Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].liebe, die ich schon im Saale des großen Gartens beobachtet, ging ich gleich am nächsten Morgen zu Sundelin, traf ihn auch richtig noch im Bette. Nur nach einigem Widerstreben nahm er die Guitarre zur Hand, indem er bemerkte, die Spinne komme doch nicht alle Tage. Er begann zu klimpern, aber die Spinne ließ sich nicht sehn. Ich war so erpicht auf diese Bekanntschaft, daß ich meine Morgengänge mehr als einmal, aber immer vergeblich wiederholte. Zuletzt konnte ich mich des Verdachtes nicht erwehren, daß es sich mit dem Spinnenbesuche eben so verhalte, wie mit der Audienz bei Napoleon I. Mit Sundelins ärztlicher Praxis in Berlin ging es sehr gut, da er als Ammanuensis dem treflichen Kliniker und Semiotiker, Geheimerath Behrends zur Seite stand. Später wurde Sundelin als Kreis- oder Stadtphysikus nach Posen versetzt und starb dort im besten Mannesalter. Ein Landsmann von Stüve, Dr. Ludwig Abeken aus Osnabrück, hatte ebenfalls beim Lützowschen Corps gedient, und stand jetzt als Oberlehrer am Grauen Kloster. In ihm verehrte ich einen Ausbund aller philologischen Gelehrsamkeit. Er war in den griechischen und lateinischen Autoren vollkommen zu Hause; die meisten Chöre des Sophokles konnte er auswendig hersagen. Eben so bewandert war er in der Bibel, wie im Dante, Petrarca und Shakspeare; der spanische Don Quixote gehörte zu seinen Lieblingsbüchem. Die deutsche Litteratur von Lessing bis auf Göthe und Schiller stand ihm ganz zu Gebote. Dabei spielte er mit der grösten Geläufigkeit Klavier und suchte seinen Meister auf dem Schachbrette. An einer so außerordentlichen Vereinigung von Kenntnissen und Fertigkeiten sah ich mit Staunen empor, und liebe, die ich schon im Saale des großen Gartens beobachtet, ging ich gleich am nächsten Morgen zu Sundelin, traf ihn auch richtig noch im Bette. Nur nach einigem Widerstreben nahm er die Guitarre zur Hand, indem er bemerkte, die Spinne komme doch nicht alle Tage. Er begann zu klimpern, aber die Spinne ließ sich nicht sehn. Ich war so erpicht auf diese Bekanntschaft, daß ich meine Morgengänge mehr als einmal, aber immer vergeblich wiederholte. Zuletzt konnte ich mich des Verdachtes nicht erwehren, daß es sich mit dem Spinnenbesuche eben so verhalte, wie mit der Audienz bei Napoléon I. Mit Sundelins ärztlicher Praxis in Berlin ging es sehr gut, da er als Ammanuensis dem treflichen Kliniker und Semiotiker, Geheimerath Behrends zur Seite stand. Später wurde Sundelin als Kreis- oder Stadtphysikus nach Posen versetzt und starb dort im besten Mannesalter. Ein Landsmann von Stüve, Dr. Ludwig Abeken aus Osnabrück, hatte ebenfalls beim Lützowschen Corps gedient, und stand jetzt als Oberlehrer am Grauen Kloster. In ihm verehrte ich einen Ausbund aller philologischen Gelehrsamkeit. Er war in den griechischen und lateinischen Autoren vollkommen zu Hause; die meisten Chöre des Sophokles konnte er auswendig hersagen. Eben so bewandert war er in der Bibel, wie im Dante, Petrarca und Shakspeare; der spanische Don Quixote gehörte zu seinen Lieblingsbüchem. Die deutsche Litteratur von Lessing bis auf Göthe und Schiller stand ihm ganz zu Gebote. Dabei spielte er mit der grösten Geläufigkeit Klavier und suchte seinen Meister auf dem Schachbrette. An einer so außerordentlichen Vereinigung von Kenntnissen und Fertigkeiten sah ich mit Staunen empor, und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0158" n="150"/> liebe, die ich schon im Saale des großen Gartens beobachtet, ging ich gleich am nächsten Morgen zu Sundelin, traf ihn auch richtig noch im Bette. Nur nach einigem Widerstreben nahm er die Guitarre zur Hand, indem er bemerkte, die Spinne komme doch nicht alle Tage. Er begann zu klimpern, aber die Spinne ließ sich nicht sehn. Ich war so erpicht auf diese Bekanntschaft, daß ich meine Morgengänge mehr als einmal, aber immer vergeblich wiederholte. Zuletzt konnte ich mich des Verdachtes nicht erwehren, daß es sich mit dem Spinnenbesuche eben so verhalte, wie mit der Audienz bei Napoléon I. </p><lb/> <p>Mit Sundelins ärztlicher Praxis in Berlin ging es sehr gut, da er als Ammanuensis dem treflichen Kliniker und Semiotiker, Geheimerath Behrends zur Seite stand. Später wurde Sundelin als Kreis- oder Stadtphysikus nach Posen versetzt und starb dort im besten Mannesalter. </p><lb/> <p>Ein Landsmann von Stüve, Dr. Ludwig Abeken aus Osnabrück, hatte ebenfalls beim Lützowschen Corps gedient, und stand jetzt als Oberlehrer am Grauen Kloster. In ihm verehrte ich einen Ausbund aller philologischen Gelehrsamkeit. Er war in den griechischen und lateinischen Autoren vollkommen zu Hause; die meisten Chöre des Sophokles konnte er auswendig hersagen. Eben so bewandert war er in der Bibel, wie im Dante, Petrarca und Shakspeare; der spanische Don Quixote gehörte zu seinen Lieblingsbüchem. Die deutsche Litteratur von Lessing bis auf Göthe und Schiller stand ihm ganz zu Gebote. Dabei spielte er mit der grösten Geläufigkeit Klavier und suchte seinen Meister auf dem Schachbrette. An einer so außerordentlichen Vereinigung von Kenntnissen und Fertigkeiten sah ich mit Staunen empor, und </p> </div> </body> </text> </TEI> [150/0158]
liebe, die ich schon im Saale des großen Gartens beobachtet, ging ich gleich am nächsten Morgen zu Sundelin, traf ihn auch richtig noch im Bette. Nur nach einigem Widerstreben nahm er die Guitarre zur Hand, indem er bemerkte, die Spinne komme doch nicht alle Tage. Er begann zu klimpern, aber die Spinne ließ sich nicht sehn. Ich war so erpicht auf diese Bekanntschaft, daß ich meine Morgengänge mehr als einmal, aber immer vergeblich wiederholte. Zuletzt konnte ich mich des Verdachtes nicht erwehren, daß es sich mit dem Spinnenbesuche eben so verhalte, wie mit der Audienz bei Napoléon I.
Mit Sundelins ärztlicher Praxis in Berlin ging es sehr gut, da er als Ammanuensis dem treflichen Kliniker und Semiotiker, Geheimerath Behrends zur Seite stand. Später wurde Sundelin als Kreis- oder Stadtphysikus nach Posen versetzt und starb dort im besten Mannesalter.
Ein Landsmann von Stüve, Dr. Ludwig Abeken aus Osnabrück, hatte ebenfalls beim Lützowschen Corps gedient, und stand jetzt als Oberlehrer am Grauen Kloster. In ihm verehrte ich einen Ausbund aller philologischen Gelehrsamkeit. Er war in den griechischen und lateinischen Autoren vollkommen zu Hause; die meisten Chöre des Sophokles konnte er auswendig hersagen. Eben so bewandert war er in der Bibel, wie im Dante, Petrarca und Shakspeare; der spanische Don Quixote gehörte zu seinen Lieblingsbüchem. Die deutsche Litteratur von Lessing bis auf Göthe und Schiller stand ihm ganz zu Gebote. Dabei spielte er mit der grösten Geläufigkeit Klavier und suchte seinen Meister auf dem Schachbrette. An einer so außerordentlichen Vereinigung von Kenntnissen und Fertigkeiten sah ich mit Staunen empor, und
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/158>, abgerufen am 26.07.2024. |