Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].Wenn bei stillgehaltenen Rudern die reinen Akkorde über die glatte Wasserfläche dahinschwebten, so war die Wirkung eine überaus ergreifende. Die Lieder aus dem Tell mußten gleich wiederholt werden. Ich sprach meine innige Freude darüber aus, und fand die Lieder nur zu kurz. Das ist das gröste Lob, sagte Klein rasch, was du mir geben kannst: denn keinen schärferen Tadel kenne ich für ein Gedicht oder Musikstück, als wenn man sagt, es ist zu lang. Bei dieser Gelegenheit kam es zur Sprache, daß der Schillersche Knabe dem Götheschen Fischer sehr ähnlich sei, aber niemand wagte zu entscheiden, ob Schiller die Göthesche Ballade in zwei Verse zusammengezogen, oder ob Göthe in seiner plastischen Weise den Schillerschen Gedanken weiter ausgeführt habe. Bei der Abfahrt von Treptow bemerkten wir, daß zwei Kähne mit Offizieren uns folgten, und sich bald in größerer, bald in geringerer Entfernung hielten. Sie genossen wie wir der schönen Nacht, und des noch schöneren Gesanges. In Folge davon ließen sich einige dieser Offiziere in das Haus meines Vaters einführen. Es waren feine gebildete Leute, aber es machte sich kein rechtes Verhältniß zu ihnen; Klein sagte in seiner boshaften Weise: sie vermehren nur die Bewohner von Lillis Park! Um dieselbe Zeit kündigte uns Frau von der Recke den Besuch eines böhmischen Prämonstratenser-Mönches an, des Paters Diettrich aus Kloster Ossegk, den sie in Karlsbad kennen gelernt. Wir erwarteten einen langbärtigen Kuttenträger mit einem Strick um die Hüften und ledernen Sandalen, waren daher sehr verwundert, einen schlichten freundlichen Mann in bürgerlicher Tracht, ohne irgend ein Abzeichen seines klösterlichen Standes zu sehn. Dieser Wenn bei stillgehaltenen Rudern die reinen Akkorde über die glatte Wasserfläche dahinschwebten, so war die Wirkung eine überaus ergreifende. Die Lieder aus dem Tell mußten gleich wiederholt werden. Ich sprach meine innige Freude darüber aus, und fand die Lieder nur zu kurz. Das ist das gröste Lob, sagte Klein rasch, was du mir geben kannst: denn keinen schärferen Tadel kenne ich für ein Gedicht oder Musikstück, als wenn man sagt, es ist zu lang. Bei dieser Gelegenheit kam es zur Sprache, daß der Schillersche Knabe dem Götheschen Fischer sehr ähnlich sei, aber niemand wagte zu entscheiden, ob Schiller die Göthesche Ballade in zwei Verse zusammengezogen, oder ob Göthe in seiner plastischen Weise den Schillerschen Gedanken weiter ausgeführt habe. Bei der Abfahrt von Treptow bemerkten wir, daß zwei Kähne mit Offizieren uns folgten, und sich bald in größerer, bald in geringerer Entfernung hielten. Sie genossen wie wir der schönen Nacht, und des noch schöneren Gesanges. In Folge davon ließen sich einige dieser Offiziere in das Haus meines Vaters einführen. Es waren feine gebildete Leute, aber es machte sich kein rechtes Verhältniß zu ihnen; Klein sagte in seiner boshaften Weise: sie vermehren nur die Bewohner von Lillis Park! Um dieselbe Zeit kündigte uns Frau von der Recke den Besuch eines böhmischen Prämonstratenser-Mönches an, des Paters Diettrich aus Kloster Ossegk, den sie in Karlsbad kennen gelernt. Wir erwarteten einen langbärtigen Kuttenträger mit einem Strick um die Hüften und ledernen Sandalen, waren daher sehr verwundert, einen schlichten freundlichen Mann in bürgerlicher Tracht, ohne irgend ein Abzeichen seines klösterlichen Standes zu sehn. Dieser <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0209" n="201"/> Wenn bei stillgehaltenen Rudern die reinen Akkorde über die glatte Wasserfläche dahinschwebten, so war die Wirkung eine überaus ergreifende. Die Lieder aus dem Tell mußten gleich wiederholt werden. Ich sprach meine innige Freude darüber aus, und fand die Lieder nur zu kurz. Das ist das gröste Lob, sagte Klein rasch, was du mir geben kannst: denn keinen schärferen Tadel kenne ich für ein Gedicht oder Musikstück, als wenn man sagt, es ist zu lang. Bei dieser Gelegenheit kam es zur Sprache, daß der Schillersche Knabe dem Götheschen Fischer sehr ähnlich sei, aber niemand wagte zu entscheiden, ob Schiller die Göthesche Ballade in zwei Verse zusammengezogen, oder ob Göthe in seiner plastischen Weise den Schillerschen Gedanken weiter ausgeführt habe. Bei der Abfahrt von Treptow bemerkten wir, daß zwei Kähne mit Offizieren uns folgten, und sich bald in größerer, bald in geringerer Entfernung hielten. Sie genossen wie wir der schönen Nacht, und des noch schöneren Gesanges. In Folge davon ließen sich einige dieser Offiziere in das Haus meines Vaters einführen. Es waren feine gebildete Leute, aber es machte sich kein rechtes Verhältniß zu ihnen; Klein sagte in seiner boshaften Weise: sie vermehren nur die Bewohner von Lillis Park! </p><lb/> <p>Um dieselbe Zeit kündigte uns Frau von der Recke den Besuch eines böhmischen Prämonstratenser-Mönches an, des Paters Diettrich aus Kloster Ossegk, den sie in Karlsbad kennen gelernt. Wir erwarteten einen langbärtigen Kuttenträger mit einem Strick um die Hüften und ledernen Sandalen, waren daher sehr verwundert, einen schlichten freundlichen Mann in bürgerlicher Tracht, ohne irgend ein Abzeichen seines klösterlichen Standes zu sehn. Dieser </p> </div> </body> </text> </TEI> [201/0209]
Wenn bei stillgehaltenen Rudern die reinen Akkorde über die glatte Wasserfläche dahinschwebten, so war die Wirkung eine überaus ergreifende. Die Lieder aus dem Tell mußten gleich wiederholt werden. Ich sprach meine innige Freude darüber aus, und fand die Lieder nur zu kurz. Das ist das gröste Lob, sagte Klein rasch, was du mir geben kannst: denn keinen schärferen Tadel kenne ich für ein Gedicht oder Musikstück, als wenn man sagt, es ist zu lang. Bei dieser Gelegenheit kam es zur Sprache, daß der Schillersche Knabe dem Götheschen Fischer sehr ähnlich sei, aber niemand wagte zu entscheiden, ob Schiller die Göthesche Ballade in zwei Verse zusammengezogen, oder ob Göthe in seiner plastischen Weise den Schillerschen Gedanken weiter ausgeführt habe. Bei der Abfahrt von Treptow bemerkten wir, daß zwei Kähne mit Offizieren uns folgten, und sich bald in größerer, bald in geringerer Entfernung hielten. Sie genossen wie wir der schönen Nacht, und des noch schöneren Gesanges. In Folge davon ließen sich einige dieser Offiziere in das Haus meines Vaters einführen. Es waren feine gebildete Leute, aber es machte sich kein rechtes Verhältniß zu ihnen; Klein sagte in seiner boshaften Weise: sie vermehren nur die Bewohner von Lillis Park!
Um dieselbe Zeit kündigte uns Frau von der Recke den Besuch eines böhmischen Prämonstratenser-Mönches an, des Paters Diettrich aus Kloster Ossegk, den sie in Karlsbad kennen gelernt. Wir erwarteten einen langbärtigen Kuttenträger mit einem Strick um die Hüften und ledernen Sandalen, waren daher sehr verwundert, einen schlichten freundlichen Mann in bürgerlicher Tracht, ohne irgend ein Abzeichen seines klösterlichen Standes zu sehn. Dieser
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/209>, abgerufen am 05.07.2024. |