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Pappenheim, Bertha u. a.: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reise-Eindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse. Frankfurt (Main), 1904.

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Hauptübel, das im Wesen des Müßigganges liegt. Er bringt in das ganze Hauswesen ein Element der Untätigkeit und Apathie: jeder lebhafte Verkehr zwischen den Mitgliedern der Familie ist ausgeschlossen, und nur die Gewohnheit hält sie zusammen. Kein Wunder, daß junge Mädchen in solchen Familien keine Freude an dem Zusammensein mit ihrer Familie und an der Hausarbeit haben und darum in ihren Musestunden allen Versuchungen der Straße ausgesetzt sind. All dem wirkt die Haushaltungsschule entgegen, indem sie die Mädchen schon im frühen Alter an die häusliche Arbeit und an eine richtige Zeiteinteilung gewöhnt und sie auf allerlei Beschäftigungen aufmerksam macht, die in den Mußestunden verrichtet werden können, und von deren Ausführung die Gemütlichkeit und Befriedigung im häuslichen Leben abhängt.

Was in Galizien in dieser Richtung bis jetzt für die Juden getan worden ist, sind die drei Haushaltungsschulen der Baron Hirsch-Stiftung in Tarnow, Stanislau und Kolomea.

Sie machen alle einen sehr erfreulichen Eindruck und bringen ihre Absolventinnen sehr gut als Dienstmädchen unter. Was an ihnen auszusetzen ist, ist die kurze Lehrzeit (der Kursus in diesen Schulen dauert bloß zwei Jahre) und das vollständige Fehlen einer weiblichen Kontrolle. Ersteres ist durch die Beschränkung der finanziellen Mittel verursacht. Die Anstellung einer weiblichen Inspektorin für die Haushaltungsschulen würde jedoch von der Baron Hirsch-Stiftung getragen werden können.

Abgesehen davon, daß ein Mann nicht im stande ist, die Kontrolle einer Haushaltungsschule durchzuführen, erfordert diese Kontrolle einen so genauen Einblick, wie er nicht zugleich mit der anderer Einrichtungen gewonnen werden kann.

Man muß in einer Haushaltungsschule gelebt haben, um ihren Betrieb zu verstehen und verbessernd einwirken zu können. Daher müssen speziell zu diesem Zwecke ausgebildete und angestellte Frauen bevollmächtigt werden.

Da die Stiftung nicht im stande ist, neue Haushaltungsschulen zu gründen, so sollten sie von anderen Wohlfahrtsvereinigungen ins Leben gerufen und bestehende, wo nötig, unterstützt werden.

Als geeigneter Platz für die Gründung einer neuen Haushaltungsschule käme die Stadt Zloczow in Betracht. Dort soll die Bevölkerung viel weniger fanatisch sein als sonst in Galizien, und sie

Hauptübel, das im Wesen des Müßigganges liegt. Er bringt in das ganze Hauswesen ein Element der Untätigkeit und Apathie: jeder lebhafte Verkehr zwischen den Mitgliedern der Familie ist ausgeschlossen, und nur die Gewohnheit hält sie zusammen. Kein Wunder, daß junge Mädchen in solchen Familien keine Freude an dem Zusammensein mit ihrer Familie und an der Hausarbeit haben und darum in ihren Musestunden allen Versuchungen der Straße ausgesetzt sind. All dem wirkt die Haushaltungsschule entgegen, indem sie die Mädchen schon im frühen Alter an die häusliche Arbeit und an eine richtige Zeiteinteilung gewöhnt und sie auf allerlei Beschäftigungen aufmerksam macht, die in den Mußestunden verrichtet werden können, und von deren Ausführung die Gemütlichkeit und Befriedigung im häuslichen Leben abhängt.

Was in Galizien in dieser Richtung bis jetzt für die Juden getan worden ist, sind die drei Haushaltungsschulen der Baron Hirsch-Stiftung in Tarnow, Stanislau und Kolomea.

Sie machen alle einen sehr erfreulichen Eindruck und bringen ihre Absolventinnen sehr gut als Dienstmädchen unter. Was an ihnen auszusetzen ist, ist die kurze Lehrzeit (der Kursus in diesen Schulen dauert bloß zwei Jahre) und das vollständige Fehlen einer weiblichen Kontrolle. Ersteres ist durch die Beschränkung der finanziellen Mittel verursacht. Die Anstellung einer weiblichen Inspektorin für die Haushaltungsschulen würde jedoch von der Baron Hirsch-Stiftung getragen werden können.

Abgesehen davon, daß ein Mann nicht im stande ist, die Kontrolle einer Haushaltungsschule durchzuführen, erfordert diese Kontrolle einen so genauen Einblick, wie er nicht zugleich mit der anderer Einrichtungen gewonnen werden kann.

Man muß in einer Haushaltungsschule gelebt haben, um ihren Betrieb zu verstehen und verbessernd einwirken zu können. Daher müssen speziell zu diesem Zwecke ausgebildete und angestellte Frauen bevollmächtigt werden.

Da die Stiftung nicht im stande ist, neue Haushaltungsschulen zu gründen, so sollten sie von anderen Wohlfahrtsvereinigungen ins Leben gerufen und bestehende, wo nötig, unterstützt werden.

Als geeigneter Platz für die Gründung einer neuen Haushaltungsschule käme die Stadt Zloczow in Betracht. Dort soll die Bevölkerung viel weniger fanatisch sein als sonst in Galizien, und sie

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[81/0081] Hauptübel, das im Wesen des Müßigganges liegt. Er bringt in das ganze Hauswesen ein Element der Untätigkeit und Apathie: jeder lebhafte Verkehr zwischen den Mitgliedern der Familie ist ausgeschlossen, und nur die Gewohnheit hält sie zusammen. Kein Wunder, daß junge Mädchen in solchen Familien keine Freude an dem Zusammensein mit ihrer Familie und an der Hausarbeit haben und darum in ihren Musestunden allen Versuchungen der Straße ausgesetzt sind. All dem wirkt die Haushaltungsschule entgegen, indem sie die Mädchen schon im frühen Alter an die häusliche Arbeit und an eine richtige Zeiteinteilung gewöhnt und sie auf allerlei Beschäftigungen aufmerksam macht, die in den Mußestunden verrichtet werden können, und von deren Ausführung die Gemütlichkeit und Befriedigung im häuslichen Leben abhängt. Was in Galizien in dieser Richtung bis jetzt für die Juden getan worden ist, sind die drei Haushaltungsschulen der Baron Hirsch-Stiftung in Tarnow, Stanislau und Kolomea. Sie machen alle einen sehr erfreulichen Eindruck und bringen ihre Absolventinnen sehr gut als Dienstmädchen unter. Was an ihnen auszusetzen ist, ist die kurze Lehrzeit (der Kursus in diesen Schulen dauert bloß zwei Jahre) und das vollständige Fehlen einer weiblichen Kontrolle. Ersteres ist durch die Beschränkung der finanziellen Mittel verursacht. Die Anstellung einer weiblichen Inspektorin für die Haushaltungsschulen würde jedoch von der Baron Hirsch-Stiftung getragen werden können. Abgesehen davon, daß ein Mann nicht im stande ist, die Kontrolle einer Haushaltungsschule durchzuführen, erfordert diese Kontrolle einen so genauen Einblick, wie er nicht zugleich mit der anderer Einrichtungen gewonnen werden kann. Man muß in einer Haushaltungsschule gelebt haben, um ihren Betrieb zu verstehen und verbessernd einwirken zu können. Daher müssen speziell zu diesem Zwecke ausgebildete und angestellte Frauen bevollmächtigt werden. Da die Stiftung nicht im stande ist, neue Haushaltungsschulen zu gründen, so sollten sie von anderen Wohlfahrtsvereinigungen ins Leben gerufen und bestehende, wo nötig, unterstützt werden. Als geeigneter Platz für die Gründung einer neuen Haushaltungsschule käme die Stadt Zloczow in Betracht. Dort soll die Bevölkerung viel weniger fanatisch sein als sonst in Galizien, und sie

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Zitationshilfe: Pappenheim, Bertha u. a.: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reise-Eindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse. Frankfurt (Main), 1904, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pappenheim_galizien_1904/81>, abgerufen am 28.11.2024.