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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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lich an geistreichen Wendungen, um diese Geschenke für den Freund nicht verletzend zu machen. So lebten wir in glücklicher Unbefangenheit fort, und niemand ahnete etwas böses, als am 26. Sept. 1817 Paul schreckensbleich zu mir eintrat mit der Nachricht, Ludwig habe sich in das Wasser gestürzt! Die Gründe dieser schrecklichen That sind uns nie bekannt geworden. Seine unglückliche Mutter war in jener Zeit verreist, und kam wenige Tage nachher zurück. Er soll einen Brief an sie hinterlassen haben, über dessen Inhalt nie etwas verlautete. Wir beide, Paul und ich, standen bei diesem Blitzstrahl, der so dicht vor uns eingeschlagen, in rathloser Verwunderung. Vergebens zerbrachen wir uns den Kopf, welche Gründe den Freund, dem eine reiche Aussicht in das Leben zu Genuß und That sich öffnete, zu jenem ungeheuern Entschluß gebracht haben konnten. Paul, der ihn alle Tage sah, bemerkte nicht die geringste Veränderung seiner frohen Stimmung; am Morgen selbst des verhängnißvollen Tages hatte er ihm in der Brüderstraße im Vorbeigehen die Hand gedrückt.

Wo mag er jetzt sein? sagte Paul eines Abends, als wir betrübt beisammen saßen; oder hat er aufgehört zu sein? Dies letzte wollte ich nicht zugeben, sondern erklärte meinen festen Glauben an eine Fortdauer nach dem Tode. Kannst du dir denken, fragte Paul weiter, daß er sein irdisches Selbstbewußtsein beibehalten? Hier stieß ich allerdings schon an: denn der jenseitige Zustand mußte von dem diesseitigen wesentlich abweichen, doch sprach ich mich entschieden dahin aus, daß seine Seele lebendig geblieben sei. Wenn er demnach sein lebendiges Bewußtsein bewahrt hat, sagte Paul, so folgt daraus mit Nothwendigkeit,

lich an geistreichen Wendungen, um diese Geschenke für den Freund nicht verletzend zu machen. So lebten wir in glücklicher Unbefangenheit fort, und niemand ahnete etwas böses, als am 26. Sept. 1817 Paul schreckensbleich zu mir eintrat mit der Nachricht, Ludwig habe sich in das Wasser gestürzt! Die Gründe dieser schrecklichen That sind uns nie bekannt geworden. Seine unglückliche Mutter war in jener Zeit verreist, und kam wenige Tage nachher zurück. Er soll einen Brief an sie hinterlassen haben, über dessen Inhalt nie etwas verlautete. Wir beide, Paul und ich, standen bei diesem Blitzstrahl, der so dicht vor uns eingeschlagen, in rathloser Verwunderung. Vergebens zerbrachen wir uns den Kopf, welche Gründe den Freund, dem eine reiche Aussicht in das Leben zu Genuß und That sich öffnete, zu jenem ungeheuern Entschluß gebracht haben konnten. Paul, der ihn alle Tage sah, bemerkte nicht die geringste Veränderung seiner frohen Stimmung; am Morgen selbst des verhängnißvollen Tages hatte er ihm in der Brüderstraße im Vorbeigehen die Hand gedrückt.

Wo mag er jetzt sein? sagte Paul eines Abends, als wir betrübt beisammen saßen; oder hat er aufgehört zu sein? Dies letzte wollte ich nicht zugeben, sondern erklärte meinen festen Glauben an eine Fortdauer nach dem Tode. Kannst du dir denken, fragte Paul weiter, daß er sein irdisches Selbstbewußtsein beibehalten? Hier stieß ich allerdings schon an: denn der jenseitige Zustand mußte von dem diesseitigen wesentlich abweichen, doch sprach ich mich entschieden dahin aus, daß seine Seele lebendig geblieben sei. Wenn er demnach sein lebendiges Bewußtsein bewahrt hat, sagte Paul, so folgt daraus mit Nothwendigkeit,

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[157/0165] lich an geistreichen Wendungen, um diese Geschenke für den Freund nicht verletzend zu machen. So lebten wir in glücklicher Unbefangenheit fort, und niemand ahnete etwas böses, als am 26. Sept. 1817 Paul schreckensbleich zu mir eintrat mit der Nachricht, Ludwig habe sich in das Wasser gestürzt! Die Gründe dieser schrecklichen That sind uns nie bekannt geworden. Seine unglückliche Mutter war in jener Zeit verreist, und kam wenige Tage nachher zurück. Er soll einen Brief an sie hinterlassen haben, über dessen Inhalt nie etwas verlautete. Wir beide, Paul und ich, standen bei diesem Blitzstrahl, der so dicht vor uns eingeschlagen, in rathloser Verwunderung. Vergebens zerbrachen wir uns den Kopf, welche Gründe den Freund, dem eine reiche Aussicht in das Leben zu Genuß und That sich öffnete, zu jenem ungeheuern Entschluß gebracht haben konnten. Paul, der ihn alle Tage sah, bemerkte nicht die geringste Veränderung seiner frohen Stimmung; am Morgen selbst des verhängnißvollen Tages hatte er ihm in der Brüderstraße im Vorbeigehen die Hand gedrückt. Wo mag er jetzt sein? sagte Paul eines Abends, als wir betrübt beisammen saßen; oder hat er aufgehört zu sein? Dies letzte wollte ich nicht zugeben, sondern erklärte meinen festen Glauben an eine Fortdauer nach dem Tode. Kannst du dir denken, fragte Paul weiter, daß er sein irdisches Selbstbewußtsein beibehalten? Hier stieß ich allerdings schon an: denn der jenseitige Zustand mußte von dem diesseitigen wesentlich abweichen, doch sprach ich mich entschieden dahin aus, daß seine Seele lebendig geblieben sei. Wenn er demnach sein lebendiges Bewußtsein bewahrt hat, sagte Paul, so folgt daraus mit Nothwendigkeit,

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/165>, abgerufen am 19.05.2024.