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Pappenheim, Bertha u. a.: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reise-Eindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse. Frankfurt (Main), 1904.

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diesen Familiensinn, gegen die allgemeine Volksmoral, gegen den Wunsch und die Sehnsucht nach einem besseren Leben wenden sich Hunger, Unwissenheit und Laster. Was hilft alle Moral und aller Familiensinn, wenn die jüdischen Mädchen darauf angewiesen sind, in fremden Ländern ihren Erwerb zu suchen; wenn sie in diesen Ländern, deren Sprache und Sitten sie nicht kennen, in die schwerste Not geraten und von betrügerischen, verbrecherischen Leuten umgeben sind, die sie zum Gegenstand des gemeinen Erwerbes und des Lasters machen? Hier hat kein Mensch das Recht, zu verurteilen, so lange nicht alle Wege zur Besserung dieser Zustände betreten waren.

Einen dieser Wege habe ich gezeigt: das ist die Hebung des allgemeinen wirtschaftlichen und geistigen Niveaus der galizischen Juden, speziell der jüdischen Mädchen Galiziens. Diese Hebung macht die Emigration überhaupt überflüssig, oder macht sie die Juden, indem sie auf die Erziehung von intelligenten, arbeitsfähigen Menschen hinausgeht, emigrationsfähig? Dies ist ein Weg, der für die ganze Zukunft der galizischen Juden bestimmend werden muß. So lange aber noch die Resultate dieser Tätigkeit in der Zukunft liegen, muß für die Gegenwart die Regulierung der Emigration jüdischer Mädchen übernommen werden. Dies geschieht schon zum Teil durch die Warnungen für die ins Ausland reisenden Mädchen und Frauen, die von der Hamburger Zweigabteilung des Vereins zur Bekämpfung des Mädchenhandels herausgegeben worden sind.

Diese Warnungen sind mit Angabe von Adressen in verschiedenen Städten Europas versehen, in denen man sich der durchreisenden jüdischen Mädchen annimmt und sie durch Ratschläge und Anweisungen unterstützt.

Jedoch fehlt es noch an Adressen in Amerika, wohin sich der allgemeine Strom der Auswanderung wendet. Es müßte zwischen Amerika und Galizien ein ganzes Netz von Stellungsvermittlungsstätten verbreitet werden, in denen die galizischen Mädchen erfahren könnten, wo und was sie durch die Emigration zu erwarten haben. Diese Stellungsvermittlungsstätten müßten in allen galizischen Städten allgemein bekannt werden. Daneben müßten Emigrationsschulen errichtet werden, in denen die emigrierenden Mädchen mit der Sprache, der Geographie und den Lebensbedingungen des

diesen Familiensinn, gegen die allgemeine Volksmoral, gegen den Wunsch und die Sehnsucht nach einem besseren Leben wenden sich Hunger, Unwissenheit und Laster. Was hilft alle Moral und aller Familiensinn, wenn die jüdischen Mädchen darauf angewiesen sind, in fremden Ländern ihren Erwerb zu suchen; wenn sie in diesen Ländern, deren Sprache und Sitten sie nicht kennen, in die schwerste Not geraten und von betrügerischen, verbrecherischen Leuten umgeben sind, die sie zum Gegenstand des gemeinen Erwerbes und des Lasters machen? Hier hat kein Mensch das Recht, zu verurteilen, so lange nicht alle Wege zur Besserung dieser Zustände betreten waren.

Einen dieser Wege habe ich gezeigt: das ist die Hebung des allgemeinen wirtschaftlichen und geistigen Niveaus der galizischen Juden, speziell der jüdischen Mädchen Galiziens. Diese Hebung macht die Emigration überhaupt überflüssig, oder macht sie die Juden, indem sie auf die Erziehung von intelligenten, arbeitsfähigen Menschen hinausgeht, emigrationsfähig? Dies ist ein Weg, der für die ganze Zukunft der galizischen Juden bestimmend werden muß. So lange aber noch die Resultate dieser Tätigkeit in der Zukunft liegen, muß für die Gegenwart die Regulierung der Emigration jüdischer Mädchen übernommen werden. Dies geschieht schon zum Teil durch die Warnungen für die ins Ausland reisenden Mädchen und Frauen, die von der Hamburger Zweigabteilung des Vereins zur Bekämpfung des Mädchenhandels herausgegeben worden sind.

Diese Warnungen sind mit Angabe von Adressen in verschiedenen Städten Europas versehen, in denen man sich der durchreisenden jüdischen Mädchen annimmt und sie durch Ratschläge und Anweisungen unterstützt.

Jedoch fehlt es noch an Adressen in Amerika, wohin sich der allgemeine Strom der Auswanderung wendet. Es müßte zwischen Amerika und Galizien ein ganzes Netz von Stellungsvermittlungsstätten verbreitet werden, in denen die galizischen Mädchen erfahren könnten, wo und was sie durch die Emigration zu erwarten haben. Diese Stellungsvermittlungsstätten müßten in allen galizischen Städten allgemein bekannt werden. Daneben müßten Emigrationsschulen errichtet werden, in denen die emigrierenden Mädchen mit der Sprache, der Geographie und den Lebensbedingungen des

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[96/0096] diesen Familiensinn, gegen die allgemeine Volksmoral, gegen den Wunsch und die Sehnsucht nach einem besseren Leben wenden sich Hunger, Unwissenheit und Laster. Was hilft alle Moral und aller Familiensinn, wenn die jüdischen Mädchen darauf angewiesen sind, in fremden Ländern ihren Erwerb zu suchen; wenn sie in diesen Ländern, deren Sprache und Sitten sie nicht kennen, in die schwerste Not geraten und von betrügerischen, verbrecherischen Leuten umgeben sind, die sie zum Gegenstand des gemeinen Erwerbes und des Lasters machen? Hier hat kein Mensch das Recht, zu verurteilen, so lange nicht alle Wege zur Besserung dieser Zustände betreten waren. Einen dieser Wege habe ich gezeigt: das ist die Hebung des allgemeinen wirtschaftlichen und geistigen Niveaus der galizischen Juden, speziell der jüdischen Mädchen Galiziens. Diese Hebung macht die Emigration überhaupt überflüssig, oder macht sie die Juden, indem sie auf die Erziehung von intelligenten, arbeitsfähigen Menschen hinausgeht, emigrationsfähig? Dies ist ein Weg, der für die ganze Zukunft der galizischen Juden bestimmend werden muß. So lange aber noch die Resultate dieser Tätigkeit in der Zukunft liegen, muß für die Gegenwart die Regulierung der Emigration jüdischer Mädchen übernommen werden. Dies geschieht schon zum Teil durch die Warnungen für die ins Ausland reisenden Mädchen und Frauen, die von der Hamburger Zweigabteilung des Vereins zur Bekämpfung des Mädchenhandels herausgegeben worden sind. Diese Warnungen sind mit Angabe von Adressen in verschiedenen Städten Europas versehen, in denen man sich der durchreisenden jüdischen Mädchen annimmt und sie durch Ratschläge und Anweisungen unterstützt. Jedoch fehlt es noch an Adressen in Amerika, wohin sich der allgemeine Strom der Auswanderung wendet. Es müßte zwischen Amerika und Galizien ein ganzes Netz von Stellungsvermittlungsstätten verbreitet werden, in denen die galizischen Mädchen erfahren könnten, wo und was sie durch die Emigration zu erwarten haben. Diese Stellungsvermittlungsstätten müßten in allen galizischen Städten allgemein bekannt werden. Daneben müßten Emigrationsschulen errichtet werden, in denen die emigrierenden Mädchen mit der Sprache, der Geographie und den Lebensbedingungen des

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Zitationshilfe: Pappenheim, Bertha u. a.: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reise-Eindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse. Frankfurt (Main), 1904, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pappenheim_galizien_1904/96>, abgerufen am 21.11.2024.