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Pappenheim, Bertha u. a.: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reise-Eindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse. Frankfurt (Main), 1904.

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würden, wie sie das Land in der nächsten Zeit nicht aufzubringen im stande ist, schlage ich vor, an Stelle dieser viel zu teueren Spitalpflege eine ausgedehnte ambulatorische Behandlung in Verbindung mit armenärztlicher und häuslicher Pflege treten zu lassen.

Ich nehme z. B. an, irgend eine Gemeinde kann aus Friedhofsgeldern, Fleischsteuern, den Einnahmen des Bades u. s. w. etwa 6000 Gulden für Spitalzwecke ausgeben. Dafür ist alles schlecht und ungenügend, und nur wenige Kranke werden die Wohltat dieser ungenügenden Pflege genießen, denn an dem Löffel der Administration, an dem Haus, dem Inventar, den Hilfsbeamten u. s. w. wird das meiste Geld hängen bleiben. Vorteilhafter wäre es, möglichst in der Nähe des Gemeindebades (um die Benutzung dieser Einrichtung leicht anordnen zu können) eine den modernen Ansprüchen an Vollständigkeit und Reinlichkeit genügende Ambulanz einzurichten. In derselben amtiert in den Vormittagsstunden ein von der Gemeinde gut bezahlter Arzt mit einer von der Gemeinde gut bezahlten Pflegerin. Beide haben in den Nachmittagsstunden Armenpraxis, resp. Armenpflege zu besorgen, für welche ihnen gleichfalls auf Gemeindekosten ein Depot an Wäsche, Bettwäsche, Bettzeug, Verbandsutensilien, Medikamenten und Anweisungen auf Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Abzüglich der Gehälter und der Miete kann sicher 1/4 bis 1/3 des verfügbaren Geldes für derartige Ausgaben verwendet werden.

Bei besonders schweren oder operativen Fällen und bei ansteckenden Krankheiten (Blattern und Typhus), die nicht in häuslicher Pflege bleiben dürfen, haben Armenarzt und Armenpflegerin die Pflicht, die Übertragung des Kranken in das nächste christliche Hospital zu veranlassen und für rituelle Verköstigung zu sorgen.

Auf diese Weise kämen die Geldmittel der Gemeinde mit sehr geringen Verwaltungskosten wieder der Gemeinde zu Gute, und die Ambulanz wäre eine Station, von der aus Anleitung, Aufklärung und Hilfe in jeder Form direkt in die Bevölkerung getragen würde.

Wenn zwei nicht große Gemeinden, die auch nicht weit von einander gelegen sind, sich mit je drei Pflegetagen der Woche begnügen wollen, können sie auch Arzt und Pflegerin gemeinsam anstellen und sie werden ihren Gemeindemitgliedern immer noch eine reinlichere und bessere Pflege und kräftigere Beihilfe in Krankheitsfällen

würden, wie sie das Land in der nächsten Zeit nicht aufzubringen im stande ist, schlage ich vor, an Stelle dieser viel zu teueren Spitalpflege eine ausgedehnte ambulatorische Behandlung in Verbindung mit armenärztlicher und häuslicher Pflege treten zu lassen.

Ich nehme z. B. an, irgend eine Gemeinde kann aus Friedhofsgeldern, Fleischsteuern, den Einnahmen des Bades u. s. w. etwa 6000 Gulden für Spitalzwecke ausgeben. Dafür ist alles schlecht und ungenügend, und nur wenige Kranke werden die Wohltat dieser ungenügenden Pflege genießen, denn an dem Löffel der Administration, an dem Haus, dem Inventar, den Hilfsbeamten u. s. w. wird das meiste Geld hängen bleiben. Vorteilhafter wäre es, möglichst in der Nähe des Gemeindebades (um die Benutzung dieser Einrichtung leicht anordnen zu können) eine den modernen Ansprüchen an Vollständigkeit und Reinlichkeit genügende Ambulanz einzurichten. In derselben amtiert in den Vormittagsstunden ein von der Gemeinde gut bezahlter Arzt mit einer von der Gemeinde gut bezahlten Pflegerin. Beide haben in den Nachmittagsstunden Armenpraxis, resp. Armenpflege zu besorgen, für welche ihnen gleichfalls auf Gemeindekosten ein Depot an Wäsche, Bettwäsche, Bettzeug, Verbandsutensilien, Medikamenten und Anweisungen auf Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Abzüglich der Gehälter und der Miete kann sicher ¼ bis ⅓ des verfügbaren Geldes für derartige Ausgaben verwendet werden.

Bei besonders schweren oder operativen Fällen und bei ansteckenden Krankheiten (Blattern und Typhus), die nicht in häuslicher Pflege bleiben dürfen, haben Armenarzt und Armenpflegerin die Pflicht, die Übertragung des Kranken in das nächste christliche Hospital zu veranlassen und für rituelle Verköstigung zu sorgen.

Auf diese Weise kämen die Geldmittel der Gemeinde mit sehr geringen Verwaltungskosten wieder der Gemeinde zu Gute, und die Ambulanz wäre eine Station, von der aus Anleitung, Aufklärung und Hilfe in jeder Form direkt in die Bevölkerung getragen würde.

Wenn zwei nicht große Gemeinden, die auch nicht weit von einander gelegen sind, sich mit je drei Pflegetagen der Woche begnügen wollen, können sie auch Arzt und Pflegerin gemeinsam anstellen und sie werden ihren Gemeindemitgliedern immer noch eine reinlichere und bessere Pflege und kräftigere Beihilfe in Krankheitsfällen

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[59/0059] würden, wie sie das Land in der nächsten Zeit nicht aufzubringen im stande ist, schlage ich vor, an Stelle dieser viel zu teueren Spitalpflege eine ausgedehnte ambulatorische Behandlung in Verbindung mit armenärztlicher und häuslicher Pflege treten zu lassen. Ich nehme z. B. an, irgend eine Gemeinde kann aus Friedhofsgeldern, Fleischsteuern, den Einnahmen des Bades u. s. w. etwa 6000 Gulden für Spitalzwecke ausgeben. Dafür ist alles schlecht und ungenügend, und nur wenige Kranke werden die Wohltat dieser ungenügenden Pflege genießen, denn an dem Löffel der Administration, an dem Haus, dem Inventar, den Hilfsbeamten u. s. w. wird das meiste Geld hängen bleiben. Vorteilhafter wäre es, möglichst in der Nähe des Gemeindebades (um die Benutzung dieser Einrichtung leicht anordnen zu können) eine den modernen Ansprüchen an Vollständigkeit und Reinlichkeit genügende Ambulanz einzurichten. In derselben amtiert in den Vormittagsstunden ein von der Gemeinde gut bezahlter Arzt mit einer von der Gemeinde gut bezahlten Pflegerin. Beide haben in den Nachmittagsstunden Armenpraxis, resp. Armenpflege zu besorgen, für welche ihnen gleichfalls auf Gemeindekosten ein Depot an Wäsche, Bettwäsche, Bettzeug, Verbandsutensilien, Medikamenten und Anweisungen auf Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Abzüglich der Gehälter und der Miete kann sicher ¼ bis ⅓ des verfügbaren Geldes für derartige Ausgaben verwendet werden. Bei besonders schweren oder operativen Fällen und bei ansteckenden Krankheiten (Blattern und Typhus), die nicht in häuslicher Pflege bleiben dürfen, haben Armenarzt und Armenpflegerin die Pflicht, die Übertragung des Kranken in das nächste christliche Hospital zu veranlassen und für rituelle Verköstigung zu sorgen. Auf diese Weise kämen die Geldmittel der Gemeinde mit sehr geringen Verwaltungskosten wieder der Gemeinde zu Gute, und die Ambulanz wäre eine Station, von der aus Anleitung, Aufklärung und Hilfe in jeder Form direkt in die Bevölkerung getragen würde. Wenn zwei nicht große Gemeinden, die auch nicht weit von einander gelegen sind, sich mit je drei Pflegetagen der Woche begnügen wollen, können sie auch Arzt und Pflegerin gemeinsam anstellen und sie werden ihren Gemeindemitgliedern immer noch eine reinlichere und bessere Pflege und kräftigere Beihilfe in Krankheitsfällen

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Zitationshilfe: Pappenheim, Bertha u. a.: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reise-Eindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse. Frankfurt (Main), 1904, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pappenheim_galizien_1904/59>, abgerufen am 22.11.2024.