Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].griechische Wörter, welche den gewöhnlichen Lexicis fehlen." Der Einbildungskraft eines Secundaners schwindelte bei dem Gedanken, daß der Verfasser nicht nur ein, sondern mehrere Lexica mehr als tausend Mal müsse aufgeschlagen haben, um ein solches Werk zu Stande zu bringen. Einer besonderen Anhänglichkeit von Seiten der Schüler erfreute sich Professor Giesebrecht, dessen feierlicher Introduction ich beigewohnt. Er hat sich nicht durch große litterarische Leistungen bekannt gemacht, besaß aber eine gründliche Bildung in den alten und neuen Sprachen. Der überaus schwierigen Aufgabe, Themata für die deutschen Ausarbeitungen zu finden, genügte er vollkommen. In Prima lasen wir bei ihm Plato's Apologie des Sokrates, woran ich noch immer mit Vergnügen zurückdenke. Das ungeheuchelte Wohlwollen, welches er bei jeder Gelegenheit uns an den Tag legte, war so herzgewinnend, daß in seinen Stunden jede Unordnung mehr aus Liebe zu ihm als aus Furcht vor Strafe unterlassen wurde. Trotz dieses schönen Lehrerkreises und trotzdem daß ich mit jedem Lehrer auf einem sehr guten Fuße stand, kann ich doch an die Gymnasialzeit nur mit Beklemmung und mit dem äußersten Widerwillen zurückdenken, ja eine ganze Reihe von Jahren war es mein schrecklichster Traum, noch auf dem Kloster zu sein. Der tägliche Zwang der sieben langen Schulstunden, die unausgesetzte Beschwerde der häuslichen Arbeiten, die man gewöhnlich bis auf die letzte Stunde verschob, die Seelenangst, wenn man, nicht präparirt, in beständiger banger Erwartung dasaß, aufgerufen zu werden, die Ungeduld, mit der man alsdann die langsamen Klänge der alten plärrenden Thurmuhr griechische Wörter, welche den gewöhnlichen Lexicis fehlen.“ Der Einbildungskraft eines Secundaners schwindelte bei dem Gedanken, daß der Verfasser nicht nur ein, sondern mehrere Lexica mehr als tausend Mal müsse aufgeschlagen haben, um ein solches Werk zu Stande zu bringen. Einer besonderen Anhänglichkeit von Seiten der Schüler erfreute sich Professor Giesebrecht, dessen feierlicher Introduction ich beigewohnt. Er hat sich nicht durch große litterarische Leistungen bekannt gemacht, besaß aber eine gründliche Bildung in den alten und neuen Sprachen. Der überaus schwierigen Aufgabe, Themata für die deutschen Ausarbeitungen zu finden, genügte er vollkommen. In Prima lasen wir bei ihm Plato’s Apologie des Sokrates, woran ich noch immer mit Vergnügen zurückdenke. Das ungeheuchelte Wohlwollen, welches er bei jeder Gelegenheit uns an den Tag legte, war so herzgewinnend, daß in seinen Stunden jede Unordnung mehr aus Liebe zu ihm als aus Furcht vor Strafe unterlassen wurde. Trotz dieses schönen Lehrerkreises und trotzdem daß ich mit jedem Lehrer auf einem sehr guten Fuße stand, kann ich doch an die Gymnasialzeit nur mit Beklemmung und mit dem äußersten Widerwillen zurückdenken, ja eine ganze Reihe von Jahren war es mein schrecklichster Traum, noch auf dem Kloster zu sein. Der tägliche Zwang der sieben langen Schulstunden, die unausgesetzte Beschwerde der häuslichen Arbeiten, die man gewöhnlich bis auf die letzte Stunde verschob, die Seelenangst, wenn man, nicht präparirt, in beständiger banger Erwartung dasaß, aufgerufen zu werden, die Ungeduld, mit der man alsdann die langsamen Klänge der alten plärrenden Thurmuhr <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0191" n="179"/> griechische Wörter, welche den gewöhnlichen Lexicis fehlen.“ Der Einbildungskraft eines Secundaners schwindelte bei dem Gedanken, daß der Verfasser nicht nur ein, sondern mehrere Lexica mehr als tausend Mal müsse aufgeschlagen haben, um ein solches Werk zu Stande zu bringen. </p><lb/> <p>Einer besonderen Anhänglichkeit von Seiten der Schüler erfreute sich Professor Giesebrecht, dessen feierlicher Introduction ich beigewohnt. Er hat sich nicht durch große litterarische Leistungen bekannt gemacht, besaß aber eine gründliche Bildung in den alten und neuen Sprachen. Der überaus schwierigen Aufgabe, Themata für die deutschen Ausarbeitungen zu finden, genügte er vollkommen. In Prima lasen wir bei ihm Plato’s Apologie des Sokrates, woran ich noch immer mit Vergnügen zurückdenke. Das ungeheuchelte Wohlwollen, welches er bei jeder Gelegenheit uns an den Tag legte, war so herzgewinnend, daß in seinen Stunden jede Unordnung mehr aus Liebe zu ihm als aus Furcht vor Strafe unterlassen wurde. </p><lb/> <p>Trotz dieses schönen Lehrerkreises und trotzdem daß ich mit jedem Lehrer auf einem sehr guten Fuße stand, kann ich doch an die Gymnasialzeit nur mit Beklemmung und mit dem äußersten Widerwillen zurückdenken, ja eine ganze Reihe von Jahren war es mein schrecklichster Traum, noch auf dem Kloster zu sein. Der tägliche Zwang der sieben langen Schulstunden, die unausgesetzte Beschwerde der häuslichen Arbeiten, die man gewöhnlich bis auf die letzte Stunde verschob, die Seelenangst, wenn man, nicht präparirt, in beständiger banger Erwartung dasaß, aufgerufen zu werden, die Ungeduld, mit der man alsdann die langsamen Klänge der alten plärrenden Thurmuhr </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [179/0191]
griechische Wörter, welche den gewöhnlichen Lexicis fehlen.“ Der Einbildungskraft eines Secundaners schwindelte bei dem Gedanken, daß der Verfasser nicht nur ein, sondern mehrere Lexica mehr als tausend Mal müsse aufgeschlagen haben, um ein solches Werk zu Stande zu bringen.
Einer besonderen Anhänglichkeit von Seiten der Schüler erfreute sich Professor Giesebrecht, dessen feierlicher Introduction ich beigewohnt. Er hat sich nicht durch große litterarische Leistungen bekannt gemacht, besaß aber eine gründliche Bildung in den alten und neuen Sprachen. Der überaus schwierigen Aufgabe, Themata für die deutschen Ausarbeitungen zu finden, genügte er vollkommen. In Prima lasen wir bei ihm Plato’s Apologie des Sokrates, woran ich noch immer mit Vergnügen zurückdenke. Das ungeheuchelte Wohlwollen, welches er bei jeder Gelegenheit uns an den Tag legte, war so herzgewinnend, daß in seinen Stunden jede Unordnung mehr aus Liebe zu ihm als aus Furcht vor Strafe unterlassen wurde.
Trotz dieses schönen Lehrerkreises und trotzdem daß ich mit jedem Lehrer auf einem sehr guten Fuße stand, kann ich doch an die Gymnasialzeit nur mit Beklemmung und mit dem äußersten Widerwillen zurückdenken, ja eine ganze Reihe von Jahren war es mein schrecklichster Traum, noch auf dem Kloster zu sein. Der tägliche Zwang der sieben langen Schulstunden, die unausgesetzte Beschwerde der häuslichen Arbeiten, die man gewöhnlich bis auf die letzte Stunde verschob, die Seelenangst, wenn man, nicht präparirt, in beständiger banger Erwartung dasaß, aufgerufen zu werden, die Ungeduld, mit der man alsdann die langsamen Klänge der alten plärrenden Thurmuhr
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/191>, abgerufen am 16.02.2025. |