Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].doch sei er ein ganz respektabler Schauspieler. Beim Gehn setzte er jeden Fuß mit der vollkommensten Ueberlegung, beim Stehn balancirte er genau, um den Schwerpunkt nicht zu verlieren, und beim Sprechen hielt er es für Leichtigkeit des Vortrages, über die Kommata und Punkte wegzuhüpfen. Unter dem weiblichen Personale aus der guten alten Zeit stand Frau Bethmann obenan, die ich am Schlusse ihrer künstlerischen Laufbahn bewunderte. In Weimar betrat sie zuerst die Bühne. Sie hieß Petersilie. Göthe fand diesen Namen zu unästhetisch und änderte ihn aus eigner Machtvollkommenheit in Silie. Unter seiner einsichtigen Leitung entfaltete sich ihr Talent zur schönsten Blüte. Im Fache der zärtlichen und neckischen Geliebten, der innigen und hingebenden Frauen, der rührenden verfolgten Unschuld war sie unübertroffen. Hierbei wurde sie besonders unterstützt durch ein melodisches, bis ins Mark der Seele dringendes Organ. Sehr erinnerlich ist sie mir als Aline, Königin von Golkonda, wo sie in den ländlichen Scenen einen unbeschreiblichen Liebreiz zeigte. Nachdem sie lange Zeit mit Ruhm an der Berliner Bühne gewirkt, wünschte sie nun auch eine erwachsene Tochter aufs Theater zu bringen; allein sie bedachte nicht, daß Talente sich in den seltensten Fällen vererben. Vergebens riethen die Freunde von dem gewagten Experimente ab; sie bestand auf ihrem Sinne. Der Tochter fehlte es an Gestalt, an Stimme, an Gewandtheit, kurz an allen Eigenschaften einer Schauspielerin; bei ihrem ersten Auftreten ward sie ausgezischt. Da stürzte die Mutter in ihrem gewöhnlichen Hauskleide aus den Kulissen hervor, und rief, ihre Tochter bei der Hand wegführend, im höchsten doch sei er ein ganz respektabler Schauspieler. Beim Gehn setzte er jeden Fuß mit der vollkommensten Ueberlegung, beim Stehn balancirte er genau, um den Schwerpunkt nicht zu verlieren, und beim Sprechen hielt er es für Leichtigkeit des Vortrages, über die Kommata und Punkte wegzuhüpfen. Unter dem weiblichen Personale aus der guten alten Zeit stand Frau Bethmann obenan, die ich am Schlusse ihrer künstlerischen Laufbahn bewunderte. In Weimar betrat sie zuerst die Bühne. Sie hieß Petersilie. Göthe fand diesen Namen zu unästhetisch und änderte ihn aus eigner Machtvollkommenheit in Silie. Unter seiner einsichtigen Leitung entfaltete sich ihr Talent zur schönsten Blüte. Im Fache der zärtlichen und neckischen Geliebten, der innigen und hingebenden Frauen, der rührenden verfolgten Unschuld war sie unübertroffen. Hierbei wurde sie besonders unterstützt durch ein melodisches, bis ins Mark der Seele dringendes Organ. Sehr erinnerlich ist sie mir als Aline, Königin von Golkonda, wo sie in den ländlichen Scenen einen unbeschreiblichen Liebreiz zeigte. Nachdem sie lange Zeit mit Ruhm an der Berliner Bühne gewirkt, wünschte sie nun auch eine erwachsene Tochter aufs Theater zu bringen; allein sie bedachte nicht, daß Talente sich in den seltensten Fällen vererben. Vergebens riethen die Freunde von dem gewagten Experimente ab; sie bestand auf ihrem Sinne. Der Tochter fehlte es an Gestalt, an Stimme, an Gewandtheit, kurz an allen Eigenschaften einer Schauspielerin; bei ihrem ersten Auftreten ward sie ausgezischt. Da stürzte die Mutter in ihrem gewöhnlichen Hauskleide aus den Kulissen hervor, und rief, ihre Tochter bei der Hand wegführend, im höchsten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0111" n="103"/> doch sei er ein ganz respektabler Schauspieler. 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doch sei er ein ganz respektabler Schauspieler. Beim Gehn setzte er jeden Fuß mit der vollkommensten Ueberlegung, beim Stehn balancirte er genau, um den Schwerpunkt nicht zu verlieren, und beim Sprechen hielt er es für Leichtigkeit des Vortrages, über die Kommata und Punkte wegzuhüpfen.
Unter dem weiblichen Personale aus der guten alten Zeit stand Frau Bethmann obenan, die ich am Schlusse ihrer künstlerischen Laufbahn bewunderte. In Weimar betrat sie zuerst die Bühne. Sie hieß Petersilie. Göthe fand diesen Namen zu unästhetisch und änderte ihn aus eigner Machtvollkommenheit in Silie. Unter seiner einsichtigen Leitung entfaltete sich ihr Talent zur schönsten Blüte. Im Fache der zärtlichen und neckischen Geliebten, der innigen und hingebenden Frauen, der rührenden verfolgten Unschuld war sie unübertroffen. Hierbei wurde sie besonders unterstützt durch ein melodisches, bis ins Mark der Seele dringendes Organ. Sehr erinnerlich ist sie mir als Aline, Königin von Golkonda, wo sie in den ländlichen Scenen einen unbeschreiblichen Liebreiz zeigte.
Nachdem sie lange Zeit mit Ruhm an der Berliner Bühne gewirkt, wünschte sie nun auch eine erwachsene Tochter aufs Theater zu bringen; allein sie bedachte nicht, daß Talente sich in den seltensten Fällen vererben. Vergebens riethen die Freunde von dem gewagten Experimente ab; sie bestand auf ihrem Sinne. Der Tochter fehlte es an Gestalt, an Stimme, an Gewandtheit, kurz an allen Eigenschaften einer Schauspielerin; bei ihrem ersten Auftreten ward sie ausgezischt. Da stürzte die Mutter in ihrem gewöhnlichen Hauskleide aus den Kulissen hervor, und rief, ihre Tochter bei der Hand wegführend, im höchsten
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