Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].liebenswürdige Geistliche kam oft zu uns, und nahm lebhaften Antheil an den Musikabenden. Er sang einen angenehmen Tenor, dessen unerschütterliche Festigkeit Klein für die Chöre sehr wohl zu schätzen wußte. Diettrich brachte selbst einige alte, aber für uns neue vierstimmige Sachen mit. Noch jetzt erinnre ich mich eines schönen Chores aus einer längst vergessenen Oper von Naumann: I pellegrini. Mit edler Wärme setzte Diettrich uns auseinander, der Text der Oper enthalte die Schicksale mehrerer nach Jerusalem wallender Pilger. Als sie nun endlich die heilige Stadt von den Höhen des Oelberges erblicken, fallen sie auf die Knie, und beginnen den Chor: Le porte a noi disserra Gierusalem bramata, Gia lieta, or desolata, Ma sempre illustre terra. Dieses Stück hatte so viel ansprechendes, daß ich eine saubere Abschrift davon nahm, die sich lange in unserem Notenschranke erhielt, aber zuletzt doch abhanden gekommen ist. Frau von der Recke, deren Vorliebe für Himmel und Naumann wir alle kannten, hörte diesen Chor gar zu gern; ihr zu Gefallen ward er oft wiederholt, und so prägten sich Text und Musik unwillkührlich dem Gedächtnisse ein. Pater Diettrich gehörte zu den gelehrten Mönchen, er war im Lateinischen wohl bewandert, und schrieb einen schönen Vers aus dem Horaz in mein Stammbuch, das ich ihm beim Abschiede überreichte. Viele Jahre nachher traf ich ihn als Professor der lateinischen Sprache am Lyceum zu Prag, und noch später in seinem Kloster zu Ossegk, das man von Teplitz aus auf einer Spazierfahrt erreichen kann. liebenswürdige Geistliche kam oft zu uns, und nahm lebhaften Antheil an den Musikabenden. Er sang einen angenehmen Tenor, dessen unerschütterliche Festigkeit Klein für die Chöre sehr wohl zu schätzen wußte. Diettrich brachte selbst einige alte, aber für uns neue vierstimmige Sachen mit. Noch jetzt erinnre ich mich eines schönen Chores aus einer längst vergessenen Oper von Naumann: I pellegrini. Mit edler Wärme setzte Diettrich uns auseinander, der Text der Oper enthalte die Schicksale mehrerer nach Jerusalem wallender Pilger. Als sie nun endlich die heilige Stadt von den Höhen des Oelberges erblicken, fallen sie auf die Knie, und beginnen den Chor: Le porte a noi disserra Gierusalem bramata, Già lieta, or desolata, Ma sempre illustre terra. Dieses Stück hatte so viel ansprechendes, daß ich eine saubere Abschrift davon nahm, die sich lange in unserem Notenschranke erhielt, aber zuletzt doch abhanden gekommen ist. Frau von der Recke, deren Vorliebe für Himmel und Naumann wir alle kannten, hörte diesen Chor gar zu gern; ihr zu Gefallen ward er oft wiederholt, und so prägten sich Text und Musik unwillkührlich dem Gedächtnisse ein. Pater Diettrich gehörte zu den gelehrten Mönchen, er war im Lateinischen wohl bewandert, und schrieb einen schönen Vers aus dem Horaz in mein Stammbuch, das ich ihm beim Abschiede überreichte. Viele Jahre nachher traf ich ihn als Professor der lateinischen Sprache am Lyceum zu Prag, und noch später in seinem Kloster zu Ossegk, das man von Teplitz aus auf einer Spazierfahrt erreichen kann. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0210" n="202"/> liebenswürdige Geistliche kam oft zu uns, und nahm lebhaften Antheil an den Musikabenden. Er sang einen angenehmen Tenor, dessen unerschütterliche Festigkeit Klein für die Chöre sehr wohl zu schätzen wußte. Diettrich brachte selbst einige alte, aber für uns neue vierstimmige Sachen mit. Noch jetzt erinnre ich mich eines schönen Chores aus einer längst vergessenen Oper von Naumann: I pellegrini. Mit edler Wärme setzte Diettrich uns auseinander, der Text der Oper enthalte die Schicksale mehrerer nach Jerusalem wallender Pilger. Als sie nun endlich die heilige Stadt von den Höhen des Oelberges erblicken, fallen sie auf die Knie, und beginnen den Chor: </p><lb/> <p>Le porte a noi disserra </p><lb/> <p>Gierusalem bramata, </p><lb/> <p>Già lieta, or desolata, </p><lb/> <p>Ma sempre illustre terra. </p><lb/> <p>Dieses Stück hatte so viel ansprechendes, daß ich eine saubere Abschrift davon nahm, die sich lange in unserem Notenschranke erhielt, aber zuletzt doch abhanden gekommen ist. Frau von der Recke, deren Vorliebe für Himmel und Naumann wir alle kannten, hörte diesen Chor gar zu gern; ihr zu Gefallen ward er oft wiederholt, und so prägten sich Text und Musik unwillkührlich dem Gedächtnisse ein. </p><lb/> <p>Pater Diettrich gehörte zu den gelehrten Mönchen, er war im Lateinischen wohl bewandert, und schrieb einen schönen Vers aus dem Horaz in mein Stammbuch, das ich ihm beim Abschiede überreichte. Viele Jahre nachher traf ich ihn als Professor der lateinischen Sprache am Lyceum zu Prag, und noch später in seinem Kloster zu Ossegk, das man von Teplitz aus auf einer Spazierfahrt erreichen kann.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [202/0210]
liebenswürdige Geistliche kam oft zu uns, und nahm lebhaften Antheil an den Musikabenden. Er sang einen angenehmen Tenor, dessen unerschütterliche Festigkeit Klein für die Chöre sehr wohl zu schätzen wußte. Diettrich brachte selbst einige alte, aber für uns neue vierstimmige Sachen mit. Noch jetzt erinnre ich mich eines schönen Chores aus einer längst vergessenen Oper von Naumann: I pellegrini. Mit edler Wärme setzte Diettrich uns auseinander, der Text der Oper enthalte die Schicksale mehrerer nach Jerusalem wallender Pilger. Als sie nun endlich die heilige Stadt von den Höhen des Oelberges erblicken, fallen sie auf die Knie, und beginnen den Chor:
Le porte a noi disserra
Gierusalem bramata,
Già lieta, or desolata,
Ma sempre illustre terra.
Dieses Stück hatte so viel ansprechendes, daß ich eine saubere Abschrift davon nahm, die sich lange in unserem Notenschranke erhielt, aber zuletzt doch abhanden gekommen ist. Frau von der Recke, deren Vorliebe für Himmel und Naumann wir alle kannten, hörte diesen Chor gar zu gern; ihr zu Gefallen ward er oft wiederholt, und so prägten sich Text und Musik unwillkührlich dem Gedächtnisse ein.
Pater Diettrich gehörte zu den gelehrten Mönchen, er war im Lateinischen wohl bewandert, und schrieb einen schönen Vers aus dem Horaz in mein Stammbuch, das ich ihm beim Abschiede überreichte. Viele Jahre nachher traf ich ihn als Professor der lateinischen Sprache am Lyceum zu Prag, und noch später in seinem Kloster zu Ossegk, das man von Teplitz aus auf einer Spazierfahrt erreichen kann.
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/210>, abgerufen am 05.07.2024. |