Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].Zwar waren im Anfange des Jahres 1813 die Aussichten noch ziemlich bewölkt. Die Franzosen hatten die meisten preußischen Festungen in ihrer Gewalt, sogar das kleine Spandau, die Citadelle Berlins, war von ihnen besetzt. In Polen und Schlesien zogen sich die französischen Truppen nur langsam vor den noch langsamer nachdrängenden Russen zurück. Aber die Nachrichten, welche aus Königsberg, Memel, Gumbinnen und von der ganzen östlichen Gränze des Reiches über den Zustand der aus Rußland zurückkehrenden französischen Soldaten einliefen, waren grauenhaft. In bunter Mischung aller Waffengattungen zogen die zerlumpten Gestalten mit verbundenen Händen und Füßen, ohne alle Ordnung durch die Straßen jener Städte, fielen vor Ermattung an der Seite der Häuser nieder, und wurden von den mitleidigen Bürgern in die Militärhospitäler gebracht, wo Typhus und Lazarethfieber noch Tausende dahinrafften. Bis Berlin gelangten so ganz zerfetzte Ueberbleibsel der großen Armee nicht mehr, oft genug aber sah man einzelne waffenlose Franzosen einherziehn, und sich nach dem Rathhause durchfragen, um dort ein Quartierbillet zu erhalten. Der Berliner Witz verschonte die Armen nicht, und öfter kam es vor, daß die Berliner Straßenjungen die zu Fuß gehenden Kavalleristen anriefen: Monsieur, soll ich ihr Pferd halten? In einem Dorfe bei Berlin hatten französische Nachzügler einen Wagen requirirt, und trieben durch einige Rippenstöße den Bauern zu schnellerem Fahren an. Zornig drehte er sich um, und rief: Kennt ihr nicht das 29. Bulletin? Da während dieses ganzen russischen Krieges alle Blicke auf den abentheuerlichen Zug nach Moskau gerichtet waren, so hatte man darüber das preußische Hülfs- Zwar waren im Anfange des Jahres 1813 die Aussichten noch ziemlich bewölkt. Die Franzosen hatten die meisten preußischen Festungen in ihrer Gewalt, sogar das kleine Spandau, die Citadelle Berlins, war von ihnen besetzt. In Polen und Schlesien zogen sich die französischen Truppen nur langsam vor den noch langsamer nachdrängenden Russen zurück. Aber die Nachrichten, welche aus Königsberg, Memel, Gumbinnen und von der ganzen östlichen Gränze des Reiches über den Zustand der aus Rußland zurückkehrenden französischen Soldaten einliefen, waren grauenhaft. In bunter Mischung aller Waffengattungen zogen die zerlumpten Gestalten mit verbundenen Händen und Füßen, ohne alle Ordnung durch die Straßen jener Städte, fielen vor Ermattung an der Seite der Häuser nieder, und wurden von den mitleidigen Bürgern in die Militärhospitäler gebracht, wo Typhus und Lazarethfieber noch Tausende dahinrafften. Bis Berlin gelangten so ganz zerfetzte Ueberbleibsel der großen Armee nicht mehr, oft genug aber sah man einzelne waffenlose Franzosen einherziehn, und sich nach dem Rathhause durchfragen, um dort ein Quartierbillet zu erhalten. Der Berliner Witz verschonte die Armen nicht, und öfter kam es vor, daß die Berliner Straßenjungen die zu Fuß gehenden Kavalleristen anriefen: Monsieur, soll ich ihr Pferd halten? In einem Dorfe bei Berlin hatten französische Nachzügler einen Wagen requirirt, und trieben durch einige Rippenstöße den Bauern zu schnellerem Fahren an. Zornig drehte er sich um, und rief: Kennt ihr nicht das 29. Bulletin? Da während dieses ganzen russischen Krieges alle Blicke auf den abentheuerlichen Zug nach Moskau gerichtet waren, so hatte man darüber das preußische Hülfs- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p> <pb facs="#f0344" n="332"/> </p><lb/> <p>Zwar waren im Anfange des Jahres 1813 die Aussichten noch ziemlich bewölkt. Die Franzosen hatten die meisten preußischen Festungen in ihrer Gewalt, sogar das kleine Spandau, die Citadelle Berlins, war von ihnen besetzt. In Polen und Schlesien zogen sich die französischen Truppen nur langsam vor den noch langsamer nachdrängenden Russen zurück. Aber die Nachrichten, welche aus Königsberg, Memel, Gumbinnen und von der ganzen östlichen Gränze des Reiches über den Zustand der aus Rußland zurückkehrenden französischen Soldaten einliefen, waren grauenhaft. In bunter Mischung aller Waffengattungen zogen die zerlumpten Gestalten mit verbundenen Händen und Füßen, ohne alle Ordnung durch die Straßen jener Städte, fielen vor Ermattung an der Seite der Häuser nieder, und wurden von den mitleidigen Bürgern in die Militärhospitäler gebracht, wo Typhus und Lazarethfieber noch Tausende dahinrafften. Bis Berlin gelangten so ganz zerfetzte Ueberbleibsel der großen Armee nicht mehr, oft genug aber sah man einzelne waffenlose Franzosen einherziehn, und sich nach dem Rathhause durchfragen, um dort ein Quartierbillet zu erhalten. Der Berliner Witz verschonte die Armen nicht, und öfter kam es vor, daß die Berliner Straßenjungen die zu Fuß gehenden Kavalleristen anriefen: Monsieur, soll ich ihr Pferd halten? In einem Dorfe bei Berlin hatten französische Nachzügler einen Wagen requirirt, und trieben durch einige Rippenstöße den Bauern zu schnellerem Fahren an. Zornig drehte er sich um, und rief: Kennt ihr nicht das 29. Bulletin? </p><lb/> <p>Da während dieses ganzen russischen Krieges alle Blicke auf den abentheuerlichen Zug nach Moskau gerichtet waren, so hatte man darüber das preußische Hülfs- </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [332/0344]
Zwar waren im Anfange des Jahres 1813 die Aussichten noch ziemlich bewölkt. Die Franzosen hatten die meisten preußischen Festungen in ihrer Gewalt, sogar das kleine Spandau, die Citadelle Berlins, war von ihnen besetzt. In Polen und Schlesien zogen sich die französischen Truppen nur langsam vor den noch langsamer nachdrängenden Russen zurück. Aber die Nachrichten, welche aus Königsberg, Memel, Gumbinnen und von der ganzen östlichen Gränze des Reiches über den Zustand der aus Rußland zurückkehrenden französischen Soldaten einliefen, waren grauenhaft. In bunter Mischung aller Waffengattungen zogen die zerlumpten Gestalten mit verbundenen Händen und Füßen, ohne alle Ordnung durch die Straßen jener Städte, fielen vor Ermattung an der Seite der Häuser nieder, und wurden von den mitleidigen Bürgern in die Militärhospitäler gebracht, wo Typhus und Lazarethfieber noch Tausende dahinrafften. Bis Berlin gelangten so ganz zerfetzte Ueberbleibsel der großen Armee nicht mehr, oft genug aber sah man einzelne waffenlose Franzosen einherziehn, und sich nach dem Rathhause durchfragen, um dort ein Quartierbillet zu erhalten. Der Berliner Witz verschonte die Armen nicht, und öfter kam es vor, daß die Berliner Straßenjungen die zu Fuß gehenden Kavalleristen anriefen: Monsieur, soll ich ihr Pferd halten? In einem Dorfe bei Berlin hatten französische Nachzügler einen Wagen requirirt, und trieben durch einige Rippenstöße den Bauern zu schnellerem Fahren an. Zornig drehte er sich um, und rief: Kennt ihr nicht das 29. Bulletin?
Da während dieses ganzen russischen Krieges alle Blicke auf den abentheuerlichen Zug nach Moskau gerichtet waren, so hatte man darüber das preußische Hülfs-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription.
(2014-01-07T13:04:32Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1)
(2014-01-07T13:04:32Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |