Pappenheim, Bertha u. a.: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reise-Eindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse. Frankfurt (Main), 1904.Ich weiß, daß, was ich in Nachstehendem sage, vielen nicht gefallen wird; den Orthodoxen kann es zu modern, den Modernen zu altmodisch, den Philanthropen zu sozialistisch, den Sozialisten zu philanthropisch, den Gelehrten zu laienhaft, den Indolenten zu unbequem, den Vorsichtigen zu unvorsichtig, den Draufgehern zu zahm sein. Für alle diese habe ich nur eine Erwiderung: ich gebe die Dinge wieder, wie ich sie sah, wie ich sie auffaßte. Ich konnte mich nicht dazu verstehen, auf Kosten der subjektiven Wahrheit objektiv scheinen zu wollen. B. P. Im Anschluß an diverse Verhandlungen der beiden Vereine, des Frankfurter "Israelitischen Hilfsvereins" und des "Jüdischen Zweigkomites zur Bekämpfung des Mädchenhandels" in Hamburg, hatte ich mich erboten, eine Studienreise nach Galizien zu machen, um von bestimmten Gesichtspunkten aus über die Lage der jüdischen Bevölkerung dort mehr zu erfahren, als eine Beobachtung außer Landes es ermöglicht. Die genannten Vereine beauftragten Fräulein Dr. Sara Rabinowitsch und mich, diese Studienreise zu machen, und es erwächst uns beiden daraus die Pflicht, gesondert über die Eindrücke und Erfahrungen unserer Reise zu berichten, und diesen Bericht einem Kreise von Interessenten zu übergeben. Um die äußere Reihenfolge der Reiseeindrücke festzuhalten, habe ich ein Tagebuch geführt, das mir ermöglicht, mir selbst jederzeit über Einzelheiten, die dem Gedächtnisse leicht entschwinden, wieder Rechenschaft zu geben. Das was ich heute zu bringen habe, ist aber weder ein chronologisches Aufzählen, noch ein geographisches Herzählen, vielmehr will ich mich bemühen, meine Eindrücke stofflich so zu gruppieren, daß sich die Reise und meine Absichten bei derselben als ein zusammenhängendes Ganze darstellen. Ich hoffe, daß das Niederschreiben mir selbst etwas Ruhe gebracht hat, und daß mir von der Erregung, die mich angesichts so vielen Elends, so vieler Verwahrlosung und Versumpfung oft Ich weiß, daß, was ich in Nachstehendem sage, vielen nicht gefallen wird; den Orthodoxen kann es zu modern, den Modernen zu altmodisch, den Philanthropen zu sozialistisch, den Sozialisten zu philanthropisch, den Gelehrten zu laienhaft, den Indolenten zu unbequem, den Vorsichtigen zu unvorsichtig, den Draufgehern zu zahm sein. Für alle diese habe ich nur eine Erwiderung: ich gebe die Dinge wieder, wie ich sie sah, wie ich sie auffaßte. Ich konnte mich nicht dazu verstehen, auf Kosten der subjektiven Wahrheit objektiv scheinen zu wollen. B. P. Im Anschluß an diverse Verhandlungen der beiden Vereine, des Frankfurter „Israelitischen Hilfsvereins“ und des „Jüdischen Zweigkomites zur Bekämpfung des Mädchenhandels“ in Hamburg, hatte ich mich erboten, eine Studienreise nach Galizien zu machen, um von bestimmten Gesichtspunkten aus über die Lage der jüdischen Bevölkerung dort mehr zu erfahren, als eine Beobachtung außer Landes es ermöglicht. Die genannten Vereine beauftragten Fräulein Dr. Sara Rabinowitsch und mich, diese Studienreise zu machen, und es erwächst uns beiden daraus die Pflicht, gesondert über die Eindrücke und Erfahrungen unserer Reise zu berichten, und diesen Bericht einem Kreise von Interessenten zu übergeben. Um die äußere Reihenfolge der Reiseeindrücke festzuhalten, habe ich ein Tagebuch geführt, das mir ermöglicht, mir selbst jederzeit über Einzelheiten, die dem Gedächtnisse leicht entschwinden, wieder Rechenschaft zu geben. Das was ich heute zu bringen habe, ist aber weder ein chronologisches Aufzählen, noch ein geographisches Herzählen, vielmehr will ich mich bemühen, meine Eindrücke stofflich so zu gruppieren, daß sich die Reise und meine Absichten bei derselben als ein zusammenhängendes Ganze darstellen. Ich hoffe, daß das Niederschreiben mir selbst etwas Ruhe gebracht hat, und daß mir von der Erregung, die mich angesichts so vielen Elends, so vieler Verwahrlosung und Versumpfung oft <TEI> <text> <pb facs="#f0004" n="4"/> <body> <div> <p>Ich weiß, daß, was ich in Nachstehendem sage, vielen nicht gefallen wird; den Orthodoxen kann es zu modern, den Modernen zu altmodisch, den Philanthropen zu sozialistisch, den Sozialisten zu philanthropisch, den Gelehrten zu laienhaft, den Indolenten zu unbequem, den Vorsichtigen zu unvorsichtig, den Draufgehern zu zahm sein. Für alle diese habe ich nur eine Erwiderung: ich gebe die Dinge wieder, wie ich sie sah, wie ich sie auffaßte. Ich konnte mich nicht dazu verstehen, auf Kosten der subjektiven Wahrheit objektiv scheinen zu wollen.</p> <p rendition="#right">B. 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Das was ich heute zu bringen habe, ist aber weder ein chronologisches Aufzählen, noch ein geographisches Herzählen, vielmehr will ich mich bemühen, meine Eindrücke stofflich so zu gruppieren, daß sich die Reise und meine Absichten bei derselben als ein zusammenhängendes Ganze darstellen.</p> <p>Ich hoffe, daß das Niederschreiben mir selbst etwas Ruhe gebracht hat, und daß mir von der Erregung, die mich angesichts so vielen Elends, so vieler Verwahrlosung und Versumpfung oft </p> </div> </body> </text> </TEI> [4/0004]
Ich weiß, daß, was ich in Nachstehendem sage, vielen nicht gefallen wird; den Orthodoxen kann es zu modern, den Modernen zu altmodisch, den Philanthropen zu sozialistisch, den Sozialisten zu philanthropisch, den Gelehrten zu laienhaft, den Indolenten zu unbequem, den Vorsichtigen zu unvorsichtig, den Draufgehern zu zahm sein. Für alle diese habe ich nur eine Erwiderung: ich gebe die Dinge wieder, wie ich sie sah, wie ich sie auffaßte. Ich konnte mich nicht dazu verstehen, auf Kosten der subjektiven Wahrheit objektiv scheinen zu wollen.
B. P.
Im Anschluß an diverse Verhandlungen der beiden Vereine, des Frankfurter „Israelitischen Hilfsvereins“ und des „Jüdischen Zweigkomites zur Bekämpfung des Mädchenhandels“ in Hamburg, hatte ich mich erboten, eine Studienreise nach Galizien zu machen, um von bestimmten Gesichtspunkten aus über die Lage der jüdischen Bevölkerung dort mehr zu erfahren, als eine Beobachtung außer Landes es ermöglicht. Die genannten Vereine beauftragten Fräulein Dr. Sara Rabinowitsch und mich, diese Studienreise zu machen, und es erwächst uns beiden daraus die Pflicht, gesondert über die Eindrücke und Erfahrungen unserer Reise zu berichten, und diesen Bericht einem Kreise von Interessenten zu übergeben.
Um die äußere Reihenfolge der Reiseeindrücke festzuhalten, habe ich ein Tagebuch geführt, das mir ermöglicht, mir selbst jederzeit über Einzelheiten, die dem Gedächtnisse leicht entschwinden, wieder Rechenschaft zu geben. Das was ich heute zu bringen habe, ist aber weder ein chronologisches Aufzählen, noch ein geographisches Herzählen, vielmehr will ich mich bemühen, meine Eindrücke stofflich so zu gruppieren, daß sich die Reise und meine Absichten bei derselben als ein zusammenhängendes Ganze darstellen.
Ich hoffe, daß das Niederschreiben mir selbst etwas Ruhe gebracht hat, und daß mir von der Erregung, die mich angesichts so vielen Elends, so vieler Verwahrlosung und Versumpfung oft
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