Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].ausgabe seiner Allgemeinen Deutschen Bibliothek war ihm eine solche Aushülfe unentbehrlich, um das Heer seiner 800 Mitarbeiter immer in Ordnung zu halten. Göthe und Schiller wurden nun, nicht wie bisher sprungweise, sondern nach der Reihe durchgelesen. Mit Herder und Wieland wollte dies weniger glücken, obgleich ich mehrere Male ansetzte. Außer dem Cid haben die poetischen Arbeiten Herders zu wenig inneren Werth, um auf die Dauer fesseln zu können. Die vielen prosaischen Werke kann man nur als Studien, als geistreiche und gelehrte Essays betrachten. Seine berühmte Schrift über die älteste Urkunde des Menschengeschlechtes nahm ich in der Original-Quartausabe mit wahrer Verehrung zur Hand, aber je weiter ich vorrückte, je mehr verlor ich den Faden; ich setzte von neuem an, und wußte Paul zur Theilnahme zu bereden. Wir konnten aber nichts positives für die Erklärung der Genesis herausfinden. Wir waren beide weit entfernt, die Schuld davon auf den Autor zu schieben, vielmehr wandte Paul den herrlichen Lessingschen Satz auf uns an: wenn ein Buch und ein Kopf zusammenkommen und es klingt hohl, ist das denn immer die Schuld des Buches? Aber je weiter wir vorrückten, desto mehr kamen wir zu der Ueberzeugung, daß der Autor selbst den Faden der Untersuchung verloren, und sich in verschlungenen theologisch-physikalischen Irrgängen hin und her bewege. Viele Jahre später fand ich in Göthes Briefen an Schönborn (27, 476) die prächtige Aeußerung über Herders Werk, "es ist ein mystisch weitstrahlsinniges Ganze, eine in der Fülle verschlungener Geäste lebende und rollende Welt"; ich konnte daraus abnehmen, welchen gewaltigen Eindruck es bei seinem Erscheinen auf die freiden- ausgabe seiner Allgemeinen Deutschen Bibliothek war ihm eine solche Aushülfe unentbehrlich, um das Heer seiner 800 Mitarbeiter immer in Ordnung zu halten. Göthe und Schiller wurden nun, nicht wie bisher sprungweise, sondern nach der Reihe durchgelesen. Mit Herder und Wieland wollte dies weniger glücken, obgleich ich mehrere Male ansetzte. Außer dem Cid haben die poetischen Arbeiten Herders zu wenig inneren Werth, um auf die Dauer fesseln zu können. Die vielen prosaischen Werke kann man nur als Studien, als geistreiche und gelehrte Essays betrachten. Seine berühmte Schrift über die älteste Urkunde des Menschengeschlechtes nahm ich in der Original-Quartausabe mit wahrer Verehrung zur Hand, aber je weiter ich vorrückte, je mehr verlor ich den Faden; ich setzte von neuem an, und wußte Paul zur Theilnahme zu bereden. Wir konnten aber nichts positives für die Erklärung der Genesis herausfinden. Wir waren beide weit entfernt, die Schuld davon auf den Autor zu schieben, vielmehr wandte Paul den herrlichen Lessingschen Satz auf uns an: wenn ein Buch und ein Kopf zusammenkommen und es klingt hohl, ist das denn immer die Schuld des Buches? Aber je weiter wir vorrückten, desto mehr kamen wir zu der Ueberzeugung, daß der Autor selbst den Faden der Untersuchung verloren, und sich in verschlungenen theologisch-physikalischen Irrgängen hin und her bewege. Viele Jahre später fand ich in Göthes Briefen an Schönborn (27, 476) die prächtige Aeußerung über Herders Werk, „es ist ein mystisch weitstrahlsinniges Ganze, eine in der Fülle verschlungener Geäste lebende und rollende Welt“; ich konnte daraus abnehmen, welchen gewaltigen Eindruck es bei seinem Erscheinen auf die freiden- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0278" n="270"/> ausgabe seiner Allgemeinen Deutschen Bibliothek war ihm eine solche Aushülfe unentbehrlich, um das Heer seiner 800 Mitarbeiter immer in Ordnung zu halten. </p><lb/> <p>Göthe und Schiller wurden nun, nicht wie bisher sprungweise, sondern nach der Reihe durchgelesen. Mit Herder und Wieland wollte dies weniger glücken, obgleich ich mehrere Male ansetzte. Außer dem Cid haben die poetischen Arbeiten Herders zu wenig inneren Werth, um auf die Dauer fesseln zu können. Die vielen prosaischen Werke kann man nur als Studien, als geistreiche und gelehrte Essays betrachten. Seine berühmte Schrift über die älteste Urkunde des Menschengeschlechtes nahm ich in der Original-Quartausabe mit wahrer Verehrung zur Hand, aber je weiter ich vorrückte, je mehr verlor ich den Faden; ich setzte von neuem an, und wußte Paul zur Theilnahme zu bereden. Wir konnten aber nichts positives für die Erklärung der Genesis herausfinden. Wir waren beide weit entfernt, die Schuld davon auf den Autor zu schieben, vielmehr wandte Paul den herrlichen Lessingschen Satz auf uns an: wenn ein Buch und ein Kopf zusammenkommen und es klingt hohl, ist das denn immer die Schuld des Buches? Aber je weiter wir vorrückten, desto mehr kamen wir zu der Ueberzeugung, daß der Autor selbst den Faden der Untersuchung verloren, und sich in verschlungenen theologisch-physikalischen Irrgängen hin und her bewege. Viele Jahre später fand ich in Göthes Briefen an Schönborn (27, 476) die prächtige Aeußerung über Herders Werk, „es ist ein mystisch weitstrahlsinniges Ganze, eine in der Fülle verschlungener Geäste lebende und rollende Welt“; ich konnte daraus abnehmen, welchen gewaltigen Eindruck es bei seinem Erscheinen auf die freiden- </p> </div> </body> </text> </TEI> [270/0278]
ausgabe seiner Allgemeinen Deutschen Bibliothek war ihm eine solche Aushülfe unentbehrlich, um das Heer seiner 800 Mitarbeiter immer in Ordnung zu halten.
Göthe und Schiller wurden nun, nicht wie bisher sprungweise, sondern nach der Reihe durchgelesen. Mit Herder und Wieland wollte dies weniger glücken, obgleich ich mehrere Male ansetzte. Außer dem Cid haben die poetischen Arbeiten Herders zu wenig inneren Werth, um auf die Dauer fesseln zu können. Die vielen prosaischen Werke kann man nur als Studien, als geistreiche und gelehrte Essays betrachten. Seine berühmte Schrift über die älteste Urkunde des Menschengeschlechtes nahm ich in der Original-Quartausabe mit wahrer Verehrung zur Hand, aber je weiter ich vorrückte, je mehr verlor ich den Faden; ich setzte von neuem an, und wußte Paul zur Theilnahme zu bereden. Wir konnten aber nichts positives für die Erklärung der Genesis herausfinden. Wir waren beide weit entfernt, die Schuld davon auf den Autor zu schieben, vielmehr wandte Paul den herrlichen Lessingschen Satz auf uns an: wenn ein Buch und ein Kopf zusammenkommen und es klingt hohl, ist das denn immer die Schuld des Buches? Aber je weiter wir vorrückten, desto mehr kamen wir zu der Ueberzeugung, daß der Autor selbst den Faden der Untersuchung verloren, und sich in verschlungenen theologisch-physikalischen Irrgängen hin und her bewege. Viele Jahre später fand ich in Göthes Briefen an Schönborn (27, 476) die prächtige Aeußerung über Herders Werk, „es ist ein mystisch weitstrahlsinniges Ganze, eine in der Fülle verschlungener Geäste lebende und rollende Welt“; ich konnte daraus abnehmen, welchen gewaltigen Eindruck es bei seinem Erscheinen auf die freiden-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/278 |
Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/278>, abgerufen am 05.07.2024. |