Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].Das Modell eines stehenden Christus gab Danneckern Veranlassung, sich sehr beredt über die Schwierigkeiten eines Christusbildes auszusprechen; zuletzt sagte er ganz treuherzig: I weiß halt nit, ob ichs getroffen hab'! Später hörte ich von übelwollenden Kritikern den Tadel, seine Ariadne könne nicht sitzen und sein Christus nicht stehn. Wir kamen zu zwei nebeneinander stehenden Pferdeköpfen: der eine gehörte der antiken Broncequadriga vom Dogenpalaste in Venedig, der andre von Lord Elgin dem Parthenon in Athen entführt, stammte unzweifelhaft aus des Phidias Werkstatt. Dies letzte, von der Zeit arg zugerichtete Meisterwerk fand wegen der Grosartigkeit des Styles, Danneckers ganzen Beifall. Er meinte, man höre das Thier wiehern, die edle Race liege auch in den weit vortretenden Augen; es könne sich von hinten vertheidigen. Den Abend verbrachten wir bei Tautphöus in kleiner, aber desto angenehmerer Gesellschaft. Papa besaß die nicht allen Diplomaten gegebene Eigenschaft, ein interessantes Gespräch zu führen, und o Glück! die Kaperin war wieder zugegen. Larosees junges Herz blieb bei ihr zurück, und Tautphöus bei seinen Aeltern. In Stuttgart wurde der Hausknecht von neuem auf die Jagd nach Retourkutschen geschickt, und war so glücklich, eine bis Ulm aufzutreiben. Die Straße berührte anfangs nur gleichgültige Gegenden, aber gegen Abend wurden wir, von einer Höhe herabkommend, durch den Anblick von Ulm überrascht, aus dessen schwarzer Dächermasse das unvollendete Münster wie ein steinerner Berg hervorragte. Ich ließ die andern voranfahren, merkte mir den Namen des Wirtshauses, wo sie absteigen wollten, und kletterte vom Wege seitab auf eine günstige Stelle, um Das Modell eines stehenden Christus gab Danneckern Veranlassung, sich sehr beredt über die Schwierigkeiten eines Christusbildes auszusprechen; zuletzt sagte er ganz treuherzig: I weiß halt nit, ob ichs getroffen hab’! Später hörte ich von übelwollenden Kritikern den Tadel, seine Ariadne könne nicht sitzen und sein Christus nicht stehn. Wir kamen zu zwei nebeneinander stehenden Pferdeköpfen: der eine gehörte der antiken Broncequadriga vom Dogenpalaste in Venedig, der andre von Lord Elgin dem Parthenon in Athen entführt, stammte unzweifelhaft aus des Phidias Werkstatt. Dies letzte, von der Zeit arg zugerichtete Meisterwerk fand wegen der Grosartigkeit des Styles, Danneckers ganzen Beifall. Er meinte, man höre das Thier wiehern, die edle Race liege auch in den weit vortretenden Augen; es könne sich von hinten vertheidigen. Den Abend verbrachten wir bei Tautphöus in kleiner, aber desto angenehmerer Gesellschaft. Papa besaß die nicht allen Diplomaten gegebene Eigenschaft, ein interessantes Gespräch zu führen, und o Glück! die Kaperin war wieder zugegen. Larosees junges Herz blieb bei ihr zurück, und Tautphöus bei seinen Aeltern. In Stuttgart wurde der Hausknecht von neuem auf die Jagd nach Retourkutschen geschickt, und war so glücklich, eine bis Ulm aufzutreiben. Die Straße berührte anfangs nur gleichgültige Gegenden, aber gegen Abend wurden wir, von einer Höhe herabkommend, durch den Anblick von Ulm überrascht, aus dessen schwarzer Dächermasse das unvollendete Münster wie ein steinerner Berg hervorragte. Ich ließ die andern voranfahren, merkte mir den Namen des Wirtshauses, wo sie absteigen wollten, und kletterte vom Wege seitab auf eine günstige Stelle, um <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p> <pb facs="#f0355" n="347"/> </p><lb/> <p>Das Modell eines stehenden Christus gab Danneckern Veranlassung, sich sehr beredt über die Schwierigkeiten eines Christusbildes auszusprechen; zuletzt sagte er ganz treuherzig: I weiß halt nit, ob ichs getroffen hab’! Später hörte ich von übelwollenden Kritikern den Tadel, seine Ariadne könne nicht sitzen und sein Christus nicht stehn. Wir kamen zu zwei nebeneinander stehenden Pferdeköpfen: der eine gehörte der antiken Broncequadriga vom Dogenpalaste in Venedig, der andre von Lord Elgin dem Parthenon in Athen entführt, stammte unzweifelhaft aus des Phidias Werkstatt. Dies letzte, von der Zeit arg zugerichtete Meisterwerk fand wegen der Grosartigkeit des Styles, Danneckers ganzen Beifall. Er meinte, man höre das Thier wiehern, die edle Race liege auch in den weit vortretenden Augen; es könne sich von hinten vertheidigen. </p><lb/> <p>Den Abend verbrachten wir bei Tautphöus in kleiner, aber desto angenehmerer Gesellschaft. Papa besaß die nicht allen Diplomaten gegebene Eigenschaft, ein interessantes Gespräch zu führen, und o Glück! die Kaperin war wieder zugegen. Larosees junges Herz blieb bei ihr zurück, und Tautphöus bei seinen Aeltern. </p><lb/> <p>In Stuttgart wurde der Hausknecht von neuem auf die Jagd nach Retourkutschen geschickt, und war so glücklich, eine bis Ulm aufzutreiben. Die Straße berührte anfangs nur gleichgültige Gegenden, aber gegen Abend wurden wir, von einer Höhe herabkommend, durch den Anblick von Ulm überrascht, aus dessen schwarzer Dächermasse das unvollendete Münster wie ein steinerner Berg hervorragte. Ich ließ die andern voranfahren, merkte mir den Namen des Wirtshauses, wo sie absteigen wollten, und kletterte vom Wege seitab auf eine günstige Stelle, um </p> </div> </body> </text> </TEI> [347/0355]
Das Modell eines stehenden Christus gab Danneckern Veranlassung, sich sehr beredt über die Schwierigkeiten eines Christusbildes auszusprechen; zuletzt sagte er ganz treuherzig: I weiß halt nit, ob ichs getroffen hab’! Später hörte ich von übelwollenden Kritikern den Tadel, seine Ariadne könne nicht sitzen und sein Christus nicht stehn. Wir kamen zu zwei nebeneinander stehenden Pferdeköpfen: der eine gehörte der antiken Broncequadriga vom Dogenpalaste in Venedig, der andre von Lord Elgin dem Parthenon in Athen entführt, stammte unzweifelhaft aus des Phidias Werkstatt. Dies letzte, von der Zeit arg zugerichtete Meisterwerk fand wegen der Grosartigkeit des Styles, Danneckers ganzen Beifall. Er meinte, man höre das Thier wiehern, die edle Race liege auch in den weit vortretenden Augen; es könne sich von hinten vertheidigen.
Den Abend verbrachten wir bei Tautphöus in kleiner, aber desto angenehmerer Gesellschaft. Papa besaß die nicht allen Diplomaten gegebene Eigenschaft, ein interessantes Gespräch zu führen, und o Glück! die Kaperin war wieder zugegen. Larosees junges Herz blieb bei ihr zurück, und Tautphöus bei seinen Aeltern.
In Stuttgart wurde der Hausknecht von neuem auf die Jagd nach Retourkutschen geschickt, und war so glücklich, eine bis Ulm aufzutreiben. Die Straße berührte anfangs nur gleichgültige Gegenden, aber gegen Abend wurden wir, von einer Höhe herabkommend, durch den Anblick von Ulm überrascht, aus dessen schwarzer Dächermasse das unvollendete Münster wie ein steinerner Berg hervorragte. Ich ließ die andern voranfahren, merkte mir den Namen des Wirtshauses, wo sie absteigen wollten, und kletterte vom Wege seitab auf eine günstige Stelle, um
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/355>, abgerufen am 05.07.2024. |