Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].Erfüllung jenes Versprechens sich nicht beeilten. Wenn wir unsern Gegnern die englische Verfassung als letztes Argument vorführten, so war gleich die Antwort bereit, daß solche Einrichtungen nur für ein abgeschlossenes Inselreich paßten, nicht aber für die Kontinental-Staaten, deren Gränzen, wie wir ja selbst erlebt, so oft wechselten. Die Demagogen schienen mir nach dem, was sie von ihren Grundsätzen laut werden ließen, über ihre eignen Absichten nicht im klaren zu sein. Die Herstellung eines mächtigen deutschen Reiches mit einem Kaiser an der Spitze, wie man sich etwa Karl den Großen zu denken hatte, umgeben von einem Kreise mächtiger, aber gehorsamer Vasallen, gestützt auf eine unabhängige, aber ergebne Reichsversammlung, dies war das unbestimmte Ideal, dem jeder brave deutsche Jüngling nachzustreben habe; sobald man aber fragte, wie dieses Ideal auch nur annäherungsweise zu erreichen sei, so kamen die verschiedensten abentheuerlichsten Ansichten zu Tage, deren unpraktisches Wesen auf den ersten Blick einleuchtete. Zur Steuer der Wahrheit will ich hier versichern, daß in dem Kreise meiner Bekannten niemals von Gewaltmaasregeln, wie Fürstenmord, Revolution etc. die Rede war; eben so wenig provocirte man damals an ein allgemeines deutsches Parlament, wie es gerade ein Menschenalter später (1848) in Frankfurt a. M. ohne Erfolg zusammentrat. Koberstein schwärmte für Solgers Erwin, ein Handbuch der Aesthetik; ich schaffte es mir an, und las es pflichtschuldig durch, muß aber zu meiner Schande bekennen, daß mir nicht der geringste Eindruck davon zurückgeblieben ist. Die platonische Form des Dialoges schien mir jeder Belebung zu entbehren; von den darin Erfüllung jenes Versprechens sich nicht beeilten. Wenn wir unsern Gegnern die englische Verfassung als letztes Argument vorführten, so war gleich die Antwort bereit, daß solche Einrichtungen nur für ein abgeschlossenes Inselreich paßten, nicht aber für die Kontinental-Staaten, deren Gränzen, wie wir ja selbst erlebt, so oft wechselten. Die Demagogen schienen mir nach dem, was sie von ihren Grundsätzen laut werden ließen, über ihre eignen Absichten nicht im klaren zu sein. Die Herstellung eines mächtigen deutschen Reiches mit einem Kaiser an der Spitze, wie man sich etwa Karl den Großen zu denken hatte, umgeben von einem Kreise mächtiger, aber gehorsamer Vasallen, gestützt auf eine unabhängige, aber ergebne Reichsversammlung, dies war das unbestimmte Ideal, dem jeder brave deutsche Jüngling nachzustreben habe; sobald man aber fragte, wie dieses Ideal auch nur annäherungsweise zu erreichen sei, so kamen die verschiedensten abentheuerlichsten Ansichten zu Tage, deren unpraktisches Wesen auf den ersten Blick einleuchtete. Zur Steuer der Wahrheit will ich hier versichern, daß in dem Kreise meiner Bekannten niemals von Gewaltmaasregeln, wie Fürstenmord, Revolution etc. die Rede war; eben so wenig provocirte man damals an ein allgemeines deutsches Parlament, wie es gerade ein Menschenalter später (1848) in Frankfurt a. M. ohne Erfolg zusammentrat. Koberstein schwärmte für Solgers Erwin, ein Handbuch der Aesthetik; ich schaffte es mir an, und las es pflichtschuldig durch, muß aber zu meiner Schande bekennen, daß mir nicht der geringste Eindruck davon zurückgeblieben ist. Die platonische Form des Dialoges schien mir jeder Belebung zu entbehren; von den darin <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0233" n="225"/> Erfüllung jenes Versprechens sich nicht beeilten. Wenn wir unsern Gegnern die englische Verfassung als letztes Argument vorführten, so war gleich die Antwort bereit, daß solche Einrichtungen nur für ein abgeschlossenes Inselreich paßten, nicht aber für die Kontinental-Staaten, deren Gränzen, wie wir ja selbst erlebt, so oft wechselten. </p><lb/> <p>Die Demagogen schienen mir nach dem, was sie von ihren Grundsätzen laut werden ließen, über ihre eignen Absichten nicht im klaren zu sein. 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M. ohne Erfolg zusammentrat. </p><lb/> <p>Koberstein schwärmte für Solgers Erwin, ein Handbuch der Aesthetik; ich schaffte es mir an, und las es pflichtschuldig durch, muß aber zu meiner Schande bekennen, daß mir nicht der geringste Eindruck davon zurückgeblieben ist. Die platonische Form des Dialoges schien mir jeder Belebung zu entbehren; von den darin </p> </div> </body> </text> </TEI> [225/0233]
Erfüllung jenes Versprechens sich nicht beeilten. Wenn wir unsern Gegnern die englische Verfassung als letztes Argument vorführten, so war gleich die Antwort bereit, daß solche Einrichtungen nur für ein abgeschlossenes Inselreich paßten, nicht aber für die Kontinental-Staaten, deren Gränzen, wie wir ja selbst erlebt, so oft wechselten.
Die Demagogen schienen mir nach dem, was sie von ihren Grundsätzen laut werden ließen, über ihre eignen Absichten nicht im klaren zu sein. Die Herstellung eines mächtigen deutschen Reiches mit einem Kaiser an der Spitze, wie man sich etwa Karl den Großen zu denken hatte, umgeben von einem Kreise mächtiger, aber gehorsamer Vasallen, gestützt auf eine unabhängige, aber ergebne Reichsversammlung, dies war das unbestimmte Ideal, dem jeder brave deutsche Jüngling nachzustreben habe; sobald man aber fragte, wie dieses Ideal auch nur annäherungsweise zu erreichen sei, so kamen die verschiedensten abentheuerlichsten Ansichten zu Tage, deren unpraktisches Wesen auf den ersten Blick einleuchtete. Zur Steuer der Wahrheit will ich hier versichern, daß in dem Kreise meiner Bekannten niemals von Gewaltmaasregeln, wie Fürstenmord, Revolution etc. die Rede war; eben so wenig provocirte man damals an ein allgemeines deutsches Parlament, wie es gerade ein Menschenalter später (1848) in Frankfurt a. M. ohne Erfolg zusammentrat.
Koberstein schwärmte für Solgers Erwin, ein Handbuch der Aesthetik; ich schaffte es mir an, und las es pflichtschuldig durch, muß aber zu meiner Schande bekennen, daß mir nicht der geringste Eindruck davon zurückgeblieben ist. Die platonische Form des Dialoges schien mir jeder Belebung zu entbehren; von den darin
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/233>, abgerufen am 16.07.2024. |