Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

wollen in neuer und neuster Zeit ein Ueberhandnehmen von Gehirnerweichungen beobachtet haben. Es wäre wohl der Mühe werth zu untersuchen, ob hiemit die vielen Morde und Mordversuche im Zusammenhange stehn, die leider seit Sands unsinniger That an fast allen Potentaten und an so manchen Privatpersonen verübt worden sind.

"Nun wird eine Verfassung für Preußen unmöglich!" soll der Fürst von Hardenberg bei der Nachricht von Kotzebues Ermordung ausgerufen haben. Der im Herzen freisinnige Staatskanzler hatte bis dahin die Hoffnung gehegt, daß wenn noch einige Zeit die Völker in Deutschland sich ruhig verhielten, er am Ende wohl den langsamen König Friedrich Wilhelm III. dahin bringen werde, in Preußen eine Verfassung zu octroyiren. Nun bemächtigte sich aber die starre Aristokratie am preußischen Hofe der Sandschen That, um alle solche Bestrebungen in den Hintergrund zu drängen, und den Karakter der ganzen Nation in den schwärzesten Farben zu malen. Schon vorher hatte der sittlich sehr anrüchige Hausminister, Fürst von Wittgenstein gegen die Verleihung einer Verfassung gewirkt, indem er mit tiefer Menschenkenntniß auf die arge Schüchternheit des Königs spekulirte. Er kannte die Unfähigkeit und die daraus entspringende Abneigung des Königs, lange oder kurze Reden zu halten. So oft nun im Staatsrathe unter des Königs Vorsitze die Verfassungsfrage zur Sprache kam, so widersetzte sich Wittgenstein anscheinend gar nicht, verweilte aber mit so bitterer Zähigkeit bei den Modalitäten, unter denen die Thronrede vom Könige zu halten sei, daß dieser in sichtbarer Angst vor dem Ausspinnen eines ihm so unbequemen Themas zur schleunigen Aufhebung der Sitzung bewogen ward.

wollen in neuer und neuster Zeit ein Ueberhandnehmen von Gehirnerweichungen beobachtet haben. Es wäre wohl der Mühe werth zu untersuchen, ob hiemit die vielen Morde und Mordversuche im Zusammenhange stehn, die leider seit Sands unsinniger That an fast allen Potentaten und an so manchen Privatpersonen verübt worden sind.

„Nun wird eine Verfassung für Preußen unmöglich!“ soll der Fürst von Hardenberg bei der Nachricht von Kotzebues Ermordung ausgerufen haben. Der im Herzen freisinnige Staatskanzler hatte bis dahin die Hoffnung gehegt, daß wenn noch einige Zeit die Völker in Deutschland sich ruhig verhielten, er am Ende wohl den langsamen König Friedrich Wilhelm III. dahin bringen werde, in Preußen eine Verfassung zu octroyiren. Nun bemächtigte sich aber die starre Aristokratie am preußischen Hofe der Sandschen That, um alle solche Bestrebungen in den Hintergrund zu drängen, und den Karakter der ganzen Nation in den schwärzesten Farben zu malen. Schon vorher hatte der sittlich sehr anrüchige Hausminister, Fürst von Wittgenstein gegen die Verleihung einer Verfassung gewirkt, indem er mit tiefer Menschenkenntniß auf die arge Schüchternheit des Königs spekulirte. Er kannte die Unfähigkeit und die daraus entspringende Abneigung des Königs, lange oder kurze Reden zu halten. So oft nun im Staatsrathe unter des Königs Vorsitze die Verfassungsfrage zur Sprache kam, so widersetzte sich Wittgenstein anscheinend gar nicht, verweilte aber mit so bitterer Zähigkeit bei den Modalitäten, unter denen die Thronrede vom Könige zu halten sei, daß dieser in sichtbarer Angst vor dem Ausspinnen eines ihm so unbequemen Themas zur schleunigen Aufhebung der Sitzung bewogen ward.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0299" n="291"/>
wollen in neuer und neuster Zeit ein Ueberhandnehmen von Gehirnerweichungen beobachtet haben. Es wäre wohl der Mühe werth zu untersuchen, ob hiemit die vielen Morde und Mordversuche im Zusammenhange stehn, die leider seit Sands unsinniger That an fast allen Potentaten und an so manchen Privatpersonen verübt worden sind. </p><lb/>
        <p>&#x201E;Nun wird eine Verfassung für Preußen unmöglich!&#x201C; soll der Fürst von Hardenberg bei der Nachricht von Kotzebues Ermordung ausgerufen haben. Der im Herzen freisinnige Staatskanzler hatte bis dahin die Hoffnung gehegt, daß wenn noch einige Zeit die Völker in Deutschland sich ruhig verhielten, er am Ende wohl den langsamen König Friedrich Wilhelm III. dahin bringen werde, in Preußen eine Verfassung zu octroyiren. Nun bemächtigte sich aber die starre Aristokratie am preußischen Hofe der Sandschen That, um alle solche Bestrebungen in den Hintergrund zu drängen, und den Karakter der ganzen Nation in den schwärzesten Farben zu malen. Schon vorher hatte der sittlich sehr anrüchige Hausminister, Fürst von Wittgenstein gegen die Verleihung einer Verfassung gewirkt, indem er mit tiefer Menschenkenntniß auf die arge Schüchternheit des Königs spekulirte. Er kannte die Unfähigkeit und die daraus entspringende Abneigung des Königs, lange oder kurze Reden zu halten. So oft nun im Staatsrathe unter des Königs Vorsitze die Verfassungsfrage zur Sprache kam, so widersetzte sich Wittgenstein anscheinend gar nicht, verweilte aber mit so bitterer Zähigkeit bei den Modalitäten, unter denen die Thronrede vom Könige zu halten sei, daß dieser in sichtbarer Angst vor dem Ausspinnen eines ihm so unbequemen Themas zur schleunigen Aufhebung der Sitzung bewogen ward.
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[291/0299] wollen in neuer und neuster Zeit ein Ueberhandnehmen von Gehirnerweichungen beobachtet haben. Es wäre wohl der Mühe werth zu untersuchen, ob hiemit die vielen Morde und Mordversuche im Zusammenhange stehn, die leider seit Sands unsinniger That an fast allen Potentaten und an so manchen Privatpersonen verübt worden sind. „Nun wird eine Verfassung für Preußen unmöglich!“ soll der Fürst von Hardenberg bei der Nachricht von Kotzebues Ermordung ausgerufen haben. Der im Herzen freisinnige Staatskanzler hatte bis dahin die Hoffnung gehegt, daß wenn noch einige Zeit die Völker in Deutschland sich ruhig verhielten, er am Ende wohl den langsamen König Friedrich Wilhelm III. dahin bringen werde, in Preußen eine Verfassung zu octroyiren. Nun bemächtigte sich aber die starre Aristokratie am preußischen Hofe der Sandschen That, um alle solche Bestrebungen in den Hintergrund zu drängen, und den Karakter der ganzen Nation in den schwärzesten Farben zu malen. Schon vorher hatte der sittlich sehr anrüchige Hausminister, Fürst von Wittgenstein gegen die Verleihung einer Verfassung gewirkt, indem er mit tiefer Menschenkenntniß auf die arge Schüchternheit des Königs spekulirte. Er kannte die Unfähigkeit und die daraus entspringende Abneigung des Königs, lange oder kurze Reden zu halten. So oft nun im Staatsrathe unter des Königs Vorsitze die Verfassungsfrage zur Sprache kam, so widersetzte sich Wittgenstein anscheinend gar nicht, verweilte aber mit so bitterer Zähigkeit bei den Modalitäten, unter denen die Thronrede vom Könige zu halten sei, daß dieser in sichtbarer Angst vor dem Ausspinnen eines ihm so unbequemen Themas zur schleunigen Aufhebung der Sitzung bewogen ward.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/299
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/299>, abgerufen am 11.06.2024.