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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

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Als ich noch sehr klein war, sollte in Berlin ein Luftballon steigen, damals eine seltne Erscheinung. Er hing zur vorläufigen Ansicht des Publikums, nur mit atmosphärischer Luft gefüllt, in dem großen Mittelsaale der königlichen Bibliothek, der durch zwei Stockwerke hindurchgeht. Der Grosvater führte mich zu diesem neuen Schauspiele. Er trug einen weiten grauen Ueberrock mit hellen Schnüren besetzt, einen großen dreieckigen Hut, und ein gewaltiges spanisches Rohr mit Elfenbeinknopf und goldner Quaste. Es kam mir vor, als ob die Leute auf der Straße uns nachsähen, wohl weniger wegen des damals doch nicht ungewöhnlichen Anzuges, als weil ein Riese einen Zwerg an der Hand führte. Der Ballon selbst machte auf mich einen ganz ungeheuren Effekt; die Vollkommenheit der Kugelform der epikurischen Götter trat mir damals unbewußt vor die Seele; auch die großartigen Dimensionen des Gebäudes mit den reichen Säulenstellungen, in dem die Tritte auf den Steinfliesen weithin wiederhallten, prägten sich dem Gedächtnisse unverlöschlich ein.



Die eine Seite unseres Hausgärtchens stieß an ein hohes Nachbarhaus, das durch seine blendend weiße Fläche den leidenden Augen des Grosvaters sehr störend war. Ein junger Nußbaum und einige Linden im Garten gaben zu wenig Schutz. Nur mit Mühe wurde der Nachbar, mit dem Nicolai früher auch Streitigkeiten und Prozesse gehabt, zu der Erlaubniß vermocht, daß der Grosvater auf seine Kosten die Wand dürfe grün anstreichen lassen. Nun sahen die Kinder mit Verwunderung das gewaltige Gerüst langsam im Garten aufsteigen, und die verwegenen



Als ich noch sehr klein war, sollte in Berlin ein Luftballon steigen, damals eine seltne Erscheinung. Er hing zur vorläufigen Ansicht des Publikums, nur mit atmosphärischer Luft gefüllt, in dem großen Mittelsaale der königlichen Bibliothek, der durch zwei Stockwerke hindurchgeht. Der Grosvater führte mich zu diesem neuen Schauspiele. Er trug einen weiten grauen Ueberrock mit hellen Schnüren besetzt, einen großen dreieckigen Hut, und ein gewaltiges spanisches Rohr mit Elfenbeinknopf und goldner Quaste. Es kam mir vor, als ob die Leute auf der Straße uns nachsähen, wohl weniger wegen des damals doch nicht ungewöhnlichen Anzuges, als weil ein Riese einen Zwerg an der Hand führte. Der Ballon selbst machte auf mich einen ganz ungeheuren Effekt; die Vollkommenheit der Kugelform der epikurischen Götter trat mir damals unbewußt vor die Seele; auch die großartigen Dimensionen des Gebäudes mit den reichen Säulenstellungen, in dem die Tritte auf den Steinfliesen weithin wiederhallten, prägten sich dem Gedächtnisse unverlöschlich ein.



Die eine Seite unseres Hausgärtchens stieß an ein hohes Nachbarhaus, das durch seine blendend weiße Fläche den leidenden Augen des Grosvaters sehr störend war. Ein junger Nußbaum und einige Linden im Garten gaben zu wenig Schutz. Nur mit Mühe wurde der Nachbar, mit dem Nicolai früher auch Streitigkeiten und Prozesse gehabt, zu der Erlaubniß vermocht, daß der Grosvater auf seine Kosten die Wand dürfe grün anstreichen lassen. Nun sahen die Kinder mit Verwunderung das gewaltige Gerüst langsam im Garten aufsteigen, und die verwegenen

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[55/0067] Als ich noch sehr klein war, sollte in Berlin ein Luftballon steigen, damals eine seltne Erscheinung. Er hing zur vorläufigen Ansicht des Publikums, nur mit atmosphärischer Luft gefüllt, in dem großen Mittelsaale der königlichen Bibliothek, der durch zwei Stockwerke hindurchgeht. Der Grosvater führte mich zu diesem neuen Schauspiele. Er trug einen weiten grauen Ueberrock mit hellen Schnüren besetzt, einen großen dreieckigen Hut, und ein gewaltiges spanisches Rohr mit Elfenbeinknopf und goldner Quaste. Es kam mir vor, als ob die Leute auf der Straße uns nachsähen, wohl weniger wegen des damals doch nicht ungewöhnlichen Anzuges, als weil ein Riese einen Zwerg an der Hand führte. Der Ballon selbst machte auf mich einen ganz ungeheuren Effekt; die Vollkommenheit der Kugelform der epikurischen Götter trat mir damals unbewußt vor die Seele; auch die großartigen Dimensionen des Gebäudes mit den reichen Säulenstellungen, in dem die Tritte auf den Steinfliesen weithin wiederhallten, prägten sich dem Gedächtnisse unverlöschlich ein. Die eine Seite unseres Hausgärtchens stieß an ein hohes Nachbarhaus, das durch seine blendend weiße Fläche den leidenden Augen des Grosvaters sehr störend war. Ein junger Nußbaum und einige Linden im Garten gaben zu wenig Schutz. Nur mit Mühe wurde der Nachbar, mit dem Nicolai früher auch Streitigkeiten und Prozesse gehabt, zu der Erlaubniß vermocht, daß der Grosvater auf seine Kosten die Wand dürfe grün anstreichen lassen. Nun sahen die Kinder mit Verwunderung das gewaltige Gerüst langsam im Garten aufsteigen, und die verwegenen

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/67>, abgerufen am 28.05.2024.