Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].Bibliothek und fand die Stelle wirklich in dem "Versuch von Schäfergedichten 1768" p. 110. Der Schäfer fragt nämlich vorher: Ach! schöne Schäferin, nun ist's um mich geschehn! Der schwarze Schöps ist fort; hast du ihn nicht gesehn? Wenn Fräulein Stock sehr guter Laune war, so spielte sie uns auf dem Klaviere einen "Murki mit einem Trommelbaß", der seiner Zeit zu den beliebtesten Tänzen der Leipziger Jugend gehörte. In Bezug der aufzuführenden Stücke hatten wir keine große Wahl. Der fruchtbare Kotzebue beherrschte mit seinen seichten, aber bühnengerechten Produkten das deutsche Theater. Da das Publikum immer etwas neues verlangt, und er alle Jahre etwas neues brachte, so war er der Schriftsteller des Tages. Wir gaben von ihm nach und nach: das Strandrecht, die Unglücklichen, die Rosen des Herrn von Malesherbes, Don Ranudo de Colibrados, die deutschen Kleinstädter, der gerade Weg ist der beste. Außerdem: die Misverständnisse von Steigentesch, der Hund des Aubry von Wolf, Pyramus und Thisbe aus dem Sommernachtstraum. Bei den Leseproben zeigte Fräulein Stock sich von ihrer liebenswürdigsten Seite. Es ließ sich voraussetzen, daß jeder von uns sich einbildete, er lese seine Rolle ganz unübertrefflich. Da wußte sie nun die feinsten ermahnenden Bemerkungen einzustreuen, die das allzugroße Selbstvertrauen auf eine gutmüthige Weise dämpften. Man erkannte sogleich, daß sie Recht habe, und fühlte sich doch nicht verletzt. So ließ sie uns die Ueberlegenheit ihres Geistes auf eine wohlthuende Weise empfinden. Bibliothek und fand die Stelle wirklich in dem „Versuch von Schäfergedichten 1768“ p. 110. Der Schäfer fragt nämlich vorher: Ach! schöne Schäferin, nun ist’s um mich geschehn! Der schwarze Schöps ist fort; hast du ihn nicht gesehn? Wenn Fräulein Stock sehr guter Laune war, so spielte sie uns auf dem Klaviere einen „Murki mit einem Trommelbaß“, der seiner Zeit zu den beliebtesten Tänzen der Leipziger Jugend gehörte. In Bezug der aufzuführenden Stücke hatten wir keine große Wahl. Der fruchtbare Kotzebue beherrschte mit seinen seichten, aber bühnengerechten Produkten das deutsche Theater. Da das Publikum immer etwas neues verlangt, und er alle Jahre etwas neues brachte, so war er der Schriftsteller des Tages. Wir gaben von ihm nach und nach: das Strandrecht, die Unglücklichen, die Rosen des Herrn von Malesherbes, Don Ranudo de Colibrados, die deutschen Kleinstädter, der gerade Weg ist der beste. Außerdem: die Misverständnisse von Steigentesch, der Hund des Aubry von Wolf, Pyramus und Thisbe aus dem Sommernachtstraum. Bei den Leseproben zeigte Fräulein Stock sich von ihrer liebenswürdigsten Seite. Es ließ sich voraussetzen, daß jeder von uns sich einbildete, er lese seine Rolle ganz unübertrefflich. Da wußte sie nun die feinsten ermahnenden Bemerkungen einzustreuen, die das allzugroße Selbstvertrauen auf eine gutmüthige Weise dämpften. Man erkannte sogleich, daß sie Recht habe, und fühlte sich doch nicht verletzt. So ließ sie uns die Ueberlegenheit ihres Geistes auf eine wohlthuende Weise empfinden. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0139" n="131"/> Bibliothek und fand die Stelle wirklich in dem „Versuch von Schäfergedichten 1768“ p. 110. Der Schäfer fragt nämlich vorher: </p><lb/> <p>Ach! schöne Schäferin, nun ist’s um mich geschehn! </p><lb/> <p>Der schwarze Schöps ist fort; hast du ihn nicht gesehn? </p><lb/> <p>Wenn Fräulein Stock sehr guter Laune war, so spielte sie uns auf dem Klaviere einen „Murki mit einem Trommelbaß“, der seiner Zeit zu den beliebtesten Tänzen der Leipziger Jugend gehörte. </p><lb/> <p>In Bezug der aufzuführenden Stücke hatten wir keine große Wahl. Der fruchtbare Kotzebue beherrschte mit seinen seichten, aber bühnengerechten Produkten das deutsche Theater. Da das Publikum immer etwas neues verlangt, und er alle Jahre etwas neues brachte, so war er der Schriftsteller des Tages. Wir gaben von ihm nach und nach: das Strandrecht, die Unglücklichen, die Rosen des Herrn von Malesherbes, Don Ranudo de Colibrados, die deutschen Kleinstädter, der gerade Weg ist der beste. Außerdem: die Misverständnisse von Steigentesch, der Hund des Aubry von Wolf, Pyramus und Thisbe aus dem Sommernachtstraum. </p><lb/> <p>Bei den Leseproben zeigte Fräulein Stock sich von ihrer liebenswürdigsten Seite. Es ließ sich voraussetzen, daß jeder von uns sich einbildete, er lese seine Rolle ganz unübertrefflich. Da wußte sie nun die feinsten ermahnenden Bemerkungen einzustreuen, die das allzugroße Selbstvertrauen auf eine gutmüthige Weise dämpften. Man erkannte sogleich, daß sie Recht habe, und fühlte sich doch nicht verletzt. So ließ sie uns die Ueberlegenheit ihres Geistes auf eine wohlthuende Weise empfinden. </p> </div> </body> </text> </TEI> [131/0139]
Bibliothek und fand die Stelle wirklich in dem „Versuch von Schäfergedichten 1768“ p. 110. Der Schäfer fragt nämlich vorher:
Ach! schöne Schäferin, nun ist’s um mich geschehn!
Der schwarze Schöps ist fort; hast du ihn nicht gesehn?
Wenn Fräulein Stock sehr guter Laune war, so spielte sie uns auf dem Klaviere einen „Murki mit einem Trommelbaß“, der seiner Zeit zu den beliebtesten Tänzen der Leipziger Jugend gehörte.
In Bezug der aufzuführenden Stücke hatten wir keine große Wahl. Der fruchtbare Kotzebue beherrschte mit seinen seichten, aber bühnengerechten Produkten das deutsche Theater. Da das Publikum immer etwas neues verlangt, und er alle Jahre etwas neues brachte, so war er der Schriftsteller des Tages. Wir gaben von ihm nach und nach: das Strandrecht, die Unglücklichen, die Rosen des Herrn von Malesherbes, Don Ranudo de Colibrados, die deutschen Kleinstädter, der gerade Weg ist der beste. Außerdem: die Misverständnisse von Steigentesch, der Hund des Aubry von Wolf, Pyramus und Thisbe aus dem Sommernachtstraum.
Bei den Leseproben zeigte Fräulein Stock sich von ihrer liebenswürdigsten Seite. Es ließ sich voraussetzen, daß jeder von uns sich einbildete, er lese seine Rolle ganz unübertrefflich. Da wußte sie nun die feinsten ermahnenden Bemerkungen einzustreuen, die das allzugroße Selbstvertrauen auf eine gutmüthige Weise dämpften. Man erkannte sogleich, daß sie Recht habe, und fühlte sich doch nicht verletzt. So ließ sie uns die Ueberlegenheit ihres Geistes auf eine wohlthuende Weise empfinden.
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/139>, abgerufen am 26.07.2024. |