Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].von 2 Aesten sich gegen einander durchreiben, so schließen sich die beiden wunden Stellen durch den hervordringenden Saft fest zusammen. In den großen Ziergärten der französischen Landsitze sollen manche Buchenhecken zu einem lebendigen Gitterwerk verwachsen sein. Auch bei anderen Bäumen kömmt ähnliches, wiewohl seltner vor. Wer die Nilinsel Rauda bei Kairo besuchte, der erinnert sich gewiß der zusammengewachsenen Aprikosenbäume, die Denon in seinem Werke über Aegypten durch eine Zeichnung verewigt hat. Mit so vielen Kenntnissen und geistigen Vorzügen ausgestattet, lag es doch der Tante sehr fern, ein Blaustrumpf zu sein, vielmehr war sie in allen weiblichen und häuslichen Arbeiten eben so erfahren wie in Sprachen und Wissenschaften. Sie führte die feinsten Stickereien aus, und verschmähte es nicht, daneben die Staubtücher aus der Küche zu stopfen. Nicht zufrieden damit, ihre eigene Wäsche und die ihrer Aeltern auf das sauberste zu nähen, kam sie sogar auf den etwas barocken Einfall, sich ihre Schuhe selbst zu verfertigen. Die nöthigen Handwerkszeuge, Ahle, Pfriemen, Hammer, Schweineborsten, Pechdraht u. s. w. wurden angeschafft, und in einem sauberen Kasten mit Schiebedeckel verwahrt. Sie nahm förmlich Unterricht bei einem anständigen Damenschuhmacher, und handhabte die verschiedenen Instrumente mit einer wahren Virtuosität. Bald brachte sie es dahin, auf selbstgefertigten leichten Sommerschuhen zu gehn; die dicksohligen, welche einen größeren Kraftaufwand erforderten, wollten ihr weniger gelingen. Meine Schwester erhielt von ihr ein paar selbstgefertigte rothseidene Tanzschuhe, die auf mehr als einem Balle glänzten. von 2 Aesten sich gegen einander durchreiben, so schließen sich die beiden wunden Stellen durch den hervordringenden Saft fest zusammen. In den großen Ziergärten der französischen Landsitze sollen manche Buchenhecken zu einem lebendigen Gitterwerk verwachsen sein. Auch bei anderen Bäumen kömmt ähnliches, wiewohl seltner vor. Wer die Nilinsel Rauda bei Kairo besuchte, der erinnert sich gewiß der zusammengewachsenen Aprikosenbäume, die Denon in seinem Werke über Aegypten durch eine Zeichnung verewigt hat. Mit so vielen Kenntnissen und geistigen Vorzügen ausgestattet, lag es doch der Tante sehr fern, ein Blaustrumpf zu sein, vielmehr war sie in allen weiblichen und häuslichen Arbeiten eben so erfahren wie in Sprachen und Wissenschaften. Sie führte die feinsten Stickereien aus, und verschmähte es nicht, daneben die Staubtücher aus der Küche zu stopfen. Nicht zufrieden damit, ihre eigene Wäsche und die ihrer Aeltern auf das sauberste zu nähen, kam sie sogar auf den etwas barocken Einfall, sich ihre Schuhe selbst zu verfertigen. Die nöthigen Handwerkszeuge, Ahle, Pfriemen, Hammer, Schweineborsten, Pechdraht u. s. w. wurden angeschafft, und in einem sauberen Kasten mit Schiebedeckel verwahrt. Sie nahm förmlich Unterricht bei einem anständigen Damenschuhmacher, und handhabte die verschiedenen Instrumente mit einer wahren Virtuosität. Bald brachte sie es dahin, auf selbstgefertigten leichten Sommerschuhen zu gehn; die dicksohligen, welche einen größeren Kraftaufwand erforderten, wollten ihr weniger gelingen. Meine Schwester erhielt von ihr ein paar selbstgefertigte rothseidene Tanzschuhe, die auf mehr als einem Balle glänzten. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div> <p><pb facs="#f0266" n="254"/> von 2 Aesten sich gegen einander durchreiben, so schließen sich die beiden wunden Stellen durch den hervordringenden Saft fest zusammen. In den großen Ziergärten der französischen Landsitze sollen manche Buchenhecken zu einem lebendigen Gitterwerk verwachsen sein. Auch bei anderen Bäumen kömmt ähnliches, wiewohl seltner vor. Wer die Nilinsel Rauda bei Kairo besuchte, der erinnert sich gewiß der zusammengewachsenen Aprikosenbäume, die Denon in seinem Werke über Aegypten durch eine Zeichnung verewigt hat. </p><lb/> <p>Mit so vielen Kenntnissen und geistigen Vorzügen ausgestattet, lag es doch der Tante sehr fern, ein Blaustrumpf zu sein, vielmehr war sie in allen weiblichen und häuslichen Arbeiten eben so erfahren wie in Sprachen und Wissenschaften. Sie führte die feinsten Stickereien aus, und verschmähte es nicht, daneben die Staubtücher aus der Küche zu stopfen. Nicht zufrieden damit, ihre eigene Wäsche und die ihrer Aeltern auf das sauberste zu nähen, kam sie sogar auf den etwas barocken Einfall, sich ihre Schuhe selbst zu verfertigen. Die nöthigen Handwerkszeuge, Ahle, Pfriemen, Hammer, Schweineborsten, Pechdraht u. s. w. wurden angeschafft, und in einem sauberen Kasten mit Schiebedeckel verwahrt. Sie nahm förmlich Unterricht bei einem anständigen Damenschuhmacher, und handhabte die verschiedenen Instrumente mit einer wahren Virtuosität. Bald brachte sie es dahin, auf selbstgefertigten leichten Sommerschuhen zu gehn; die dicksohligen, welche einen größeren Kraftaufwand erforderten, wollten ihr weniger gelingen. Meine Schwester erhielt von ihr ein paar selbstgefertigte rothseidene Tanzschuhe, die auf mehr als einem Balle glänzten. </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [254/0266]
von 2 Aesten sich gegen einander durchreiben, so schließen sich die beiden wunden Stellen durch den hervordringenden Saft fest zusammen. In den großen Ziergärten der französischen Landsitze sollen manche Buchenhecken zu einem lebendigen Gitterwerk verwachsen sein. Auch bei anderen Bäumen kömmt ähnliches, wiewohl seltner vor. Wer die Nilinsel Rauda bei Kairo besuchte, der erinnert sich gewiß der zusammengewachsenen Aprikosenbäume, die Denon in seinem Werke über Aegypten durch eine Zeichnung verewigt hat.
Mit so vielen Kenntnissen und geistigen Vorzügen ausgestattet, lag es doch der Tante sehr fern, ein Blaustrumpf zu sein, vielmehr war sie in allen weiblichen und häuslichen Arbeiten eben so erfahren wie in Sprachen und Wissenschaften. Sie führte die feinsten Stickereien aus, und verschmähte es nicht, daneben die Staubtücher aus der Küche zu stopfen. Nicht zufrieden damit, ihre eigene Wäsche und die ihrer Aeltern auf das sauberste zu nähen, kam sie sogar auf den etwas barocken Einfall, sich ihre Schuhe selbst zu verfertigen. Die nöthigen Handwerkszeuge, Ahle, Pfriemen, Hammer, Schweineborsten, Pechdraht u. s. w. wurden angeschafft, und in einem sauberen Kasten mit Schiebedeckel verwahrt. Sie nahm förmlich Unterricht bei einem anständigen Damenschuhmacher, und handhabte die verschiedenen Instrumente mit einer wahren Virtuosität. Bald brachte sie es dahin, auf selbstgefertigten leichten Sommerschuhen zu gehn; die dicksohligen, welche einen größeren Kraftaufwand erforderten, wollten ihr weniger gelingen. Meine Schwester erhielt von ihr ein paar selbstgefertigte rothseidene Tanzschuhe, die auf mehr als einem Balle glänzten.
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/266>, abgerufen am 26.07.2024. |