Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].schwebte. Sie war in erster Ehe mit dem Kaufmann Valentin in Freiberg verheirathet gewesen, und hatte von ihm 2 Söhne, Friedrich und Christian. Nun lebte sie in Dresden mit dem Kaufmann Keiner in kinderloser, aber sehr zufriedener Ehe. Friedrich Valentin (oder wie wir Kinder ihn lieber nannten: Vetter Fritz) arbeitete, wie ich schon erwähnte, in einer Berliner Tuchhandlung, Vetter Christian betrieb in Dresden, zusammen mit seinem Stiefvater, eine Bleiweißfabrik, die einzige im ganzen Königreich Sachsen. Er machte in Dresden unseren treuen Mentor, und wir hingen mit wahrer Neigung an ihm. Besonders ergreifend war es für mich, daß er für meinen Vater eine fast übertriebene Verehrung empfand, und daß er von meiner verstorbenen Mutter nicht ohne die tiefste Bewegung sprechen konnte. Er besaß zwar nicht ihr Bildniß, aber ein kleines Medaillon mit dem Miniaturbilde ihres schönen braunen Auges, das er wie einen Talisman in Ehren hielt. Dresden war im Jahre 1812 noch eine Festung mit gewaltig hohen Backsteinwällen und finstern Thoren. Dies gab für den Verkehr manche Unbequemlichkeit. Die Tante Keiner wohnte vor dem Pirnaischen Thore und vor dem Falkenschlage auf dem Poppitz. Die Stadt ward für Fuhrwerke aller Art mit Sonnenuntergang geschlossen, für Fußgänger eine Stunde später; wer noch später kam, der kroch gegen Erlegung des Thorgroschens durch ein enges Pförtchen, das nur einer Person den Durchgang gestattete. Das an 100 Fuß lange Thor ging nicht gerade durch den Wall, damit nicht der Feind es mit Kanonen bestreichen könne, sondern es machte einen starken Winkel. An der äußern Seite starrte ein mächtiges Fallgatter aus schweren schwebte. Sie war in erster Ehe mit dem Kaufmann Valentin in Freiberg verheirathet gewesen, und hatte von ihm 2 Söhne, Friedrich und Christian. Nun lebte sie in Dresden mit dem Kaufmann Keiner in kinderloser, aber sehr zufriedener Ehe. Friedrich Valentin (oder wie wir Kinder ihn lieber nannten: Vetter Fritz) arbeitete, wie ich schon erwähnte, in einer Berliner Tuchhandlung, Vetter Christian betrieb in Dresden, zusammen mit seinem Stiefvater, eine Bleiweißfabrik, die einzige im ganzen Königreich Sachsen. Er machte in Dresden unseren treuen Mentor, und wir hingen mit wahrer Neigung an ihm. Besonders ergreifend war es für mich, daß er für meinen Vater eine fast übertriebene Verehrung empfand, und daß er von meiner verstorbenen Mutter nicht ohne die tiefste Bewegung sprechen konnte. Er besaß zwar nicht ihr Bildniß, aber ein kleines Medaillon mit dem Miniaturbilde ihres schönen braunen Auges, das er wie einen Talisman in Ehren hielt. Dresden war im Jahre 1812 noch eine Festung mit gewaltig hohen Backsteinwällen und finstern Thoren. Dies gab für den Verkehr manche Unbequemlichkeit. Die Tante Keiner wohnte vor dem Pirnaischen Thore und vor dem Falkenschlage auf dem Poppitz. Die Stadt ward für Fuhrwerke aller Art mit Sonnenuntergang geschlossen, für Fußgänger eine Stunde später; wer noch später kam, der kroch gegen Erlegung des Thorgroschens durch ein enges Pförtchen, das nur einer Person den Durchgang gestattete. Das an 100 Fuß lange Thor ging nicht gerade durch den Wall, damit nicht der Feind es mit Kanonen bestreichen könne, sondern es machte einen starken Winkel. An der äußern Seite starrte ein mächtiges Fallgatter aus schweren <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0306" n="294"/> schwebte. Sie war in erster Ehe mit dem Kaufmann Valentin in Freiberg verheirathet gewesen, und hatte von ihm 2 Söhne, Friedrich und Christian. Nun lebte sie in Dresden mit dem Kaufmann Keiner in kinderloser, aber sehr zufriedener Ehe. Friedrich Valentin (oder wie wir Kinder ihn lieber nannten: Vetter Fritz) arbeitete, wie ich schon erwähnte, in einer Berliner Tuchhandlung, Vetter Christian betrieb in Dresden, zusammen mit seinem Stiefvater, eine Bleiweißfabrik, die einzige im ganzen Königreich Sachsen. Er machte in Dresden unseren treuen Mentor, und wir hingen mit wahrer Neigung an ihm. Besonders ergreifend war es für mich, daß er für meinen Vater eine fast übertriebene Verehrung empfand, und daß er von meiner verstorbenen Mutter nicht ohne die tiefste Bewegung sprechen konnte. Er besaß zwar nicht ihr Bildniß, aber ein kleines Medaillon mit dem Miniaturbilde ihres schönen braunen Auges, das er wie einen Talisman in Ehren hielt. </p><lb/> <p>Dresden war im Jahre 1812 noch eine Festung mit gewaltig hohen Backsteinwällen und finstern Thoren. Dies gab für den Verkehr manche Unbequemlichkeit. Die Tante Keiner wohnte vor dem Pirnaischen Thore und vor dem Falkenschlage auf dem Poppitz. Die Stadt ward für Fuhrwerke aller Art mit Sonnenuntergang geschlossen, für Fußgänger eine Stunde später; wer noch später kam, der kroch gegen Erlegung des Thorgroschens durch ein enges Pförtchen, das nur einer Person den Durchgang gestattete. Das an 100 Fuß lange Thor ging nicht gerade durch den Wall, damit nicht der Feind es mit Kanonen bestreichen könne, sondern es machte einen starken Winkel. An der äußern Seite starrte ein mächtiges Fallgatter aus schweren </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [294/0306]
schwebte. Sie war in erster Ehe mit dem Kaufmann Valentin in Freiberg verheirathet gewesen, und hatte von ihm 2 Söhne, Friedrich und Christian. Nun lebte sie in Dresden mit dem Kaufmann Keiner in kinderloser, aber sehr zufriedener Ehe. Friedrich Valentin (oder wie wir Kinder ihn lieber nannten: Vetter Fritz) arbeitete, wie ich schon erwähnte, in einer Berliner Tuchhandlung, Vetter Christian betrieb in Dresden, zusammen mit seinem Stiefvater, eine Bleiweißfabrik, die einzige im ganzen Königreich Sachsen. Er machte in Dresden unseren treuen Mentor, und wir hingen mit wahrer Neigung an ihm. Besonders ergreifend war es für mich, daß er für meinen Vater eine fast übertriebene Verehrung empfand, und daß er von meiner verstorbenen Mutter nicht ohne die tiefste Bewegung sprechen konnte. Er besaß zwar nicht ihr Bildniß, aber ein kleines Medaillon mit dem Miniaturbilde ihres schönen braunen Auges, das er wie einen Talisman in Ehren hielt.
Dresden war im Jahre 1812 noch eine Festung mit gewaltig hohen Backsteinwällen und finstern Thoren. Dies gab für den Verkehr manche Unbequemlichkeit. Die Tante Keiner wohnte vor dem Pirnaischen Thore und vor dem Falkenschlage auf dem Poppitz. Die Stadt ward für Fuhrwerke aller Art mit Sonnenuntergang geschlossen, für Fußgänger eine Stunde später; wer noch später kam, der kroch gegen Erlegung des Thorgroschens durch ein enges Pförtchen, das nur einer Person den Durchgang gestattete. Das an 100 Fuß lange Thor ging nicht gerade durch den Wall, damit nicht der Feind es mit Kanonen bestreichen könne, sondern es machte einen starken Winkel. An der äußern Seite starrte ein mächtiges Fallgatter aus schweren
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/306>, abgerufen am 05.07.2024. |