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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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Lilli und Klein 1818.

In dem weiten geselligen Kreise unseres Hauses waltete meine Schwester Lilli als das anregende und belebende Princip. Sie übte, ohne es zu wollen oder auch nur zu ahnen, auf alle ihre Umgebungen eine anziehende Kraft aus. Ihr liebes rundes Gesichtchen war keineswegs schön zu nennen, aber sie blickte aus den seelenvollsten Augen, die man anfangs für blau hielt; sie waren aber nur grün oder grau. Ganz unerträglich kam es mir vor, daß ihre Kurzsichtigkeit ihr sehr bald beim Notenlesen eine Brille aufnöthigte, aber sie scherzte darüber auf eine so anmuthige Weise, daß ich zuletzt mit dieser "unerläßlichen Lichtblendung" ausgesöhnt wurde. Bei einer schlanken und vollen Gestalt hatte sie die kleinsten Hände und die zierlichsten Füße; ihr Gang war ein leichtes Dahinschweben. Ihre schöne volle Bruststimme, mehr Alt als Sopran, ging zum Herzen.

Von erster Jugend an waren wir gewohnt, alles was unser Inneres bewegte, uns mitzutheilen, alle Erlebnisse mitzuerleben, und diese glückliche Gegenseitigkeit erhielt sich bis an Lillis frühzeitigen Tod (1829) in ungeschwächter Kraft. An sie richtete ich meine ersten Gedichte; bei allem, was mir als Knabe oder Jüngling gelang, dachte ich immer zuerst: wie wird sich Lilli freuen! Wenn bei

Lilli und Klein 1818.

In dem weiten geselligen Kreise unseres Hauses waltete meine Schwester Lilli als das anregende und belebende Princip. Sie übte, ohne es zu wollen oder auch nur zu ahnen, auf alle ihre Umgebungen eine anziehende Kraft aus. Ihr liebes rundes Gesichtchen war keineswegs schön zu nennen, aber sie blickte aus den seelenvollsten Augen, die man anfangs für blau hielt; sie waren aber nur grün oder grau. Ganz unerträglich kam es mir vor, daß ihre Kurzsichtigkeit ihr sehr bald beim Notenlesen eine Brille aufnöthigte, aber sie scherzte darüber auf eine so anmuthige Weise, daß ich zuletzt mit dieser „unerläßlichen Lichtblendung“ ausgesöhnt wurde. Bei einer schlanken und vollen Gestalt hatte sie die kleinsten Hände und die zierlichsten Füße; ihr Gang war ein leichtes Dahinschweben. Ihre schöne volle Bruststimme, mehr Alt als Sopran, ging zum Herzen.

Von erster Jugend an waren wir gewohnt, alles was unser Inneres bewegte, uns mitzutheilen, alle Erlebnisse mitzuerleben, und diese glückliche Gegenseitigkeit erhielt sich bis an Lillis frühzeitigen Tod (1829) in ungeschwächter Kraft. An sie richtete ich meine ersten Gedichte; bei allem, was mir als Knabe oder Jüngling gelang, dachte ich immer zuerst: wie wird sich Lilli freuen! Wenn bei

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[183/0191] Lilli und Klein 1818. In dem weiten geselligen Kreise unseres Hauses waltete meine Schwester Lilli als das anregende und belebende Princip. Sie übte, ohne es zu wollen oder auch nur zu ahnen, auf alle ihre Umgebungen eine anziehende Kraft aus. Ihr liebes rundes Gesichtchen war keineswegs schön zu nennen, aber sie blickte aus den seelenvollsten Augen, die man anfangs für blau hielt; sie waren aber nur grün oder grau. Ganz unerträglich kam es mir vor, daß ihre Kurzsichtigkeit ihr sehr bald beim Notenlesen eine Brille aufnöthigte, aber sie scherzte darüber auf eine so anmuthige Weise, daß ich zuletzt mit dieser „unerläßlichen Lichtblendung“ ausgesöhnt wurde. Bei einer schlanken und vollen Gestalt hatte sie die kleinsten Hände und die zierlichsten Füße; ihr Gang war ein leichtes Dahinschweben. Ihre schöne volle Bruststimme, mehr Alt als Sopran, ging zum Herzen. Von erster Jugend an waren wir gewohnt, alles was unser Inneres bewegte, uns mitzutheilen, alle Erlebnisse mitzuerleben, und diese glückliche Gegenseitigkeit erhielt sich bis an Lillis frühzeitigen Tod (1829) in ungeschwächter Kraft. An sie richtete ich meine ersten Gedichte; bei allem, was mir als Knabe oder Jüngling gelang, dachte ich immer zuerst: wie wird sich Lilli freuen! Wenn bei

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/191>, abgerufen am 24.11.2024.