Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

Correggio wollte Klein von der allzusüß lächelnden Madonna sich nicht recht erbauen lassen, dagegen zeigte er mir die hohe Vortrefflichkeit des Bildnisses des Arztes des Correggio. Von den schönen Paul Potters nannte Klein das eine Bild: den Mittag, wo die Rinder im hellen Sonnenschein gegen Mücken und Fliegen sich zu schützen suchen; ein anderes: den Abend, wo die Kühlung auf der Wiese sich lagert, und die müden Thiere ruhigen Schrittes nach Hause ziehn.

Bei dem unvergleichlichen Ganymed von Rembrandt machte Klein mich darauf aufmerksam, mit wie richtiger Ueberlegung der Künstler gearbeitet: denn wenn man überhaupt zugeben will, daß ein Adler ein Kind entführen könne, ohne es zu zerfleischen, so ist die hier dargestellte Art die einzig mögliche; dabei wird alles verständig erklärt: die goldne Borte am Gewande zeigt den Königsohn, die errafften Kirschen lassen vermuthen, daß er neben einem Körbchen in der Wiese gesessen, und die bis zur unfreiwilligen Leibeserleichterung gesteigerte Angst beweist, daß er mit Gewalt emporgehoben, nicht etwa von oben herabgelassen werde.

Als ich später die bekannte schöne, von einem Schüler des Marc-Anton gestochene Zeichnung des Michelangelo kennen lernte, sah ich wohl, daß auf derselben der Ganymed auch nicht verletzt wird, aber hier hat der Künstler dem Thiere seine eigne Ueberlegung untergeschoben. Der Adler umfaßt die beiden Knöchel mit den beiden Klauen, und schiebt zur Unterstützung seinen Kopf unter die rechte Achsel des Knaben, der mit geschlossenen Augen und flatterndem Haare einem Todten oder Ohnmächtigen gleicht, der sich nicht zur Wehre setzen kann.

Correggio wollte Klein von der allzusüß lächelnden Madonna sich nicht recht erbauen lassen, dagegen zeigte er mir die hohe Vortrefflichkeit des Bildnisses des Arztes des Correggio. Von den schönen Paul Potters nannte Klein das eine Bild: den Mittag, wo die Rinder im hellen Sonnenschein gegen Mücken und Fliegen sich zu schützen suchen; ein anderes: den Abend, wo die Kühlung auf der Wiese sich lagert, und die müden Thiere ruhigen Schrittes nach Hause ziehn.

Bei dem unvergleichlichen Ganymed von Rembrandt machte Klein mich darauf aufmerksam, mit wie richtiger Ueberlegung der Künstler gearbeitet: denn wenn man überhaupt zugeben will, daß ein Adler ein Kind entführen könne, ohne es zu zerfleischen, so ist die hier dargestellte Art die einzig mögliche; dabei wird alles verständig erklärt: die goldne Borte am Gewande zeigt den Königsohn, die errafften Kirschen lassen vermuthen, daß er neben einem Körbchen in der Wiese gesessen, und die bis zur unfreiwilligen Leibeserleichterung gesteigerte Angst beweist, daß er mit Gewalt emporgehoben, nicht etwa von oben herabgelassen werde.

Als ich später die bekannte schöne, von einem Schüler des Marc-Anton gestochene Zeichnung des Michelangelo kennen lernte, sah ich wohl, daß auf derselben der Ganymed auch nicht verletzt wird, aber hier hat der Künstler dem Thiere seine eigne Ueberlegung untergeschoben. Der Adler umfaßt die beiden Knöchel mit den beiden Klauen, und schiebt zur Unterstützung seinen Kopf unter die rechte Achsel des Knaben, der mit geschlossenen Augen und flatterndem Haare einem Todten oder Ohnmächtigen gleicht, der sich nicht zur Wehre setzen kann.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0307" n="299"/>
Correggio wollte Klein von der allzusüß lächelnden Madonna sich nicht recht erbauen lassen, dagegen zeigte er mir die hohe Vortrefflichkeit des Bildnisses des Arztes des Correggio. Von den schönen Paul Potters nannte Klein das eine Bild: den Mittag, wo die Rinder im hellen Sonnenschein gegen Mücken und Fliegen sich zu schützen suchen; ein anderes: den Abend, wo die Kühlung auf der Wiese sich lagert, und die müden Thiere ruhigen Schrittes nach Hause ziehn. </p><lb/>
        <p>Bei dem unvergleichlichen Ganymed von Rembrandt machte Klein mich darauf aufmerksam, mit wie richtiger Ueberlegung der Künstler gearbeitet: denn wenn man überhaupt zugeben will, daß ein Adler ein Kind entführen könne, ohne es zu zerfleischen, so ist die hier dargestellte Art die einzig mögliche; dabei wird alles verständig erklärt: die goldne Borte am Gewande zeigt den Königsohn, die errafften Kirschen lassen vermuthen, daß er neben einem Körbchen in der Wiese gesessen, und die bis zur unfreiwilligen Leibeserleichterung gesteigerte Angst beweist, daß er mit Gewalt emporgehoben, nicht etwa von oben herabgelassen werde. </p><lb/>
        <p>Als ich später die bekannte schöne, von einem Schüler des Marc-Anton gestochene Zeichnung des Michelangelo kennen lernte, sah ich wohl, daß auf derselben der Ganymed auch nicht verletzt wird, aber hier hat der Künstler dem Thiere seine eigne Ueberlegung untergeschoben. Der Adler umfaßt die beiden Knöchel mit den beiden Klauen, und schiebt zur Unterstützung seinen Kopf unter die rechte Achsel des Knaben, der mit geschlossenen Augen und flatterndem Haare einem Todten oder Ohnmächtigen gleicht, der sich nicht zur Wehre setzen kann.
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[299/0307] Correggio wollte Klein von der allzusüß lächelnden Madonna sich nicht recht erbauen lassen, dagegen zeigte er mir die hohe Vortrefflichkeit des Bildnisses des Arztes des Correggio. Von den schönen Paul Potters nannte Klein das eine Bild: den Mittag, wo die Rinder im hellen Sonnenschein gegen Mücken und Fliegen sich zu schützen suchen; ein anderes: den Abend, wo die Kühlung auf der Wiese sich lagert, und die müden Thiere ruhigen Schrittes nach Hause ziehn. Bei dem unvergleichlichen Ganymed von Rembrandt machte Klein mich darauf aufmerksam, mit wie richtiger Ueberlegung der Künstler gearbeitet: denn wenn man überhaupt zugeben will, daß ein Adler ein Kind entführen könne, ohne es zu zerfleischen, so ist die hier dargestellte Art die einzig mögliche; dabei wird alles verständig erklärt: die goldne Borte am Gewande zeigt den Königsohn, die errafften Kirschen lassen vermuthen, daß er neben einem Körbchen in der Wiese gesessen, und die bis zur unfreiwilligen Leibeserleichterung gesteigerte Angst beweist, daß er mit Gewalt emporgehoben, nicht etwa von oben herabgelassen werde. Als ich später die bekannte schöne, von einem Schüler des Marc-Anton gestochene Zeichnung des Michelangelo kennen lernte, sah ich wohl, daß auf derselben der Ganymed auch nicht verletzt wird, aber hier hat der Künstler dem Thiere seine eigne Ueberlegung untergeschoben. Der Adler umfaßt die beiden Knöchel mit den beiden Klauen, und schiebt zur Unterstützung seinen Kopf unter die rechte Achsel des Knaben, der mit geschlossenen Augen und flatterndem Haare einem Todten oder Ohnmächtigen gleicht, der sich nicht zur Wehre setzen kann.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/307
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/307>, abgerufen am 23.11.2024.