Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].in Halle verleideten. Man weiß kaum, worüber man in diesen Briefen sich mehr wundem soll, ob über die unbescheidene Rücksichtslosigkeit in Wolfs Aeußerungen gegen den ihm vorgeordneten Minister, oder über Humboldts unbeschreiblichen Langmuth, dem die wahrhaft provocirenden Ausdrücke des begehrlichen Professors nicht das kleinste Zeichen von Empfindlichkeit entlocken können. Fr. A. Wolfs Berufung nach Berlin konnte im Fache der Philologie als die bedeutendste Erwerbung für die junge Universität gelten. Zwar hatte er, ein angehender Sechziger, den Höhepunkt seines Ruhmes überschritten, den er in Halle durch eine 23jährige Thätigkeit erreicht, allein immer noch nahm er unter den damals lebenden Philologen unbestritten die erste Stelle ein. Gottfried Hermann in Leipzig, so eminent er im grammatischen Fache sich zeigte, besaß nicht Wolfs umfassenden Geist. J. H. Voß in Heidelberg glänzte hauptsächlich als Uebersetzer. Während der drei Semester, die ich in Berlin zubrachte, hörte ich bei Wolf den Homer, den Herodot und den Aristophanes. Die Einleitung zum Homer wurde nicht bloß von Studenten, sondern auch von gebildeten Männern aus allen Ständen besucht. Man hatte hier das Gefühl, einem reichen Manne zuzuhören, der aus der Fülle seines Besitzes das mittheilt, was er gerade für angemessen hält, der aber außerdem noch über weit größere Schätze zu gebieten hat. Von der Behauptung jedoch, daß die verschiedenen Theile des Homer von verschiedenen Verfassern herrühren sollten, wurden nicht alle Zuhörer überzeugt. Wolf sprach sich, hier so wenig als in den Prolegomena, klar darüber aus, wie es möglich sei, daß mehrere unabhängig verfaßte Gedichte sich zu einem harmonischen Granzen vereinigen in Halle verleideten. Man weiß kaum, worüber man in diesen Briefen sich mehr wundem soll, ob über die unbescheidene Rücksichtslosigkeit in Wolfs Aeußerungen gegen den ihm vorgeordneten Minister, oder über Humboldts unbeschreiblichen Langmuth, dem die wahrhaft provocirenden Ausdrücke des begehrlichen Professors nicht das kleinste Zeichen von Empfindlichkeit entlocken können. Fr. A. Wolfs Berufung nach Berlin konnte im Fache der Philologie als die bedeutendste Erwerbung für die junge Universität gelten. Zwar hatte er, ein angehender Sechziger, den Höhepunkt seines Ruhmes überschritten, den er in Halle durch eine 23jährige Thätigkeit erreicht, allein immer noch nahm er unter den damals lebenden Philologen unbestritten die erste Stelle ein. Gottfried Hermann in Leipzig, so eminent er im grammatischen Fache sich zeigte, besaß nicht Wolfs umfassenden Geist. J. H. Voß in Heidelberg glänzte hauptsächlich als Uebersetzer. Während der drei Semester, die ich in Berlin zubrachte, hörte ich bei Wolf den Homer, den Herodot und den Aristophanes. Die Einleitung zum Homer wurde nicht bloß von Studenten, sondern auch von gebildeten Männern aus allen Ständen besucht. Man hatte hier das Gefühl, einem reichen Manne zuzuhören, der aus der Fülle seines Besitzes das mittheilt, was er gerade für angemessen hält, der aber außerdem noch über weit größere Schätze zu gebieten hat. Von der Behauptung jedoch, daß die verschiedenen Theile des Homer von verschiedenen Verfassern herrühren sollten, wurden nicht alle Zuhörer überzeugt. Wolf sprach sich, hier so wenig als in den Prolegomena, klar darüber aus, wie es möglich sei, daß mehrere unabhängig verfaßte Gedichte sich zu einem harmonischen Granzen vereinigen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0224" n="216"/> in Halle verleideten. 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Während der drei Semester, die ich in Berlin zubrachte, hörte ich bei Wolf den Homer, den Herodot und den Aristophanes. Die Einleitung zum Homer wurde nicht bloß von Studenten, sondern auch von gebildeten Männern aus allen Ständen besucht. Man hatte hier das Gefühl, einem reichen Manne zuzuhören, der aus der Fülle seines Besitzes das mittheilt, was er gerade für angemessen hält, der aber außerdem noch über weit größere Schätze zu gebieten hat. Von der Behauptung jedoch, daß die verschiedenen Theile des Homer von verschiedenen Verfassern herrühren sollten, wurden nicht alle Zuhörer überzeugt. Wolf sprach sich, hier so wenig als in den Prolegomena, klar darüber aus, wie es möglich sei, daß mehrere unabhängig verfaßte Gedichte sich zu einem harmonischen Granzen vereinigen </p> </div> </body> </text> </TEI> [216/0224]
in Halle verleideten. Man weiß kaum, worüber man in diesen Briefen sich mehr wundem soll, ob über die unbescheidene Rücksichtslosigkeit in Wolfs Aeußerungen gegen den ihm vorgeordneten Minister, oder über Humboldts unbeschreiblichen Langmuth, dem die wahrhaft provocirenden Ausdrücke des begehrlichen Professors nicht das kleinste Zeichen von Empfindlichkeit entlocken können.
Fr. A. Wolfs Berufung nach Berlin konnte im Fache der Philologie als die bedeutendste Erwerbung für die junge Universität gelten. Zwar hatte er, ein angehender Sechziger, den Höhepunkt seines Ruhmes überschritten, den er in Halle durch eine 23jährige Thätigkeit erreicht, allein immer noch nahm er unter den damals lebenden Philologen unbestritten die erste Stelle ein. Gottfried Hermann in Leipzig, so eminent er im grammatischen Fache sich zeigte, besaß nicht Wolfs umfassenden Geist. J. H. Voß in Heidelberg glänzte hauptsächlich als Uebersetzer. Während der drei Semester, die ich in Berlin zubrachte, hörte ich bei Wolf den Homer, den Herodot und den Aristophanes. Die Einleitung zum Homer wurde nicht bloß von Studenten, sondern auch von gebildeten Männern aus allen Ständen besucht. Man hatte hier das Gefühl, einem reichen Manne zuzuhören, der aus der Fülle seines Besitzes das mittheilt, was er gerade für angemessen hält, der aber außerdem noch über weit größere Schätze zu gebieten hat. Von der Behauptung jedoch, daß die verschiedenen Theile des Homer von verschiedenen Verfassern herrühren sollten, wurden nicht alle Zuhörer überzeugt. Wolf sprach sich, hier so wenig als in den Prolegomena, klar darüber aus, wie es möglich sei, daß mehrere unabhängig verfaßte Gedichte sich zu einem harmonischen Granzen vereinigen
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