Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].Gendarmen abgesperrt. Mein Vater nahm mich öfter mit, und wir fanden immer noch Platz: denn der Zudrang war nie sehr groß. Bei dem folgenden Vorfalle war ich nicht zugegen, sondern weiß ihn nur aus meines Vaters Erzählung. Als eines Tages die Parade beinahe beendigt war, drängte sich eine Frau aus den Reihen der Zuschauer zwischen zwei Gendarmen durch, und lief, ein Papier in der erhobenen Hand haltend, gerade auf den Kaiser zu. Die Gendarmen eilten ihr nach, allein sie hatte einen ziemlichen Vorsprung. Der Kaiser stand ganz ruhig, bis sie herankam, und ihm zu Füßen fiel, dann erst winkte er mit der Hand den Gendarmen zur Rückkehr. Nun bildete sich ein dichter Kreis von Offizieren, der die Aussicht versperrte. Es zeigte sich bei dieser Kleinigkeit der überlegende Verstand des Kaisers: hätte er früher gewinkt, so würde die Bittstellerin zurückgescheucht worden sein. Man erfuhr späterhin, es sei eine Frau aus dem Volke gewesen, die für ihren gefangen gehaltenen Mann Gnade erbitten wollte, sie hatte gehofft, auf diese ungewöhnliche Weise ihrer Supplik einen größeren Nachdruck zu geben; doch verlautete weiter nicht, ob sie ihren Zweck erreicht habe. Des Kaisers Verhalten gegen die Fürstin v. Hatzfeld, das den Franzosen als ein Beweis von Napoleons Grosmuth gilt, wurde auch in der Stadt bekannt, machte aber keinen außerordentlichen Eindruck. Der frühere preußische Minister, Fürst v. Hatzfeld, war des Verrathes beschuldigt. Man hatte einen Brief von ihm aufgefangen, worin er von Berlin aus Nachrichten über die Stärke und die Absichten der Franzosen in das preußische Haupt- Gendarmen abgesperrt. Mein Vater nahm mich öfter mit, und wir fanden immer noch Platz: denn der Zudrang war nie sehr groß. Bei dem folgenden Vorfalle war ich nicht zugegen, sondern weiß ihn nur aus meines Vaters Erzählung. Als eines Tages die Parade beinahe beendigt war, drängte sich eine Frau aus den Reihen der Zuschauer zwischen zwei Gendarmen durch, und lief, ein Papier in der erhobenen Hand haltend, gerade auf den Kaiser zu. Die Gendarmen eilten ihr nach, allein sie hatte einen ziemlichen Vorsprung. Der Kaiser stand ganz ruhig, bis sie herankam, und ihm zu Füßen fiel, dann erst winkte er mit der Hand den Gendarmen zur Rückkehr. Nun bildete sich ein dichter Kreis von Offizieren, der die Aussicht versperrte. Es zeigte sich bei dieser Kleinigkeit der überlegende Verstand des Kaisers: hätte er früher gewinkt, so würde die Bittstellerin zurückgescheucht worden sein. Man erfuhr späterhin, es sei eine Frau aus dem Volke gewesen, die für ihren gefangen gehaltenen Mann Gnade erbitten wollte, sie hatte gehofft, auf diese ungewöhnliche Weise ihrer Supplik einen größeren Nachdruck zu geben; doch verlautete weiter nicht, ob sie ihren Zweck erreicht habe. Des Kaisers Verhalten gegen die Fürstin v. Hatzfeld, das den Franzosen als ein Beweis von Napoléons Grosmuth gilt, wurde auch in der Stadt bekannt, machte aber keinen außerordentlichen Eindruck. Der frühere preußische Minister, Fürst v. Hatzfeld, war des Verrathes beschuldigt. Man hatte einen Brief von ihm aufgefangen, worin er von Berlin aus Nachrichten über die Stärke und die Absichten der Franzosen in das preußische Haupt- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0089" n="77"/> Gendarmen abgesperrt. Mein Vater nahm mich öfter mit, und wir fanden immer noch Platz: denn der Zudrang war nie sehr groß. Bei dem folgenden Vorfalle war ich nicht zugegen, sondern weiß ihn nur aus meines Vaters Erzählung. </p><lb/> <p>Als eines Tages die Parade beinahe beendigt war, drängte sich eine Frau aus den Reihen der Zuschauer zwischen zwei Gendarmen durch, und lief, ein Papier in der erhobenen Hand haltend, gerade auf den Kaiser zu. Die Gendarmen eilten ihr nach, allein sie hatte einen ziemlichen Vorsprung. Der Kaiser stand ganz ruhig, bis sie herankam, und ihm zu Füßen fiel, dann erst winkte er mit der Hand den Gendarmen zur Rückkehr. Nun bildete sich ein dichter Kreis von Offizieren, der die Aussicht versperrte. Es zeigte sich bei dieser Kleinigkeit der überlegende Verstand des Kaisers: hätte er früher gewinkt, so würde die Bittstellerin zurückgescheucht worden sein. Man erfuhr späterhin, es sei eine Frau aus dem Volke gewesen, die für ihren gefangen gehaltenen Mann Gnade erbitten wollte, sie hatte gehofft, auf diese ungewöhnliche Weise ihrer Supplik einen größeren Nachdruck zu geben; doch verlautete weiter nicht, ob sie ihren Zweck erreicht habe. </p><lb/> <p>Des Kaisers Verhalten gegen die Fürstin v. Hatzfeld, das den Franzosen als ein Beweis von Napoléons Grosmuth gilt, wurde auch in der Stadt bekannt, machte aber keinen außerordentlichen Eindruck. Der frühere preußische Minister, Fürst v. Hatzfeld, war des Verrathes beschuldigt. Man hatte einen Brief von ihm aufgefangen, worin er von Berlin aus Nachrichten über die Stärke und die Absichten der Franzosen in das preußische Haupt- </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [77/0089]
Gendarmen abgesperrt. Mein Vater nahm mich öfter mit, und wir fanden immer noch Platz: denn der Zudrang war nie sehr groß. Bei dem folgenden Vorfalle war ich nicht zugegen, sondern weiß ihn nur aus meines Vaters Erzählung.
Als eines Tages die Parade beinahe beendigt war, drängte sich eine Frau aus den Reihen der Zuschauer zwischen zwei Gendarmen durch, und lief, ein Papier in der erhobenen Hand haltend, gerade auf den Kaiser zu. Die Gendarmen eilten ihr nach, allein sie hatte einen ziemlichen Vorsprung. Der Kaiser stand ganz ruhig, bis sie herankam, und ihm zu Füßen fiel, dann erst winkte er mit der Hand den Gendarmen zur Rückkehr. Nun bildete sich ein dichter Kreis von Offizieren, der die Aussicht versperrte. Es zeigte sich bei dieser Kleinigkeit der überlegende Verstand des Kaisers: hätte er früher gewinkt, so würde die Bittstellerin zurückgescheucht worden sein. Man erfuhr späterhin, es sei eine Frau aus dem Volke gewesen, die für ihren gefangen gehaltenen Mann Gnade erbitten wollte, sie hatte gehofft, auf diese ungewöhnliche Weise ihrer Supplik einen größeren Nachdruck zu geben; doch verlautete weiter nicht, ob sie ihren Zweck erreicht habe.
Des Kaisers Verhalten gegen die Fürstin v. Hatzfeld, das den Franzosen als ein Beweis von Napoléons Grosmuth gilt, wurde auch in der Stadt bekannt, machte aber keinen außerordentlichen Eindruck. Der frühere preußische Minister, Fürst v. Hatzfeld, war des Verrathes beschuldigt. Man hatte einen Brief von ihm aufgefangen, worin er von Berlin aus Nachrichten über die Stärke und die Absichten der Franzosen in das preußische Haupt-
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/89>, abgerufen am 16.02.2025. |