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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

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eine Messe von dem Kapellmeister Schuster zu hören. Das war freilich ein ander Ding, als unser magrer protestantischer Gottesdienst in Berlin. Die Instrumentalmusik rauschte vom hohen Chor herab, wie auf unsichtbaren Flügeln durch die Luft, die Trompeten klangen wie Posaunen des jüngsten Gerichts, der scharfe Sopran der Kastraten durchdrang machtvoll die hohe Wölbung, das melodische, öfter wiederkehrende Amen der Knabenstimmen hauchte den süßesten Frieden. Dazwischen machte jedoch das unharmonische Geplärr, fast möchte ich sagen Geblök des messelesenden Priesters den widerwärtigsten Eindruck. Es ging nicht in meinen protestantischen Kopf, daß das Hersagen oder Absingen lateinischer Formeln, von denen die Gemeinde nichts verstand, als Gottesdienst gelten solle. Die Musik dauerte auch gar zu lange, und wir waren herzlich froh, als wir endlich die Kirche verlassen durften.

Trotz alles äußeren Glanzes konnte die katholische Religion in Dresden niemals festen Fuß fassen, und der König stand mit seiner Familie in gänzlicher Einsamkeit. Den gutgesinnten Sachsen war dies zwitterhafte Wesen ein Gegenstand tiefer Bekümmerniß. Wir ließen uns von Vetter Christian erzählen, wie August II. der Starke nur durch die Aussicht auf den polnischen Thron vermocht worden sei, der reinen protestantischen Lehre zu entsagen; wie er alsbald einen Theil der schönen Elbbrücke abgebrochen, und auf dem neugewonnenen Terrain die prachtvolle katholische Kirche erbaut habe, wie ihm aber durch Beschluß der Landstände jede Einwirkung auf die religiösen Angelegenheiten des Landes entzogen sei, und wie diese einzig und allein von dem lutherischen Oberkonsistorium geleitet würden. August III. ward anfangs als guter Pro-

eine Messe von dem Kapellmeister Schuster zu hören. Das war freilich ein ander Ding, als unser magrer protestantischer Gottesdienst in Berlin. Die Instrumentalmusik rauschte vom hohen Chor herab, wie auf unsichtbaren Flügeln durch die Luft, die Trompeten klangen wie Posaunen des jüngsten Gerichts, der scharfe Sopran der Kastraten durchdrang machtvoll die hohe Wölbung, das melodische, öfter wiederkehrende Amen der Knabenstimmen hauchte den süßesten Frieden. Dazwischen machte jedoch das unharmonische Geplärr, fast möchte ich sagen Geblök des messelesenden Priesters den widerwärtigsten Eindruck. Es ging nicht in meinen protestantischen Kopf, daß das Hersagen oder Absingen lateinischer Formeln, von denen die Gemeinde nichts verstand, als Gottesdienst gelten solle. Die Musik dauerte auch gar zu lange, und wir waren herzlich froh, als wir endlich die Kirche verlassen durften.

Trotz alles äußeren Glanzes konnte die katholische Religion in Dresden niemals festen Fuß fassen, und der König stand mit seiner Familie in gänzlicher Einsamkeit. Den gutgesinnten Sachsen war dies zwitterhafte Wesen ein Gegenstand tiefer Bekümmerniß. Wir ließen uns von Vetter Christian erzählen, wie August II. der Starke nur durch die Aussicht auf den polnischen Thron vermocht worden sei, der reinen protestantischen Lehre zu entsagen; wie er alsbald einen Theil der schönen Elbbrücke abgebrochen, und auf dem neugewonnenen Terrain die prachtvolle katholische Kirche erbaut habe, wie ihm aber durch Beschluß der Landstände jede Einwirkung auf die religiösen Angelegenheiten des Landes entzogen sei, und wie diese einzig und allein von dem lutherischen Oberkonsistorium geleitet würden. August III. ward anfangs als guter Pro-

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eine Messe von dem Kapellmeister Schuster zu hören. Das war freilich ein ander Ding, als unser magrer protestantischer Gottesdienst in Berlin. Die Instrumentalmusik rauschte vom hohen Chor herab, wie auf unsichtbaren Flügeln durch die Luft, die Trompeten klangen wie Posaunen des jüngsten Gerichts, der scharfe Sopran der Kastraten durchdrang machtvoll die hohe Wölbung, das melodische, öfter wiederkehrende Amen der Knabenstimmen hauchte den süßesten Frieden. Dazwischen machte jedoch das unharmonische Geplärr, fast möchte ich sagen Geblök des messelesenden Priesters den widerwärtigsten Eindruck. Es ging nicht in meinen protestantischen Kopf, daß das Hersagen oder Absingen lateinischer Formeln, von denen die Gemeinde nichts verstand, als Gottesdienst gelten solle. Die Musik dauerte auch gar zu lange, und wir waren herzlich froh, als wir endlich die Kirche verlassen durften. </p><lb/>
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[303/0315] eine Messe von dem Kapellmeister Schuster zu hören. Das war freilich ein ander Ding, als unser magrer protestantischer Gottesdienst in Berlin. Die Instrumentalmusik rauschte vom hohen Chor herab, wie auf unsichtbaren Flügeln durch die Luft, die Trompeten klangen wie Posaunen des jüngsten Gerichts, der scharfe Sopran der Kastraten durchdrang machtvoll die hohe Wölbung, das melodische, öfter wiederkehrende Amen der Knabenstimmen hauchte den süßesten Frieden. Dazwischen machte jedoch das unharmonische Geplärr, fast möchte ich sagen Geblök des messelesenden Priesters den widerwärtigsten Eindruck. Es ging nicht in meinen protestantischen Kopf, daß das Hersagen oder Absingen lateinischer Formeln, von denen die Gemeinde nichts verstand, als Gottesdienst gelten solle. Die Musik dauerte auch gar zu lange, und wir waren herzlich froh, als wir endlich die Kirche verlassen durften. Trotz alles äußeren Glanzes konnte die katholische Religion in Dresden niemals festen Fuß fassen, und der König stand mit seiner Familie in gänzlicher Einsamkeit. Den gutgesinnten Sachsen war dies zwitterhafte Wesen ein Gegenstand tiefer Bekümmerniß. Wir ließen uns von Vetter Christian erzählen, wie August II. der Starke nur durch die Aussicht auf den polnischen Thron vermocht worden sei, der reinen protestantischen Lehre zu entsagen; wie er alsbald einen Theil der schönen Elbbrücke abgebrochen, und auf dem neugewonnenen Terrain die prachtvolle katholische Kirche erbaut habe, wie ihm aber durch Beschluß der Landstände jede Einwirkung auf die religiösen Angelegenheiten des Landes entzogen sei, und wie diese einzig und allein von dem lutherischen Oberkonsistorium geleitet würden. August III. ward anfangs als guter Pro-

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/315>, abgerufen am 25.11.2024.