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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

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Gegen die Mitte des Mai wurde die Furcht vor einer neuen Invasion der Franzosen so groß, und man dachte sich so schreckliche Dinge von dem, was alsdann der Hauptstadt bevorstehe, daß nicht wenige Einwohner aus den mittleren, ja sogar manche aus den höheren Ständen Berlin verließen und nach Osten flüchteten. Es waren einige uns bekannte Familien darunter, die später von uns mit der äußersten Verachtung behandelt, und nicht anders als mit dem Namen: die Ausreißer, bezeichnet wurden. Eines Abends zeigte uns ein befreundeter höherer Offizier auf der Landkarte die Stellungen der beiden Heere, machte es deutlich, mit wie wenigen Tagemärschen Napoleon in Berlin sein könne, und ermahnte meine Mutter, sich mit den Kindern weiter nach Osten zu begeben. Mit der grösten Ruhe erwiederte sie, sie werde das Schicksal, was ihrem Manne und ihren übrigen Mitbürgern bevorstehe, mit ihnen theilen. Wir stimmten ihr aus vollem Herzen bei. So blieben wir und Napoleon kam nicht wieder nach Berlin. Wenn meine Mutter späterhin von den Freunden des Hauses wegen ihrer muthigen Entschlossenheit belobt wurde, so wußten wir uns im Stillen nicht wenig damit, von ganz gleicher Gesinnung beseelt zu sein. Mein Vater sah sich jedoch veranlaßt, in jener gefährlichen Zeit sein baares Geld und einige Staatspapiere dem geheimen Mauerverstecke in seiner Wohnstube anzuvertrauen. Wenn wir Kinder allein waren, so steigerten wir unsern patriotischen Muth durch die abentheuerlichsten Gedanken. Meine Schwester behauptete, sie würde, um das Vaterland zu retten, im Stande sein, Napoleon mit eigner Hand zu erstechen. Dies wollten wir Jungen nicht gelten lassen, weil dazu ein männlicher Muth gehöre, und Fritz, der in unsern

Gegen die Mitte des Mai wurde die Furcht vor einer neuen Invasion der Franzosen so groß, und man dachte sich so schreckliche Dinge von dem, was alsdann der Hauptstadt bevorstehe, daß nicht wenige Einwohner aus den mittleren, ja sogar manche aus den höheren Ständen Berlin verließen und nach Osten flüchteten. Es waren einige uns bekannte Familien darunter, die später von uns mit der äußersten Verachtung behandelt, und nicht anders als mit dem Namen: die Ausreißer, bezeichnet wurden. Eines Abends zeigte uns ein befreundeter höherer Offizier auf der Landkarte die Stellungen der beiden Heere, machte es deutlich, mit wie wenigen Tagemärschen Napoléon in Berlin sein könne, und ermahnte meine Mutter, sich mit den Kindern weiter nach Osten zu begeben. Mit der grösten Ruhe erwiederte sie, sie werde das Schicksal, was ihrem Manne und ihren übrigen Mitbürgern bevorstehe, mit ihnen theilen. Wir stimmten ihr aus vollem Herzen bei. So blieben wir und Napoléon kam nicht wieder nach Berlin. Wenn meine Mutter späterhin von den Freunden des Hauses wegen ihrer muthigen Entschlossenheit belobt wurde, so wußten wir uns im Stillen nicht wenig damit, von ganz gleicher Gesinnung beseelt zu sein. Mein Vater sah sich jedoch veranlaßt, in jener gefährlichen Zeit sein baares Geld und einige Staatspapiere dem geheimen Mauerverstecke in seiner Wohnstube anzuvertrauen. Wenn wir Kinder allein waren, so steigerten wir unsern patriotischen Muth durch die abentheuerlichsten Gedanken. Meine Schwester behauptete, sie würde, um das Vaterland zu retten, im Stande sein, Napoléon mit eigner Hand zu erstechen. Dies wollten wir Jungen nicht gelten lassen, weil dazu ein männlicher Muth gehöre, und Fritz, der in unsern

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[361/0373] Gegen die Mitte des Mai wurde die Furcht vor einer neuen Invasion der Franzosen so groß, und man dachte sich so schreckliche Dinge von dem, was alsdann der Hauptstadt bevorstehe, daß nicht wenige Einwohner aus den mittleren, ja sogar manche aus den höheren Ständen Berlin verließen und nach Osten flüchteten. Es waren einige uns bekannte Familien darunter, die später von uns mit der äußersten Verachtung behandelt, und nicht anders als mit dem Namen: die Ausreißer, bezeichnet wurden. Eines Abends zeigte uns ein befreundeter höherer Offizier auf der Landkarte die Stellungen der beiden Heere, machte es deutlich, mit wie wenigen Tagemärschen Napoléon in Berlin sein könne, und ermahnte meine Mutter, sich mit den Kindern weiter nach Osten zu begeben. Mit der grösten Ruhe erwiederte sie, sie werde das Schicksal, was ihrem Manne und ihren übrigen Mitbürgern bevorstehe, mit ihnen theilen. Wir stimmten ihr aus vollem Herzen bei. So blieben wir und Napoléon kam nicht wieder nach Berlin. Wenn meine Mutter späterhin von den Freunden des Hauses wegen ihrer muthigen Entschlossenheit belobt wurde, so wußten wir uns im Stillen nicht wenig damit, von ganz gleicher Gesinnung beseelt zu sein. Mein Vater sah sich jedoch veranlaßt, in jener gefährlichen Zeit sein baares Geld und einige Staatspapiere dem geheimen Mauerverstecke in seiner Wohnstube anzuvertrauen. Wenn wir Kinder allein waren, so steigerten wir unsern patriotischen Muth durch die abentheuerlichsten Gedanken. Meine Schwester behauptete, sie würde, um das Vaterland zu retten, im Stande sein, Napoléon mit eigner Hand zu erstechen. Dies wollten wir Jungen nicht gelten lassen, weil dazu ein männlicher Muth gehöre, und Fritz, der in unsern

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/373>, abgerufen am 22.11.2024.