Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].Alle diese Schrecknisse des Soldatenstandes traten den älteren Mitbürgern vor die Seele, als sie in den Landsturm eintreten sollten, obgleich niemand daran dachte, die alten drakonischen Gesetze in Anwendung zu bringen. Von einigen Bürgern erfuhr man, daß sie sich unter nichtigen Vorwänden entfernt hielten, und diese Herren galten bei dem jüngeren Geschlechte für Vaterlandsverräther. Ein ältlicher, etwas ängstlicher Geheimerath von sehr würdevollem Aeußeren, aber geringen Geistesgaben, welcher den Spitznamen: König Karl der Einfältige führte, fragte im Vertrauen einen Freund, was ihm denn wohl geschehn könne, wenn er vom Landsturme wegbliebe? nichts, erwiederte der Schalk, höchstens drei Wochen Latten! Die meisten Einwohner wurden von der allgemeinen Begeisterung mit fortgerissen, und fügten sich willig der ungewohnten Beschäftigung des Exercirens. Der Berliner Volkswitz trug auch manches zur Erheiterung der Uebellaunigen bei. So hatte man herausgefunden, daß in der Wilhelmstraße fast sämmtliche Fallstaffsche Rekruten aus Heinrich IV. 2. Theil, beisammen waren: Schatte, Schimmelig, Schwächlich, Warze, Bullenkalb. Schatte wurde durch den Direktor Zeune repräsentirt, einen zarten blassen Mann, der als Vorsteher der Blindenanstalt durch ein wunderbares Spiel des Zufalls schon damals an den Augen litt, und später fast gänzlich erblindete; Schwächlich war der Historiker Niebuhr, dessen hervorragenden Geist niemand in der unansehnlichen Figur suchte; Warze, der kleine etwas verwachsene Schleiermacher; Bullenkalb, der Buchhändler Reimer, von mehr dicker als großer Gestalt, mit freiem Halse und lang herabwallenden Haaren; Schimmelig der überaus blasse und blonde Franz Horn. Alle diese Schrecknisse des Soldatenstandes traten den älteren Mitbürgern vor die Seele, als sie in den Landsturm eintreten sollten, obgleich niemand daran dachte, die alten drakonischen Gesetze in Anwendung zu bringen. Von einigen Bürgern erfuhr man, daß sie sich unter nichtigen Vorwänden entfernt hielten, und diese Herren galten bei dem jüngeren Geschlechte für Vaterlandsverräther. Ein ältlicher, etwas ängstlicher Geheimerath von sehr würdevollem Aeußeren, aber geringen Geistesgaben, welcher den Spitznamen: König Karl der Einfältige führte, fragte im Vertrauen einen Freund, was ihm denn wohl geschehn könne, wenn er vom Landsturme wegbliebe? nichts, erwiederte der Schalk, höchstens drei Wochen Latten! Die meisten Einwohner wurden von der allgemeinen Begeisterung mit fortgerissen, und fügten sich willig der ungewohnten Beschäftigung des Exercirens. Der Berliner Volkswitz trug auch manches zur Erheiterung der Uebellaunigen bei. So hatte man herausgefunden, daß in der Wilhelmstraße fast sämmtliche Fallstaffsche Rekruten aus Heinrich IV. 2. Theil, beisammen waren: Schatte, Schimmelig, Schwächlich, Warze, Bullenkalb. Schatte wurde durch den Direktor Zeune repräsentirt, einen zarten blassen Mann, der als Vorsteher der Blindenanstalt durch ein wunderbares Spiel des Zufalls schon damals an den Augen litt, und später fast gänzlich erblindete; Schwächlich war der Historiker Niebuhr, dessen hervorragenden Geist niemand in der unansehnlichen Figur suchte; Warze, der kleine etwas verwachsene Schleiermacher; Bullenkalb, der Buchhändler Reimer, von mehr dicker als großer Gestalt, mit freiem Halse und lang herabwallenden Haaren; Schimmelig der überaus blasse und blonde Franz Horn. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p> <pb facs="#f0372" n="360"/> </p><lb/> <p>Alle diese Schrecknisse des Soldatenstandes traten den älteren Mitbürgern vor die Seele, als sie in den Landsturm eintreten sollten, obgleich niemand daran dachte, die alten drakonischen Gesetze in Anwendung zu bringen. Von einigen Bürgern erfuhr man, daß sie sich unter nichtigen Vorwänden entfernt hielten, und diese Herren galten bei dem jüngeren Geschlechte für Vaterlandsverräther. Ein ältlicher, etwas ängstlicher Geheimerath von sehr würdevollem Aeußeren, aber geringen Geistesgaben, welcher den Spitznamen: König Karl der Einfältige führte, fragte im Vertrauen einen Freund, was ihm denn wohl geschehn könne, wenn er vom Landsturme wegbliebe? nichts, erwiederte der Schalk, höchstens drei Wochen Latten! </p><lb/> <p>Die meisten Einwohner wurden von der allgemeinen Begeisterung mit fortgerissen, und fügten sich willig der ungewohnten Beschäftigung des Exercirens. Der Berliner Volkswitz trug auch manches zur Erheiterung der Uebellaunigen bei. So hatte man herausgefunden, daß in der Wilhelmstraße fast sämmtliche Fallstaffsche Rekruten aus Heinrich IV. 2. Theil, beisammen waren: Schatte, Schimmelig, Schwächlich, Warze, Bullenkalb. Schatte wurde durch den Direktor Zeune repräsentirt, einen zarten blassen Mann, der als Vorsteher der Blindenanstalt durch ein wunderbares Spiel des Zufalls schon damals an den Augen litt, und später fast gänzlich erblindete; Schwächlich war der Historiker Niebuhr, dessen hervorragenden Geist niemand in der unansehnlichen Figur suchte; Warze, der kleine etwas verwachsene <hi rendition="#b">Schleiermacher</hi>; Bullenkalb, der Buchhändler Reimer, von mehr dicker als großer Gestalt, mit freiem Halse und lang herabwallenden Haaren; Schimmelig der überaus blasse und blonde Franz Horn. </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [360/0372]
Alle diese Schrecknisse des Soldatenstandes traten den älteren Mitbürgern vor die Seele, als sie in den Landsturm eintreten sollten, obgleich niemand daran dachte, die alten drakonischen Gesetze in Anwendung zu bringen. Von einigen Bürgern erfuhr man, daß sie sich unter nichtigen Vorwänden entfernt hielten, und diese Herren galten bei dem jüngeren Geschlechte für Vaterlandsverräther. Ein ältlicher, etwas ängstlicher Geheimerath von sehr würdevollem Aeußeren, aber geringen Geistesgaben, welcher den Spitznamen: König Karl der Einfältige führte, fragte im Vertrauen einen Freund, was ihm denn wohl geschehn könne, wenn er vom Landsturme wegbliebe? nichts, erwiederte der Schalk, höchstens drei Wochen Latten!
Die meisten Einwohner wurden von der allgemeinen Begeisterung mit fortgerissen, und fügten sich willig der ungewohnten Beschäftigung des Exercirens. Der Berliner Volkswitz trug auch manches zur Erheiterung der Uebellaunigen bei. So hatte man herausgefunden, daß in der Wilhelmstraße fast sämmtliche Fallstaffsche Rekruten aus Heinrich IV. 2. Theil, beisammen waren: Schatte, Schimmelig, Schwächlich, Warze, Bullenkalb. Schatte wurde durch den Direktor Zeune repräsentirt, einen zarten blassen Mann, der als Vorsteher der Blindenanstalt durch ein wunderbares Spiel des Zufalls schon damals an den Augen litt, und später fast gänzlich erblindete; Schwächlich war der Historiker Niebuhr, dessen hervorragenden Geist niemand in der unansehnlichen Figur suchte; Warze, der kleine etwas verwachsene Schleiermacher; Bullenkalb, der Buchhändler Reimer, von mehr dicker als großer Gestalt, mit freiem Halse und lang herabwallenden Haaren; Schimmelig der überaus blasse und blonde Franz Horn.
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/372>, abgerufen am 27.07.2024. |