Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].schritten, desto mehr verlor sich die ländliche Einsamkeit; die Stralauerstraße und der Mühlendamm wogten fast eben so wie jetzt vom lebendigsten Verkehr. Wir führten recht oft vertrauliche Gespräche, in denen Kleins richtige Beurtheilung der Menschen meist in scharfer, oft auch in liebenswürdiger Weise hervortrat. Ich hatte damals aller Sentimentalität den Krieg erklärt, und äußerte mich manchmal vielleicht zu derb, um nicht von einer inneren Rührung überrascht zu werden. Da hielt mir Klein einen Spiegel vor, indem er sagte: du bist ein ganz braver Kerl, aber mir scheint, du schämst dich deiner Gefühle. War jedoch die Hitze arg, so fand ich auch draußen im Gartenhause ein Bett, und konnte am nächsten Morgen im Fliederwäldchen, mit einem Lieblingsbuche so lange verweilen, bis Lillis Klavierspiel mich in den Saal zurückrief; oder ich wartete, bis ihre klangvolle Stimme ein lautes "Gustav" von der Terrasse herab ertönen ließ; ich antwortete aus meinem Versteck; ihre leichte Gestalt schwebte den Berg herab, und wir machten zusammen einen Gang durch die Morgenfrische. An solchen Tagen begleitete ich gern meinen Vater auf seinem Wege zur Stadt. Wir besuchten wohl gelegentlich eines der administrirten Häuser, um überall nach dem Rechten zu sehn; ich lernte von meinem Vater, wie man die genaue Handhabung der Hausordnung mit dem unbedingtesten Wohlwollen verbinden könne. Den unaufhörlichen Klagen der Miether über die Strenge des Administrators war ich anfangs nur zu sehr geneigt, ein williges Ohr zu leihen. Ich bedauerte die armen Leute wegen der ihnen widerfahrenen harten Behandlung, aber schritten, desto mehr verlor sich die ländliche Einsamkeit; die Stralauerstraße und der Mühlendamm wogten fast eben so wie jetzt vom lebendigsten Verkehr. Wir führten recht oft vertrauliche Gespräche, in denen Kleins richtige Beurtheilung der Menschen meist in scharfer, oft auch in liebenswürdiger Weise hervortrat. Ich hatte damals aller Sentimentalität den Krieg erklärt, und äußerte mich manchmal vielleicht zu derb, um nicht von einer inneren Rührung überrascht zu werden. Da hielt mir Klein einen Spiegel vor, indem er sagte: du bist ein ganz braver Kerl, aber mir scheint, du schämst dich deiner Gefühle. War jedoch die Hitze arg, so fand ich auch draußen im Gartenhause ein Bett, und konnte am nächsten Morgen im Fliederwäldchen, mit einem Lieblingsbuche so lange verweilen, bis Lillis Klavierspiel mich in den Saal zurückrief; oder ich wartete, bis ihre klangvolle Stimme ein lautes „Gustav“ von der Terrasse herab ertönen ließ; ich antwortete aus meinem Versteck; ihre leichte Gestalt schwebte den Berg herab, und wir machten zusammen einen Gang durch die Morgenfrische. An solchen Tagen begleitete ich gern meinen Vater auf seinem Wege zur Stadt. Wir besuchten wohl gelegentlich eines der administrirten Häuser, um überall nach dem Rechten zu sehn; ich lernte von meinem Vater, wie man die genaue Handhabung der Hausordnung mit dem unbedingtesten Wohlwollen verbinden könne. Den unaufhörlichen Klagen der Miether über die Strenge des Administrators war ich anfangs nur zu sehr geneigt, ein williges Ohr zu leihen. 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schritten, desto mehr verlor sich die ländliche Einsamkeit; die Stralauerstraße und der Mühlendamm wogten fast eben so wie jetzt vom lebendigsten Verkehr.
Wir führten recht oft vertrauliche Gespräche, in denen Kleins richtige Beurtheilung der Menschen meist in scharfer, oft auch in liebenswürdiger Weise hervortrat. Ich hatte damals aller Sentimentalität den Krieg erklärt, und äußerte mich manchmal vielleicht zu derb, um nicht von einer inneren Rührung überrascht zu werden. Da hielt mir Klein einen Spiegel vor, indem er sagte: du bist ein ganz braver Kerl, aber mir scheint, du schämst dich deiner Gefühle.
War jedoch die Hitze arg, so fand ich auch draußen im Gartenhause ein Bett, und konnte am nächsten Morgen im Fliederwäldchen, mit einem Lieblingsbuche so lange verweilen, bis Lillis Klavierspiel mich in den Saal zurückrief; oder ich wartete, bis ihre klangvolle Stimme ein lautes „Gustav“ von der Terrasse herab ertönen ließ; ich antwortete aus meinem Versteck; ihre leichte Gestalt schwebte den Berg herab, und wir machten zusammen einen Gang durch die Morgenfrische.
An solchen Tagen begleitete ich gern meinen Vater auf seinem Wege zur Stadt. Wir besuchten wohl gelegentlich eines der administrirten Häuser, um überall nach dem Rechten zu sehn; ich lernte von meinem Vater, wie man die genaue Handhabung der Hausordnung mit dem unbedingtesten Wohlwollen verbinden könne. Den unaufhörlichen Klagen der Miether über die Strenge des Administrators war ich anfangs nur zu sehr geneigt, ein williges Ohr zu leihen. Ich bedauerte die armen Leute wegen der ihnen widerfahrenen harten Behandlung, aber
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/292>, abgerufen am 05.07.2024. |