Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

- Es kostet, fuhr Dähling fort, Ihren Vater nur ein Wort an den Grafen Brühl, um alles, was wir brauchen, aus der Theatergarderobe zu erhalten! Wir jubelten von neuem, denn wir sahen bald, daß Dähling im großen das leisten werde, was Kramer im kleinen gethan. Ueberdies erinnerten wir uns, daß in meiner Mutter Garderobe eine große Truhe mit alten, sehr massiven Nicolaischen Kleidern stand, darunter ein blauseidner Bratenrock mit Goldstickerei und besponnenen Knöpfen, eine karmesinrothe Weste mit Klappentaschen, ein Damenanzug mit der feinsten bunten Blumenstickerei, ein flacher Schäferhut, ein emaillirter Fächer u. s. w. Dies alles konnte auf das beste verwendet werden.

Als Fräulein Stock am folgenden Abend zu einer Partie Boston herunterkam, und von unserem Vorhaben hörte, erklärte sie aus freien Stücken, sie wolle gern die alten Rollen übernehmen. Dies brachte die ganze Sache erst in das rechte Schick; denn Fräulein Stock besaß die natürliche Fähigkeit, alles zu ordnen, und die etwa auftauchenden Differenzen auszugleichen. Da bei unserer kleinen Truppe eben so wenig von Brodneid, als von artistischen Eifersüchteleien die Rede war, so trugen diese gesellschaftlichen Spiele nicht wenig zu unserer Ausbildung bei. Fräulein Stock erzählte uns auch, daß sie schon in ihrer Jugend in Leipzig Komödie gespielt; das Jahr, wann dies gewesen, verbiete ihr die Bescheidenheit zu nennen; es seien damals die Rostschen Schäferspiele in Alexandrinern sehr beliebt gewesen; sie habe mit vielem Erfolg die zärtlichen Schäferinnen gegeben, und eine ihrer Rolle habe angefangen:

Ich deinen Schöps gesehn? ich dachte, was dir fehlte! Dies schien uns so überaus lächerlich, daß wir es gar nicht glauben wollten, aber der Bücherwurm Paul suchte in der

– Es kostet, fuhr Dähling fort, Ihren Vater nur ein Wort an den Grafen Brühl, um alles, was wir brauchen, aus der Theatergarderobe zu erhalten! Wir jubelten von neuem, denn wir sahen bald, daß Dähling im großen das leisten werde, was Kramer im kleinen gethan. Ueberdies erinnerten wir uns, daß in meiner Mutter Garderobe eine große Truhe mit alten, sehr massiven Nicolaischen Kleidern stand, darunter ein blauseidner Bratenrock mit Goldstickerei und besponnenen Knöpfen, eine karmesinrothe Weste mit Klappentaschen, ein Damenanzug mit der feinsten bunten Blumenstickerei, ein flacher Schäferhut, ein emaillirter Fächer u. s. w. Dies alles konnte auf das beste verwendet werden.

Als Fräulein Stock am folgenden Abend zu einer Partie Boston herunterkam, und von unserem Vorhaben hörte, erklärte sie aus freien Stücken, sie wolle gern die alten Rollen übernehmen. Dies brachte die ganze Sache erst in das rechte Schick; denn Fräulein Stock besaß die natürliche Fähigkeit, alles zu ordnen, und die etwa auftauchenden Differenzen auszugleichen. Da bei unserer kleinen Truppe eben so wenig von Brodneid, als von artistischen Eifersüchteleien die Rede war, so trugen diese gesellschaftlichen Spiele nicht wenig zu unserer Ausbildung bei. Fräulein Stock erzählte uns auch, daß sie schon in ihrer Jugend in Leipzig Komödie gespielt; das Jahr, wann dies gewesen, verbiete ihr die Bescheidenheit zu nennen; es seien damals die Rostschen Schäferspiele in Alexandrinern sehr beliebt gewesen; sie habe mit vielem Erfolg die zärtlichen Schäferinnen gegeben, und eine ihrer Rolle habe angefangen:

Ich deinen Schöps gesehn? ich dachte, was dir fehlte! Dies schien uns so überaus lächerlich, daß wir es gar nicht glauben wollten, aber der Bücherwurm Paul suchte in der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0138" n="130"/>
&#x2013; Es kostet, fuhr Dähling fort, Ihren Vater nur ein Wort an den Grafen Brühl, um alles, was wir brauchen, aus der Theatergarderobe zu erhalten! Wir jubelten von neuem, denn wir sahen bald, daß Dähling im großen das leisten werde, was Kramer im kleinen gethan. Ueberdies erinnerten wir uns, daß in meiner Mutter Garderobe eine große Truhe mit alten, sehr massiven Nicolaischen Kleidern stand, darunter ein blauseidner Bratenrock mit Goldstickerei und besponnenen Knöpfen, eine karmesinrothe Weste mit Klappentaschen, ein Damenanzug mit der feinsten bunten Blumenstickerei, ein flacher Schäferhut, ein emaillirter Fächer u. s. w. Dies alles konnte auf das beste verwendet werden. </p><lb/>
        <p>Als Fräulein Stock am folgenden Abend zu einer Partie Boston herunterkam, und von unserem Vorhaben hörte, erklärte sie aus freien Stücken, sie wolle gern die alten Rollen übernehmen. Dies brachte die ganze Sache erst in das rechte Schick; denn Fräulein Stock besaß die natürliche Fähigkeit, alles zu ordnen, und die etwa auftauchenden Differenzen auszugleichen. Da bei unserer kleinen Truppe eben so wenig von Brodneid, als von artistischen Eifersüchteleien die Rede war, so trugen diese gesellschaftlichen Spiele nicht wenig zu unserer Ausbildung bei. Fräulein Stock erzählte uns auch, daß sie schon in ihrer Jugend in Leipzig Komödie gespielt; das Jahr, wann dies gewesen, verbiete ihr die Bescheidenheit zu nennen; es seien damals die Rostschen Schäferspiele in Alexandrinern sehr beliebt gewesen; sie habe mit vielem Erfolg die zärtlichen Schäferinnen gegeben, und eine ihrer Rolle habe angefangen: </p><lb/>
        <p>Ich deinen Schöps gesehn? ich dachte, was dir fehlte! Dies schien uns so überaus lächerlich, daß wir es gar nicht glauben wollten, aber der Bücherwurm Paul suchte in der
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[130/0138] – Es kostet, fuhr Dähling fort, Ihren Vater nur ein Wort an den Grafen Brühl, um alles, was wir brauchen, aus der Theatergarderobe zu erhalten! Wir jubelten von neuem, denn wir sahen bald, daß Dähling im großen das leisten werde, was Kramer im kleinen gethan. Ueberdies erinnerten wir uns, daß in meiner Mutter Garderobe eine große Truhe mit alten, sehr massiven Nicolaischen Kleidern stand, darunter ein blauseidner Bratenrock mit Goldstickerei und besponnenen Knöpfen, eine karmesinrothe Weste mit Klappentaschen, ein Damenanzug mit der feinsten bunten Blumenstickerei, ein flacher Schäferhut, ein emaillirter Fächer u. s. w. Dies alles konnte auf das beste verwendet werden. Als Fräulein Stock am folgenden Abend zu einer Partie Boston herunterkam, und von unserem Vorhaben hörte, erklärte sie aus freien Stücken, sie wolle gern die alten Rollen übernehmen. Dies brachte die ganze Sache erst in das rechte Schick; denn Fräulein Stock besaß die natürliche Fähigkeit, alles zu ordnen, und die etwa auftauchenden Differenzen auszugleichen. Da bei unserer kleinen Truppe eben so wenig von Brodneid, als von artistischen Eifersüchteleien die Rede war, so trugen diese gesellschaftlichen Spiele nicht wenig zu unserer Ausbildung bei. Fräulein Stock erzählte uns auch, daß sie schon in ihrer Jugend in Leipzig Komödie gespielt; das Jahr, wann dies gewesen, verbiete ihr die Bescheidenheit zu nennen; es seien damals die Rostschen Schäferspiele in Alexandrinern sehr beliebt gewesen; sie habe mit vielem Erfolg die zärtlichen Schäferinnen gegeben, und eine ihrer Rolle habe angefangen: Ich deinen Schöps gesehn? ich dachte, was dir fehlte! Dies schien uns so überaus lächerlich, daß wir es gar nicht glauben wollten, aber der Bücherwurm Paul suchte in der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/138
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/138>, abgerufen am 19.05.2024.