Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].Tag in Don Juans frivole Scherze hereinklingt, eine Reminiscenz aus dem Orakel in der Alceste sei. Diese Oper sei zwar früher geschrieben als der Don Juan, allein es sei sehr zweifelhaft, ob Mozart davon Kenntniß gehabt. Den Ritter Gluck sah mein Vater in Strasburg im Theater sitzen. Er hatte ein blasses pockennarbiges Gesicht und keinen auffallend geistreichen Ausdruck. Als mein Vater ihn am folgenden Tage in seinem Gasthofe besuchen wollte, war er bereits abgereist. Hatten wir schon als Kinder, auf Fritzens Antrieb, manchen langen Winterabend mit improvisirten Schauspielen hingebracht, so regte sich bei zunehmenden Jahren immer mehr die Lust zum Theater. Eine Weihnachtsbescheerung brachte uns ein kleines Puppenspiel, das auf alle Weise herhalten mußte. Die Figuren wurden nicht von oben an Fäden regiert, sondern ganz einfach von der Seite her an einem Drahte aus den Kulissen geschoben. Paul besaß eine große Leichtigkeit im Versemachen; er verfertigte für unsere Duodezbühne einige Ritter- und Schauderstücke, die bei den versammelten Nachbarskindem und dem Dienstpersonale Staunen erregten. Im Jahre 1814 gab er uns ein patriotisches Freiheitstück, das den Sturz Napoleons I. behandelte, in welchem ein edler preußischer Offizier, der stark an Engels dankbaren Sohn erinnerte, die Hauptrolle hatte. Doch in dem Maaße, wie unser Repertoir sich vermehrte, reichten die Dekorationen und Figuren nicht aus. Immer neue anzuschaffen, überstieg bei weitem die Kräfte unseres Taschengeldes. So reichlich mein Vater dies Tag in Don Juans frivole Scherze hereinklingt, eine Reminiscenz aus dem Orakel in der Alceste sei. Diese Oper sei zwar früher geschrieben als der Don Juan, allein es sei sehr zweifelhaft, ob Mozart davon Kenntniß gehabt. Den Ritter Gluck sah mein Vater in Strasburg im Theater sitzen. Er hatte ein blasses pockennarbiges Gesicht und keinen auffallend geistreichen Ausdruck. Als mein Vater ihn am folgenden Tage in seinem Gasthofe besuchen wollte, war er bereits abgereist. Hatten wir schon als Kinder, auf Fritzens Antrieb, manchen langen Winterabend mit improvisirten Schauspielen hingebracht, so regte sich bei zunehmenden Jahren immer mehr die Lust zum Theater. Eine Weihnachtsbescheerung brachte uns ein kleines Puppenspiel, das auf alle Weise herhalten mußte. Die Figuren wurden nicht von oben an Fäden regiert, sondern ganz einfach von der Seite her an einem Drahte aus den Kulissen geschoben. Paul besaß eine große Leichtigkeit im Versemachen; er verfertigte für unsere Duodezbühne einige Ritter- und Schauderstücke, die bei den versammelten Nachbarskindem und dem Dienstpersonale Staunen erregten. Im Jahre 1814 gab er uns ein patriotisches Freiheitstück, das den Sturz Napoléons I. behandelte, in welchem ein edler preußischer Offizier, der stark an Engels dankbaren Sohn erinnerte, die Hauptrolle hatte. Doch in dem Maaße, wie unser Repertoir sich vermehrte, reichten die Dekorationen und Figuren nicht aus. Immer neue anzuschaffen, überstieg bei weitem die Kräfte unseres Taschengeldes. So reichlich mein Vater dies <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0133" n="125"/> Tag in Don Juans frivole Scherze hereinklingt, eine Reminiscenz aus dem Orakel in der Alceste sei. Diese Oper sei zwar früher geschrieben als der Don Juan, allein es sei sehr zweifelhaft, ob Mozart davon Kenntniß gehabt. </p><lb/> <p>Den Ritter Gluck sah mein Vater in Strasburg im Theater sitzen. Er hatte ein blasses pockennarbiges Gesicht und keinen auffallend geistreichen Ausdruck. Als mein Vater ihn am folgenden Tage in seinem Gasthofe besuchen wollte, war er bereits abgereist. </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Hatten wir schon als Kinder, auf Fritzens Antrieb, manchen langen Winterabend mit improvisirten Schauspielen hingebracht, so regte sich bei zunehmenden Jahren immer mehr die Lust zum Theater. Eine Weihnachtsbescheerung brachte uns ein kleines Puppenspiel, das auf alle Weise herhalten mußte. Die Figuren wurden nicht von oben an Fäden regiert, sondern ganz einfach von der Seite her an einem Drahte aus den Kulissen geschoben. Paul besaß eine große Leichtigkeit im Versemachen; er verfertigte für unsere Duodezbühne einige Ritter- und Schauderstücke, die bei den versammelten Nachbarskindem und dem Dienstpersonale Staunen erregten. Im Jahre 1814 gab er uns ein patriotisches Freiheitstück, das den Sturz Napoléons I. behandelte, in welchem ein edler preußischer Offizier, der stark an Engels dankbaren Sohn erinnerte, die Hauptrolle hatte. </p><lb/> <p>Doch in dem Maaße, wie unser Repertoir sich vermehrte, reichten die Dekorationen und Figuren nicht aus. Immer neue anzuschaffen, überstieg bei weitem die Kräfte unseres Taschengeldes. So reichlich mein Vater dies </p> </div> </body> </text> </TEI> [125/0133]
Tag in Don Juans frivole Scherze hereinklingt, eine Reminiscenz aus dem Orakel in der Alceste sei. Diese Oper sei zwar früher geschrieben als der Don Juan, allein es sei sehr zweifelhaft, ob Mozart davon Kenntniß gehabt.
Den Ritter Gluck sah mein Vater in Strasburg im Theater sitzen. Er hatte ein blasses pockennarbiges Gesicht und keinen auffallend geistreichen Ausdruck. Als mein Vater ihn am folgenden Tage in seinem Gasthofe besuchen wollte, war er bereits abgereist.
Hatten wir schon als Kinder, auf Fritzens Antrieb, manchen langen Winterabend mit improvisirten Schauspielen hingebracht, so regte sich bei zunehmenden Jahren immer mehr die Lust zum Theater. Eine Weihnachtsbescheerung brachte uns ein kleines Puppenspiel, das auf alle Weise herhalten mußte. Die Figuren wurden nicht von oben an Fäden regiert, sondern ganz einfach von der Seite her an einem Drahte aus den Kulissen geschoben. Paul besaß eine große Leichtigkeit im Versemachen; er verfertigte für unsere Duodezbühne einige Ritter- und Schauderstücke, die bei den versammelten Nachbarskindem und dem Dienstpersonale Staunen erregten. Im Jahre 1814 gab er uns ein patriotisches Freiheitstück, das den Sturz Napoléons I. behandelte, in welchem ein edler preußischer Offizier, der stark an Engels dankbaren Sohn erinnerte, die Hauptrolle hatte.
Doch in dem Maaße, wie unser Repertoir sich vermehrte, reichten die Dekorationen und Figuren nicht aus. Immer neue anzuschaffen, überstieg bei weitem die Kräfte unseres Taschengeldes. So reichlich mein Vater dies
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/133>, abgerufen am 26.07.2024. |