die täuschende Nachahmung der Professoren, aber das Studiren war nun einmal nicht seine Sache. Desto fleißiger besuchte er die Wein- und Bierhäuser mit gleichgesinnten leichtlebigen Genossen. Weil er sehr viel vertragen konnte, so wollte er noch mehr leisten, und wußte nicht immer das rechte Maaß zu halten. Die Folgen der durchzechten Nächte machten sich zuweilen in seinem Zimmer auf eine unerlaubte Art bemerkbar; die ordnungliebenden Wirtsleute ver-

sier heraus. Sie waren vor wenigen Tagen angekommen und fanden Platz in unserem Hause. Nun begann mit dem erwachenden Frühlinge ein neues fröhliches Studentenleben. Brassier ward eine Stütze und Zierde des Thibautschen Gesangvereines; er erfreute uns vielfach durch seine reichen musikalischen Improvisationen. Ich versuchte mit ihm dasselbe Verfahren wie mit Fritz Curschmann, legte ihm ein Lied von Göthe oder Schiller vor, er setzte sich ans Klavier, sah den Text an, und dann senkten sich die schönsten Melodien mit angemessener Begleitung, wie vom Himmel in seinen Geist herab. Er komponirte auch für Thibaut ein vierstimmiges Ave Maria, im Karakter der alt-italiänischen strengen Kirchenweisen; mir ward dabei das Geschäft zu Theil, die sauber ausgeschriebenen Chorstimmen an Thibaut zu überreichen.

Fritz blieb der alte herzensgute treue Bruder von unerschöpflicher Heiterkeit und Komik, aber bei Kleinigkeiten leicht empfindlich und alsdann ein wahrer Kribbelkopf. Da ich seinen Karakter kannte, so wurde es mir nicht schwer, jeden Anlaß zu irgend welcher Irrung zu vermeiden, und wir traten bald wieder in das traulichste Jugendverhältniß. Er belegte einige kameralistische Kollegia, und ergötzte uns durch die täuschende Nachahmung der Professoren, aber das Studiren war nun einmal nicht seine Sache. Desto fleißiger besuchte er die Wein- und Bierhäuser mit gleichgesinnten leichtlebigen Genossen. Weil er sehr viel vertragen konnte, so wollte er noch mehr leisten, und wußte nicht immer das rechte Maaß zu halten. Die Folgen der durchzechten Nächte machten sich zuweilen in seinem Zimmer auf eine unerlaubte Art bemerkbar; die ordnungliebenden Wirtsleute ver-

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[356/0364] sier heraus. Sie waren vor wenigen Tagen angekommen und fanden Platz in unserem Hause. Nun begann mit dem erwachenden Frühlinge ein neues fröhliches Studentenleben. Brassier ward eine Stütze und Zierde des Thibautschen Gesangvereines; er erfreute uns vielfach durch seine reichen musikalischen Improvisationen. Ich versuchte mit ihm dasselbe Verfahren wie mit Fritz Curschmann, legte ihm ein Lied von Göthe oder Schiller vor, er setzte sich ans Klavier, sah den Text an, und dann senkten sich die schönsten Melodien mit angemessener Begleitung, wie vom Himmel in seinen Geist herab. Er komponirte auch für Thibaut ein vierstimmiges Ave Maria, im Karakter der alt-italiänischen strengen Kirchenweisen; mir ward dabei das Geschäft zu Theil, die sauber ausgeschriebenen Chorstimmen an Thibaut zu überreichen. Fritz blieb der alte herzensgute treue Bruder von unerschöpflicher Heiterkeit und Komik, aber bei Kleinigkeiten leicht empfindlich und alsdann ein wahrer Kribbelkopf. Da ich seinen Karakter kannte, so wurde es mir nicht schwer, jeden Anlaß zu irgend welcher Irrung zu vermeiden, und wir traten bald wieder in das traulichste Jugendverhältniß. Er belegte einige kameralistische Kollegia, und ergötzte uns durch die täuschende Nachahmung der Professoren, aber das Studiren war nun einmal nicht seine Sache. Desto fleißiger besuchte er die Wein- und Bierhäuser mit gleichgesinnten leichtlebigen Genossen. Weil er sehr viel vertragen konnte, so wollte er noch mehr leisten, und wußte nicht immer das rechte Maaß zu halten. Die Folgen der durchzechten Nächte machten sich zuweilen in seinem Zimmer auf eine unerlaubte Art bemerkbar; die ordnungliebenden Wirtsleute ver-

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/364>, abgerufen am 11.06.2024.