Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].geltend zu machen. Ein andermal kam eine Schüssel mit Pfannenkuchen - nicht aus der Hausküche sondern vom Conditor geholt - welche so misrathen waren, daß selbst wir Kinder sie verschmähten, obgleich Madame Clause von uns zu sagen pflegte: ils ont des estomacs obligeants! Das ist ja, als wenn man in eine Pelzmütze bisse! rief Zelter aus. Nachdem er einen Winter lange Zeit weggeblieben, erschien er eines Abends mit dem linken Arm in der Binde. Alles erkundigte sich theilnehmend nach seinem Unfalle. "Bei argem Glatteis", sagte er, "ging ich in der Königsstraße mit dem Professor Walch, der ein dickes Notenbuch unter dem Arme trug. Aus purer Höflichkeit nehme ich ihm dasselbe ab. Bald darauf gleite ich aus, falle auf die Seite, und das verwünschte Buch hebt mir den Arm aus der Kugel, woran ich nun schon 8 Wochen laborire. Seitdem habe ich mir fest vorgenommen", schloß er lachend, "nie in meinem Leben mehr höflich zu sein." Ein andres Mal erzählte er, wie er als Musikverständiger der Prüfung eines Organisten beigewohnt, der sich um eine vacante Stelle bewarb. "Das Männchen", sagte Zelter, "war sehr klein, und konnte mit den Beinchen kaum das Pedal abreichen [sic]. Er dachte, bei der Orgel komme es darauf an, recht viel Lärm zu machen; er zog alle Register, und arbeitete mit Händen und Füßen, daß die Windlade hätte platzen können. Da rutscht er plötzlich von der Bank ab, und fällt auf die Pedaltasten. Nun denke man sich das infernalische Spektakel, als das Kerlchen sich auf das 16füßige C stützte, um wieder auf die Beine zu kommen; das ging Fuh, fuh, fuh!" Und nun machte uns Zelter mit seiner Löwenstimme das Fauchen eines Orgelpedales vor. geltend zu machen. Ein andermal kam eine Schüssel mit Pfannenkuchen – nicht aus der Hausküche sondern vom Conditor geholt – welche so misrathen waren, daß selbst wir Kinder sie verschmähten, obgleich Madame Clause von uns zu sagen pflegte: ils ont des estomacs obligeants! Das ist ja, als wenn man in eine Pelzmütze bisse! rief Zelter aus. Nachdem er einen Winter lange Zeit weggeblieben, erschien er eines Abends mit dem linken Arm in der Binde. Alles erkundigte sich theilnehmend nach seinem Unfalle. „Bei argem Glatteis“, sagte er, „ging ich in der Königsstraße mit dem Professor Walch, der ein dickes Notenbuch unter dem Arme trug. Aus purer Höflichkeit nehme ich ihm dasselbe ab. Bald darauf gleite ich aus, falle auf die Seite, und das verwünschte Buch hebt mir den Arm aus der Kugel, woran ich nun schon 8 Wochen laborire. Seitdem habe ich mir fest vorgenommen“, schloß er lachend, „nie in meinem Leben mehr höflich zu sein.“ Ein andres Mal erzählte er, wie er als Musikverständiger der Prüfung eines Organisten beigewohnt, der sich um eine vacante Stelle bewarb. „Das Männchen“, sagte Zelter, „war sehr klein, und konnte mit den Beinchen kaum das Pedal abreichen [sic]. Er dachte, bei der Orgel komme es darauf an, recht viel Lärm zu machen; er zog alle Register, und arbeitete mit Händen und Füßen, daß die Windlade hätte platzen können. Da rutscht er plötzlich von der Bank ab, und fällt auf die Pedaltasten. Nun denke man sich das infernalische Spektakel, als das Kerlchen sich auf das 16füßige C stützte, um wieder auf die Beine zu kommen; das ging Fuh, fuh, fuh!“ Und nun machte uns Zelter mit seiner Löwenstimme das Fauchen eines Orgelpedales vor. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0072" n="60"/> geltend zu machen. Ein andermal kam eine Schüssel mit Pfannenkuchen – nicht aus der Hausküche sondern vom Conditor geholt – welche so misrathen waren, daß selbst wir Kinder sie verschmähten, obgleich Madame Clause von uns zu sagen pflegte: ils ont des estomacs obligeants! Das ist ja, als wenn man in eine Pelzmütze bisse! rief Zelter aus. </p><lb/> <p>Nachdem er einen Winter lange Zeit weggeblieben, erschien er eines Abends mit dem linken Arm in der Binde. Alles erkundigte sich theilnehmend nach seinem Unfalle. „Bei argem Glatteis“, sagte er, „ging ich in der Königsstraße mit dem Professor Walch, der ein dickes Notenbuch unter dem Arme trug. Aus purer Höflichkeit nehme ich ihm dasselbe ab. Bald darauf gleite ich aus, falle auf die Seite, und das verwünschte Buch hebt mir den Arm aus der Kugel, woran ich nun schon 8 Wochen laborire. Seitdem habe ich mir fest vorgenommen“, schloß er lachend, „nie in meinem Leben mehr höflich zu sein.“ </p><lb/> <p>Ein andres Mal erzählte er, wie er als Musikverständiger der Prüfung eines Organisten beigewohnt, der sich um eine vacante Stelle bewarb. „Das Männchen“, sagte Zelter, „war sehr klein, und konnte mit den Beinchen kaum das Pedal abreichen [sic]. Er dachte, bei der Orgel komme es darauf an, recht viel Lärm zu machen; er zog alle Register, und arbeitete mit Händen und Füßen, daß die Windlade hätte platzen können. Da rutscht er plötzlich von der Bank ab, und fällt auf die Pedaltasten. Nun denke man sich das infernalische Spektakel, als das Kerlchen sich auf das 16füßige C stützte, um wieder auf die Beine zu kommen; das ging Fuh, fuh, fuh!“ Und nun machte uns Zelter mit seiner Löwenstimme das Fauchen eines Orgelpedales vor. </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [60/0072]
geltend zu machen. Ein andermal kam eine Schüssel mit Pfannenkuchen – nicht aus der Hausküche sondern vom Conditor geholt – welche so misrathen waren, daß selbst wir Kinder sie verschmähten, obgleich Madame Clause von uns zu sagen pflegte: ils ont des estomacs obligeants! Das ist ja, als wenn man in eine Pelzmütze bisse! rief Zelter aus.
Nachdem er einen Winter lange Zeit weggeblieben, erschien er eines Abends mit dem linken Arm in der Binde. Alles erkundigte sich theilnehmend nach seinem Unfalle. „Bei argem Glatteis“, sagte er, „ging ich in der Königsstraße mit dem Professor Walch, der ein dickes Notenbuch unter dem Arme trug. Aus purer Höflichkeit nehme ich ihm dasselbe ab. Bald darauf gleite ich aus, falle auf die Seite, und das verwünschte Buch hebt mir den Arm aus der Kugel, woran ich nun schon 8 Wochen laborire. Seitdem habe ich mir fest vorgenommen“, schloß er lachend, „nie in meinem Leben mehr höflich zu sein.“
Ein andres Mal erzählte er, wie er als Musikverständiger der Prüfung eines Organisten beigewohnt, der sich um eine vacante Stelle bewarb. „Das Männchen“, sagte Zelter, „war sehr klein, und konnte mit den Beinchen kaum das Pedal abreichen [sic]. Er dachte, bei der Orgel komme es darauf an, recht viel Lärm zu machen; er zog alle Register, und arbeitete mit Händen und Füßen, daß die Windlade hätte platzen können. Da rutscht er plötzlich von der Bank ab, und fällt auf die Pedaltasten. Nun denke man sich das infernalische Spektakel, als das Kerlchen sich auf das 16füßige C stützte, um wieder auf die Beine zu kommen; das ging Fuh, fuh, fuh!“ Und nun machte uns Zelter mit seiner Löwenstimme das Fauchen eines Orgelpedales vor.
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/72>, abgerufen am 05.07.2024. |