Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

eisengespitzten Balken von oben herunter. In der Mitte des Thores hing an der bombenfest gewölbten Decke eine Lampe, die den ganzen Tag brannte, und die düstre Höhle nur nothdürftig erhellte. Die Durchfahrt war so schmal, daß nur ein Wagen Raum fand. Die außen und innen stehenden Schildwachen, welche einander nicht sehn konnten, korrespondirten durch Rufe. Wollte ein Wagen hinausfahren, so rief die innere Schildwache der äußeren zu: Laß halten! d. h. er solle die von außen kommenden Wagen so lange halten lassen, bis der von innen kommende passirt sei. War dies geschehn, und war kein Wagen weiter in Sicht, so rief die innere Schildwache: Laß fahren! worauf die von außen kommenden Wagen passirten. Eben so ging es umgekehrt. Das dumpf hallende Rufen: Laß halten! Laß fahren! dauerte in der finstern Wölbung den ganzen Tag; es läßt sich denken, welche Stockungen alle Morgen bei der Einfahrt der Marktbauern mit ihren Gemüsewagen entstanden.

Jene mittelalterlichen Vertheidigungsanstalten, die schon damals durch die moderne Kriegführung fast allen Werth verloren hatten, gefielen den Kindern, die aus dem offnen nüchternen Berlin kamen, außerordentlich; unvergeßlich blieb es mir, als einmal der sächsische Postwagen mit dem blasenden Postillon durch die enge Wölbung rasselte; seitdem mußte ich immer an das Pirnaische Thor denken, wenn ich in Göthes Schwager Kronos den Schluß las:

Töne, Schwager, ins Horn,

Rassle den schallenden Trab,

Daß der Orcus vernehme: wir kommen,

Daß gleich an der Thüre

Der Wirth uns freundlich empfange.

eisengespitzten Balken von oben herunter. In der Mitte des Thores hing an der bombenfest gewölbten Decke eine Lampe, die den ganzen Tag brannte, und die düstre Höhle nur nothdürftig erhellte. Die Durchfahrt war so schmal, daß nur ein Wagen Raum fand. Die außen und innen stehenden Schildwachen, welche einander nicht sehn konnten, korrespondirten durch Rufe. Wollte ein Wagen hinausfahren, so rief die innere Schildwache der äußeren zu: Laß halten! d. h. er solle die von außen kommenden Wagen so lange halten lassen, bis der von innen kommende passirt sei. War dies geschehn, und war kein Wagen weiter in Sicht, so rief die innere Schildwache: Laß fahren! worauf die von außen kommenden Wagen passirten. Eben so ging es umgekehrt. Das dumpf hallende Rufen: Laß halten! Laß fahren! dauerte in der finstern Wölbung den ganzen Tag; es läßt sich denken, welche Stockungen alle Morgen bei der Einfahrt der Marktbauern mit ihren Gemüsewagen entstanden.

Jene mittelalterlichen Vertheidigungsanstalten, die schon damals durch die moderne Kriegführung fast allen Werth verloren hatten, gefielen den Kindern, die aus dem offnen nüchternen Berlin kamen, außerordentlich; unvergeßlich blieb es mir, als einmal der sächsische Postwagen mit dem blasenden Postillon durch die enge Wölbung rasselte; seitdem mußte ich immer an das Pirnaische Thor denken, wenn ich in Göthes Schwager Kronos den Schluß las:

Töne, Schwager, ins Horn,

Rassle den schallenden Trab,

Daß der Orcus vernehme: wir kommen,

Daß gleich an der Thüre

Der Wirth uns freundlich empfange.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <p><pb facs="#f0307" n="295"/>
eisengespitzten Balken von oben herunter. In der Mitte des Thores hing an der bombenfest gewölbten Decke eine Lampe, die den ganzen Tag brannte, und die düstre Höhle nur nothdürftig erhellte. Die Durchfahrt war so schmal, daß nur ein Wagen Raum fand. Die außen und innen stehenden Schildwachen, welche einander nicht sehn konnten, korrespondirten durch Rufe. Wollte ein Wagen hinausfahren, so rief die innere Schildwache der äußeren zu: Laß halten! d. h. er solle die von außen kommenden Wagen so lange halten lassen, bis der von innen kommende passirt sei. War dies geschehn, und war kein Wagen weiter in Sicht, so rief die innere Schildwache: Laß fahren! worauf die von außen kommenden Wagen passirten. Eben so ging es umgekehrt. Das dumpf hallende Rufen: Laß halten! Laß fahren! dauerte in der finstern Wölbung den ganzen Tag; es läßt sich denken, welche Stockungen alle Morgen bei der Einfahrt der Marktbauern mit ihren Gemüsewagen entstanden. </p><lb/>
          <p>Jene mittelalterlichen Vertheidigungsanstalten, die schon damals durch die moderne Kriegführung fast allen Werth verloren hatten, gefielen den Kindern, die aus dem offnen nüchternen Berlin kamen, außerordentlich; unvergeßlich blieb es mir, als einmal der sächsische Postwagen mit dem blasenden Postillon durch die enge Wölbung rasselte; seitdem mußte ich immer an das Pirnaische Thor denken, wenn ich in Göthes Schwager Kronos den Schluß las: </p><lb/>
          <p>Töne, Schwager, ins Horn, </p><lb/>
          <p>Rassle den schallenden Trab, </p><lb/>
          <p>Daß der Orcus vernehme: wir kommen, </p><lb/>
          <p>Daß gleich an der Thüre </p><lb/>
          <p>Der Wirth uns freundlich empfange.
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[295/0307] eisengespitzten Balken von oben herunter. In der Mitte des Thores hing an der bombenfest gewölbten Decke eine Lampe, die den ganzen Tag brannte, und die düstre Höhle nur nothdürftig erhellte. Die Durchfahrt war so schmal, daß nur ein Wagen Raum fand. Die außen und innen stehenden Schildwachen, welche einander nicht sehn konnten, korrespondirten durch Rufe. Wollte ein Wagen hinausfahren, so rief die innere Schildwache der äußeren zu: Laß halten! d. h. er solle die von außen kommenden Wagen so lange halten lassen, bis der von innen kommende passirt sei. War dies geschehn, und war kein Wagen weiter in Sicht, so rief die innere Schildwache: Laß fahren! worauf die von außen kommenden Wagen passirten. Eben so ging es umgekehrt. Das dumpf hallende Rufen: Laß halten! Laß fahren! dauerte in der finstern Wölbung den ganzen Tag; es läßt sich denken, welche Stockungen alle Morgen bei der Einfahrt der Marktbauern mit ihren Gemüsewagen entstanden. Jene mittelalterlichen Vertheidigungsanstalten, die schon damals durch die moderne Kriegführung fast allen Werth verloren hatten, gefielen den Kindern, die aus dem offnen nüchternen Berlin kamen, außerordentlich; unvergeßlich blieb es mir, als einmal der sächsische Postwagen mit dem blasenden Postillon durch die enge Wölbung rasselte; seitdem mußte ich immer an das Pirnaische Thor denken, wenn ich in Göthes Schwager Kronos den Schluß las: Töne, Schwager, ins Horn, Rassle den schallenden Trab, Daß der Orcus vernehme: wir kommen, Daß gleich an der Thüre Der Wirth uns freundlich empfange.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/307
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/307>, abgerufen am 22.11.2024.