Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].schweinsledernen Folianten unzertrennlich denkt. Wir hospitirten in einigen Kollegien, von denen das bei Thiersch über Archäologie durch anschauliche Klarheit der Darstellung einen vortheilhaften Eindruck zurückließ. Schon in Heidelberg hatten wir von dem Biergottesdienste gehört, der in Baiern, und vorzüglich in München, mehr als der Marienkultus getrieben werde. Wir fanden den Ausdruck richtig, aber die Sache zum Theil auch gerechtfertigt. München liegt mehr als 1000 Fuß über dem Meere, auf der weiten, kalten, kahlen, allen Winden ausgesetzten bairischen Hochebne. Eine Stärkung gegen die Unbilden der Witterung ist nothwendig, und der Altbaier hat sehr Recht, wenn er diese Stärkung nicht im Wein oder Schnaps, sondern im Biere sucht. Daher die Sorgfalt der Magistrate für die tadellose Bereitung des belebenden Gerstentrankes, daher das Interesse aller Stände an dem Ausfalle der Hopfenerndte, daher die Spannung, mit der man am 1. Mai der Eröffnung des Bockkellers entgegensieht, daher endlich die Eifersucht der großen Brauer, eines Pschorr, eines Speckmayr und der übrigen Heroen untereinander und gegen die mehr offiziellen Kneipen, den Schloß-, Hof- und Franziskanerbräu. Wenn in dem bescheidenen Speisehause, das wir Mittags besuchten, das Gespräch irgend zu stocken begann, so brauchte ein Gast nur des Bieres zu erwähnen, um sogleich die lebhafteste Unterhaltung wach zu rufen. Hier machten wir die Bekanntschaft eines bairischen Staatsbeamten aus dem Finanzministerium, der im Steuerfache arbeitete und uns gesprächsweise folgende Notizen gab. Baiern hatte damals eine Staatschuld von ungefähr 100 Millionen Gulden, deren Zinsen (5 Millionen) lediglich schweinsledernen Folianten unzertrennlich denkt. Wir hospitirten in einigen Kollegien, von denen das bei Thiersch über Archäologie durch anschauliche Klarheit der Darstellung einen vortheilhaften Eindruck zurückließ. Schon in Heidelberg hatten wir von dem Biergottesdienste gehört, der in Baiern, und vorzüglich in München, mehr als der Marienkultus getrieben werde. Wir fanden den Ausdruck richtig, aber die Sache zum Theil auch gerechtfertigt. München liegt mehr als 1000 Fuß über dem Meere, auf der weiten, kalten, kahlen, allen Winden ausgesetzten bairischen Hochebne. Eine Stärkung gegen die Unbilden der Witterung ist nothwendig, und der Altbaier hat sehr Recht, wenn er diese Stärkung nicht im Wein oder Schnaps, sondern im Biere sucht. Daher die Sorgfalt der Magistrate für die tadellose Bereitung des belebenden Gerstentrankes, daher das Interesse aller Stände an dem Ausfalle der Hopfenerndte, daher die Spannung, mit der man am 1. Mai der Eröffnung des Bockkellers entgegensieht, daher endlich die Eifersucht der großen Brauer, eines Pschorr, eines Speckmayr und der übrigen Heroen untereinander und gegen die mehr offiziellen Kneipen, den Schloß-, Hof- und Franziskanerbräu. Wenn in dem bescheidenen Speisehause, das wir Mittags besuchten, das Gespräch irgend zu stocken begann, so brauchte ein Gast nur des Bieres zu erwähnen, um sogleich die lebhafteste Unterhaltung wach zu rufen. Hier machten wir die Bekanntschaft eines bairischen Staatsbeamten aus dem Finanzministerium, der im Steuerfache arbeitete und uns gesprächsweise folgende Notizen gab. Baiern hatte damals eine Staatschuld von ungefähr 100 Millionen Gulden, deren Zinsen (5 Millionen) lediglich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0361" n="353"/> schweinsledernen Folianten unzertrennlich denkt. Wir hospitirten in einigen Kollegien, von denen das bei Thiersch über Archäologie durch anschauliche Klarheit der Darstellung einen vortheilhaften Eindruck zurückließ. </p><lb/> <p>Schon in Heidelberg hatten wir von dem Biergottesdienste gehört, der in Baiern, und vorzüglich in München, mehr als der Marienkultus getrieben werde. Wir fanden den Ausdruck richtig, aber die Sache zum Theil auch gerechtfertigt. München liegt mehr als 1000 Fuß über dem Meere, auf der weiten, kalten, kahlen, allen Winden ausgesetzten bairischen Hochebne. Eine Stärkung gegen die Unbilden der Witterung ist nothwendig, und der Altbaier hat sehr Recht, wenn er diese Stärkung nicht im Wein oder Schnaps, sondern im Biere sucht. Daher die Sorgfalt der Magistrate für die tadellose Bereitung des belebenden Gerstentrankes, daher das Interesse aller Stände an dem Ausfalle der Hopfenerndte, daher die Spannung, mit der man am 1. Mai der Eröffnung des Bockkellers entgegensieht, daher endlich die Eifersucht der großen Brauer, eines Pschorr, eines Speckmayr und der übrigen Heroen untereinander und gegen die mehr offiziellen Kneipen, den Schloß-, Hof- und Franziskanerbräu. Wenn in dem bescheidenen Speisehause, das wir Mittags besuchten, das Gespräch irgend zu stocken begann, so brauchte ein Gast nur des Bieres zu erwähnen, um sogleich die lebhafteste Unterhaltung wach zu rufen. </p><lb/> <p>Hier machten wir die Bekanntschaft eines bairischen Staatsbeamten aus dem Finanzministerium, der im Steuerfache arbeitete und uns gesprächsweise folgende Notizen gab. Baiern hatte damals eine Staatschuld von ungefähr 100 Millionen Gulden, deren Zinsen (5 Millionen) lediglich </p> </div> </body> </text> </TEI> [353/0361]
schweinsledernen Folianten unzertrennlich denkt. Wir hospitirten in einigen Kollegien, von denen das bei Thiersch über Archäologie durch anschauliche Klarheit der Darstellung einen vortheilhaften Eindruck zurückließ.
Schon in Heidelberg hatten wir von dem Biergottesdienste gehört, der in Baiern, und vorzüglich in München, mehr als der Marienkultus getrieben werde. Wir fanden den Ausdruck richtig, aber die Sache zum Theil auch gerechtfertigt. München liegt mehr als 1000 Fuß über dem Meere, auf der weiten, kalten, kahlen, allen Winden ausgesetzten bairischen Hochebne. Eine Stärkung gegen die Unbilden der Witterung ist nothwendig, und der Altbaier hat sehr Recht, wenn er diese Stärkung nicht im Wein oder Schnaps, sondern im Biere sucht. Daher die Sorgfalt der Magistrate für die tadellose Bereitung des belebenden Gerstentrankes, daher das Interesse aller Stände an dem Ausfalle der Hopfenerndte, daher die Spannung, mit der man am 1. Mai der Eröffnung des Bockkellers entgegensieht, daher endlich die Eifersucht der großen Brauer, eines Pschorr, eines Speckmayr und der übrigen Heroen untereinander und gegen die mehr offiziellen Kneipen, den Schloß-, Hof- und Franziskanerbräu. Wenn in dem bescheidenen Speisehause, das wir Mittags besuchten, das Gespräch irgend zu stocken begann, so brauchte ein Gast nur des Bieres zu erwähnen, um sogleich die lebhafteste Unterhaltung wach zu rufen.
Hier machten wir die Bekanntschaft eines bairischen Staatsbeamten aus dem Finanzministerium, der im Steuerfache arbeitete und uns gesprächsweise folgende Notizen gab. Baiern hatte damals eine Staatschuld von ungefähr 100 Millionen Gulden, deren Zinsen (5 Millionen) lediglich
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/361 |
Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/361>, abgerufen am 20.07.2024. |