Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].in sehr dürftigen Umständen lebte, an Sonn- und Festtagen mit Kaffee zu bewirthen. Die alte Luise und der alte Friedrich konnten sich nicht gut vertragen, obgleich sie so viele Jahre in demselben Dienste verlebt. Er hörte nicht auf zu brummen, wenn sie beim Stubenreinigen irgend etwas aus der alten hergebrachten Ordnung verrückte, an die "der Herr Nicolai" nun so lange gewöhnt war, sie belferte dagegen mit gellender Stimme, wenn Friedrich irgend einen Eingriff in ihr Haushaltungsdepartement machen wollte; sie rief in solchen Fällen die übrigen Dienstboten, die Köchin, das Hausmädchen, zuweilen sogar den Hausknecht und den Markthelfer aus der Buchhandlung zu Hülfe. Vor diesen Zänkereien empfand ich als Kind ein wahrhaftes Grauen, und noch immer stehn mir die zornigen Geberden, die verzerrten Mienen als Schreckbilder vor der Seele. Der Grosvater Nicolai in seiner entfernten Studirstube hörte diese häuslichen Dissonanzen nicht, auch kamen diese Zwiste zur Entscheidung niemals vor sein Forum, sondern wurden meistens von der Tante Jettchen beigelegt. Dabei fehlte es nicht an komischen Vorgängen. Friedrich sollte für den Grosvater einen Gang machen, und verlangte, da es gerade regnete, von Luischen den für die Dienstleute bestimmten baumwollenen Regenschirm. "Ach was", rief sie, "den Schirm kann ich Ihnen nicht geben, der wird ja naß!" Darauf entwich sie schlüsselklappernd bis in den tiefsten Keller. Tante Jettchen gab nun, da Luischen durchaus nicht zu errufen war, ihren eigenen Schirm her, und erzählte uns am Abend die köstliche Anekdote. Fritz machte alsbald Gebrauch davon, und sagte in den nächsten Tagen zu der alten Haushäl- in sehr dürftigen Umständen lebte, an Sonn- und Festtagen mit Kaffee zu bewirthen. Die alte Luise und der alte Friedrich konnten sich nicht gut vertragen, obgleich sie so viele Jahre in demselben Dienste verlebt. Er hörte nicht auf zu brummen, wenn sie beim Stubenreinigen irgend etwas aus der alten hergebrachten Ordnung verrückte, an die „der Herr Nicolai“ nun so lange gewöhnt war, sie belferte dagegen mit gellender Stimme, wenn Friedrich irgend einen Eingriff in ihr Haushaltungsdepartement machen wollte; sie rief in solchen Fällen die übrigen Dienstboten, die Köchin, das Hausmädchen, zuweilen sogar den Hausknecht und den Markthelfer aus der Buchhandlung zu Hülfe. Vor diesen Zänkereien empfand ich als Kind ein wahrhaftes Grauen, und noch immer stehn mir die zornigen Geberden, die verzerrten Mienen als Schreckbilder vor der Seele. Der Grosvater Nicolai in seiner entfernten Studirstube hörte diese häuslichen Dissonanzen nicht, auch kamen diese Zwiste zur Entscheidung niemals vor sein Forum, sondern wurden meistens von der Tante Jettchen beigelegt. Dabei fehlte es nicht an komischen Vorgängen. Friedrich sollte für den Grosvater einen Gang machen, und verlangte, da es gerade regnete, von Luischen den für die Dienstleute bestimmten baumwollenen Regenschirm. „Ach was“, rief sie, „den Schirm kann ich Ihnen nicht geben, der wird ja naß!“ Darauf entwich sie schlüsselklappernd bis in den tiefsten Keller. Tante Jettchen gab nun, da Luischen durchaus nicht zu errufen war, ihren eigenen Schirm her, und erzählte uns am Abend die köstliche Anekdote. Fritz machte alsbald Gebrauch davon, und sagte in den nächsten Tagen zu der alten Haushäl- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0061" n="49"/> in sehr dürftigen Umständen lebte, an Sonn- und Festtagen mit Kaffee zu bewirthen. </p><lb/> <p>Die alte Luise und der alte Friedrich konnten sich nicht gut vertragen, obgleich sie so viele Jahre in demselben Dienste verlebt. Er hörte nicht auf zu brummen, wenn sie beim Stubenreinigen irgend etwas aus der alten hergebrachten Ordnung verrückte, an die „der Herr Nicolai“ nun so lange gewöhnt war, sie belferte dagegen mit gellender Stimme, wenn Friedrich irgend einen Eingriff in ihr Haushaltungsdepartement machen wollte; sie rief in solchen Fällen die übrigen Dienstboten, die Köchin, das Hausmädchen, zuweilen sogar den Hausknecht und den Markthelfer aus der Buchhandlung zu Hülfe. </p><lb/> <p>Vor diesen Zänkereien empfand ich als Kind ein wahrhaftes Grauen, und noch immer stehn mir die zornigen Geberden, die verzerrten Mienen als Schreckbilder vor der Seele. Der Grosvater Nicolai in seiner entfernten Studirstube hörte diese häuslichen Dissonanzen nicht, auch kamen diese Zwiste zur Entscheidung niemals vor sein Forum, sondern wurden meistens von der Tante Jettchen beigelegt. Dabei fehlte es nicht an komischen Vorgängen. Friedrich sollte für den Grosvater einen Gang machen, und verlangte, da es gerade regnete, von Luischen den für die Dienstleute bestimmten baumwollenen Regenschirm. „Ach was“, rief sie, „den Schirm kann ich Ihnen nicht geben, der wird ja naß!“ Darauf entwich sie schlüsselklappernd bis in den tiefsten Keller. Tante Jettchen gab nun, da Luischen durchaus nicht zu errufen war, ihren eigenen Schirm her, und erzählte uns am Abend die köstliche Anekdote. Fritz machte alsbald Gebrauch davon, und sagte in den nächsten Tagen zu der alten Haushäl- </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [49/0061]
in sehr dürftigen Umständen lebte, an Sonn- und Festtagen mit Kaffee zu bewirthen.
Die alte Luise und der alte Friedrich konnten sich nicht gut vertragen, obgleich sie so viele Jahre in demselben Dienste verlebt. Er hörte nicht auf zu brummen, wenn sie beim Stubenreinigen irgend etwas aus der alten hergebrachten Ordnung verrückte, an die „der Herr Nicolai“ nun so lange gewöhnt war, sie belferte dagegen mit gellender Stimme, wenn Friedrich irgend einen Eingriff in ihr Haushaltungsdepartement machen wollte; sie rief in solchen Fällen die übrigen Dienstboten, die Köchin, das Hausmädchen, zuweilen sogar den Hausknecht und den Markthelfer aus der Buchhandlung zu Hülfe.
Vor diesen Zänkereien empfand ich als Kind ein wahrhaftes Grauen, und noch immer stehn mir die zornigen Geberden, die verzerrten Mienen als Schreckbilder vor der Seele. Der Grosvater Nicolai in seiner entfernten Studirstube hörte diese häuslichen Dissonanzen nicht, auch kamen diese Zwiste zur Entscheidung niemals vor sein Forum, sondern wurden meistens von der Tante Jettchen beigelegt. Dabei fehlte es nicht an komischen Vorgängen. Friedrich sollte für den Grosvater einen Gang machen, und verlangte, da es gerade regnete, von Luischen den für die Dienstleute bestimmten baumwollenen Regenschirm. „Ach was“, rief sie, „den Schirm kann ich Ihnen nicht geben, der wird ja naß!“ Darauf entwich sie schlüsselklappernd bis in den tiefsten Keller. Tante Jettchen gab nun, da Luischen durchaus nicht zu errufen war, ihren eigenen Schirm her, und erzählte uns am Abend die köstliche Anekdote. Fritz machte alsbald Gebrauch davon, und sagte in den nächsten Tagen zu der alten Haushäl-
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/61>, abgerufen am 16.02.2025. |