Pappenheim, Bertha u. a.: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reise-Eindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse. Frankfurt (Main), 1904.seiner dekadenten moralischen Struktur, haben alle Institutionen gemeinsam die große Aufgabe in Haltung und Verwaltung für das ganze Land vorbildlich zu sein. Wenn "etwas vorkommt", dann muß mit unnachsichtlicher Strenge vorgegangen werden, damit die Bevölkerung keinen Augenblick darüber im Zweifel bleiben kann, was erlaubt und was unerlaubt ist. Bei der exponierten Stellung dieser Verwaltungen muß jede Nachsicht und Milde, die vielleicht persönlich angebracht sein kann, zu einer Verwirrung der allgemeinen Ehr- und Rechtsbegriffe führen, auf deren Stärkung im Volke es vor allem ankommt. Bezüglich des Handwerks habe ich zu berichten, daß ich keine besondere Abneigung gegen dasselbe bemerkt habe, und daß die gangbarsten Handwerke (Schneider, Schuster, Tischler, Spengler, Anstreicher und Maurer) unter den Juden vielfach vertreten sind. Es würden sich Schüler aus den obersten Klassen der Baron Hirsch-Schulen gerne einem Handwerk widmen, wenn die 50 bis 80 Gulden Lehrgeld aufzubringen wären. Es ist notwendig, daß die Lehrlinge bei guten christlichen Meistern in größeren Städten in die Lehre kommen, um sie wirklich konkurrenz- und erwerbsfähig zu machen. Das, was an den kleinen Orten Galiziens selbst von einem Handwerker gefordert wird, darf nicht als Maßstab der Ausbildung gelten. Daß manche Handwerkerschulen der J. C. A. an Verwaltungssünden zu Grunde gegangen sind, ist sehr zu bedauern, aber doch auch wieder gut zu machen. Ich meine, bei gutem Willen müßte sich ein Modus finden lassen, in dem die Lokalkomitees und die Vereinsdezernenten sich zu harmonischer Zusammenarbeit bereit finden. Zwei Klagen sind nach dieser Richtung typisch: die Lokalkomitees finden die wenig konziliante, diktatorische Art der J. C. A. unangemessen. Seitens der J. C. A. dagegen wird die Lokalexekution als vielfach verständnislos, mangelhaft, oft auch geradezu als korrupt bezeichnet. Bei der Wichtigkeit der Aufgabe wäre es wohl der Mühe wert, Schwierigkeiten, die nur persönlicher, und nicht sachlicher Natur sind, zu überwinden. Bezüglich der Lehrlinge sind die J. C. A.-Vertreter zu der seiner dekadenten moralischen Struktur, haben alle Institutionen gemeinsam die große Aufgabe in Haltung und Verwaltung für das ganze Land vorbildlich zu sein. Wenn „etwas vorkommt“, dann muß mit unnachsichtlicher Strenge vorgegangen werden, damit die Bevölkerung keinen Augenblick darüber im Zweifel bleiben kann, was erlaubt und was unerlaubt ist. Bei der exponierten Stellung dieser Verwaltungen muß jede Nachsicht und Milde, die vielleicht persönlich angebracht sein kann, zu einer Verwirrung der allgemeinen Ehr- und Rechtsbegriffe führen, auf deren Stärkung im Volke es vor allem ankommt. Bezüglich des Handwerks habe ich zu berichten, daß ich keine besondere Abneigung gegen dasselbe bemerkt habe, und daß die gangbarsten Handwerke (Schneider, Schuster, Tischler, Spengler, Anstreicher und Maurer) unter den Juden vielfach vertreten sind. Es würden sich Schüler aus den obersten Klassen der Baron Hirsch-Schulen gerne einem Handwerk widmen, wenn die 50 bis 80 Gulden Lehrgeld aufzubringen wären. Es ist notwendig, daß die Lehrlinge bei guten christlichen Meistern in größeren Städten in die Lehre kommen, um sie wirklich konkurrenz- und erwerbsfähig zu machen. Das, was an den kleinen Orten Galiziens selbst von einem Handwerker gefordert wird, darf nicht als Maßstab der Ausbildung gelten. Daß manche Handwerkerschulen der J. C. A. an Verwaltungssünden zu Grunde gegangen sind, ist sehr zu bedauern, aber doch auch wieder gut zu machen. Ich meine, bei gutem Willen müßte sich ein Modus finden lassen, in dem die Lokalkomitees und die Vereinsdezernenten sich zu harmonischer Zusammenarbeit bereit finden. Zwei Klagen sind nach dieser Richtung typisch: die Lokalkomitees finden die wenig konziliante, diktatorische Art der J. C. A. unangemessen. Seitens der J. C. A. dagegen wird die Lokalexekution als vielfach verständnislos, mangelhaft, oft auch geradezu als korrupt bezeichnet. Bei der Wichtigkeit der Aufgabe wäre es wohl der Mühe wert, Schwierigkeiten, die nur persönlicher, und nicht sachlicher Natur sind, zu überwinden. Bezüglich der Lehrlinge sind die J. C. A.-Vertreter zu der <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0030" n="30"/> seiner dekadenten moralischen Struktur, haben alle Institutionen gemeinsam die große Aufgabe in Haltung und Verwaltung für das ganze Land vorbildlich zu sein.</p> <p>Wenn „etwas vorkommt“, dann muß mit unnachsichtlicher Strenge vorgegangen werden, damit die Bevölkerung keinen Augenblick darüber im Zweifel bleiben kann, was erlaubt und was unerlaubt ist.</p> <p>Bei der exponierten Stellung dieser Verwaltungen muß jede Nachsicht und Milde, die vielleicht persönlich angebracht sein kann, zu einer Verwirrung der allgemeinen Ehr- und Rechtsbegriffe führen, auf deren Stärkung im Volke es vor allem ankommt.</p> <p>Bezüglich des Handwerks habe ich zu berichten, daß ich keine besondere Abneigung gegen dasselbe bemerkt habe, und daß die gangbarsten Handwerke (Schneider, Schuster, Tischler, Spengler, Anstreicher und Maurer) unter den Juden vielfach vertreten sind. Es würden sich Schüler aus den obersten Klassen der Baron Hirsch-Schulen gerne einem Handwerk widmen, wenn die 50 bis 80 Gulden Lehrgeld aufzubringen wären.</p> <p>Es ist notwendig, daß die Lehrlinge bei guten christlichen Meistern in größeren Städten in die Lehre kommen, um sie wirklich konkurrenz- und erwerbsfähig zu machen.</p> <p>Das, was an den kleinen Orten Galiziens selbst von einem Handwerker gefordert wird, darf nicht als Maßstab der Ausbildung gelten.</p> <p>Daß manche Handwerkerschulen der J. C. A. an Verwaltungssünden zu Grunde gegangen sind, ist sehr zu bedauern, aber doch auch wieder gut zu machen. Ich meine, bei gutem Willen müßte sich ein Modus finden lassen, in dem die Lokalkomitees und die Vereinsdezernenten sich zu harmonischer Zusammenarbeit bereit finden. Zwei Klagen sind nach dieser Richtung typisch: die Lokalkomitees finden die wenig konziliante, diktatorische Art der J. C. A. unangemessen. Seitens der J. C. A. dagegen wird die Lokalexekution als vielfach verständnislos, mangelhaft, oft auch geradezu als korrupt bezeichnet.</p> <p>Bei der Wichtigkeit der Aufgabe wäre es wohl der Mühe wert, Schwierigkeiten, die nur persönlicher, und nicht sachlicher Natur sind, zu überwinden.</p> <p>Bezüglich der Lehrlinge sind die J. C. A.-Vertreter zu der </p> </div> </body> </text> </TEI> [30/0030]
seiner dekadenten moralischen Struktur, haben alle Institutionen gemeinsam die große Aufgabe in Haltung und Verwaltung für das ganze Land vorbildlich zu sein.
Wenn „etwas vorkommt“, dann muß mit unnachsichtlicher Strenge vorgegangen werden, damit die Bevölkerung keinen Augenblick darüber im Zweifel bleiben kann, was erlaubt und was unerlaubt ist.
Bei der exponierten Stellung dieser Verwaltungen muß jede Nachsicht und Milde, die vielleicht persönlich angebracht sein kann, zu einer Verwirrung der allgemeinen Ehr- und Rechtsbegriffe führen, auf deren Stärkung im Volke es vor allem ankommt.
Bezüglich des Handwerks habe ich zu berichten, daß ich keine besondere Abneigung gegen dasselbe bemerkt habe, und daß die gangbarsten Handwerke (Schneider, Schuster, Tischler, Spengler, Anstreicher und Maurer) unter den Juden vielfach vertreten sind. Es würden sich Schüler aus den obersten Klassen der Baron Hirsch-Schulen gerne einem Handwerk widmen, wenn die 50 bis 80 Gulden Lehrgeld aufzubringen wären.
Es ist notwendig, daß die Lehrlinge bei guten christlichen Meistern in größeren Städten in die Lehre kommen, um sie wirklich konkurrenz- und erwerbsfähig zu machen.
Das, was an den kleinen Orten Galiziens selbst von einem Handwerker gefordert wird, darf nicht als Maßstab der Ausbildung gelten.
Daß manche Handwerkerschulen der J. C. A. an Verwaltungssünden zu Grunde gegangen sind, ist sehr zu bedauern, aber doch auch wieder gut zu machen. Ich meine, bei gutem Willen müßte sich ein Modus finden lassen, in dem die Lokalkomitees und die Vereinsdezernenten sich zu harmonischer Zusammenarbeit bereit finden. Zwei Klagen sind nach dieser Richtung typisch: die Lokalkomitees finden die wenig konziliante, diktatorische Art der J. C. A. unangemessen. Seitens der J. C. A. dagegen wird die Lokalexekution als vielfach verständnislos, mangelhaft, oft auch geradezu als korrupt bezeichnet.
Bei der Wichtigkeit der Aufgabe wäre es wohl der Mühe wert, Schwierigkeiten, die nur persönlicher, und nicht sachlicher Natur sind, zu überwinden.
Bezüglich der Lehrlinge sind die J. C. A.-Vertreter zu der
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