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Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895.

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bin, von Anderen mit Hülfe ihrer Sinne kreirt wird, was geht das mich an? - So müsste ich sprechen, wenn ich konsequent bin, und so, und so allein, spreche ich vom Standpunkt meines Denkens.

Aber was hindert mich, vom Standpunkt des Kompromisses, und um mich mit meinen Nebenmenschen zu verständigen, zu sagen: Der Flötenspieler mit seiner Erscheinung, seiner Siluette, seiner Flöte, den Silber-Klappen auf seinem Instrument, den Lichtreflexen auf diesen Klappen, seinen Tönen und der schmelzenden Wirkung seines Spiels, ist natürlich nur die Leistung meiner Sinne, meines Gemüts - soweit gehen auch die Materjalisten mit. - Aber der Flötenspieler kann ja nun denselben Gedankengang üben und sagen: Diese Zuhörer mit ihrer Toilette, ihrer pensiven Haltung, ihrem Applaus ist nur das Resultat meiner Sinne: denn was bleibt von dem ganzen Publikum übrig, wenn ich meine Sinne verschliesse oder dieselben nicht funkzionirten? - Hiebei trift der Flötenspieler mit solcher Kritik auch auf mich, den Filosofen. Und was wird das Resultat eines nun zwischen uns beginnenden Diskurses sein, wobei Jeder den Andern als das Resultat seiner, des Debattirenden, Sinne erklärt? Beide werden den Kompromiss schliessen müssen, dass Jeder für den Andern nur als "Erscheinung", als Resultat der beiderseitigen Sinnes-Arbeit, Anerkennung finden kann; nur als Produkt ihres beiderseitigen illusorischen Denkens; dass sie also Beide sich, jeder dem Andern, ein Illusion sind. Aber Beide können ebenso gut zu der Annahme weiterschreiten, dass das kreatorische Prinzip der illusionistischen Tätigkeit des Andern - ebenso, wie bei sich - ein metafisisches, ein Transzendentes, der Dämon ist. Und damit ist ja das "Ding an sich" erklärt und konstruirt. Zwar nur auf dem Gebiete des Illusionismus, der Erfahrung. Aber hier allein tritt mir ja die Frage nach Erklärung des "Ding an sich" entgegen; die Frage was nach Abzug der Wirkung meiner Sinne in der Aussenwelt übrig bleibt. Von meinem Denken aus kenne ich kein "Ding an sich." Denn von hier aus ist die gesamte Aussenwelt Illusion. Aber im Bereich der

bin, von Anderen mit Hülfe ihrer Sinne kreïrt wird, was geht das mich an? – So müsste ich sprechen, wenn ich konsequent bin, und so, und so allein, spreche ich vom Standpunkt meines Denkens.

Aber was hindert mich, vom Standpunkt des Kompromisses, und um mich mit meinen Nebenmenschen zu verständigen, zu sagen: Der Flötenspieler mit seiner Erscheinung, seiner Siluette, seiner Flöte, den Silber-Klappen auf seinem Instrument, den Lichtreflexen auf diesen Klappen, seinen Tönen und der schmelzenden Wirkung seines Spiels, ist natürlich nur die Leistung meiner Sinne, meines Gemüts – soweit gehen auch die Materjalisten mit. – Aber der Flötenspieler kann ja nun denselben Gedankengang üben und sagen: Diese Zuhörer mit ihrer Toilette, ihrer pensiven Haltung, ihrem Applaus ist nur das Resultat meiner Sinne: denn was bleibt von dem ganzen Publikum übrig, wenn ich meine Sinne verschliesse oder dieselben nicht funkzionirten? – Hiebei trift der Flötenspieler mit solcher Kritik auch auf mich, den Filosofen. Und was wird das Resultat eines nun zwischen uns beginnenden Diskurses sein, wobei Jeder den Andern als das Resultat seiner, des Debattirenden, Sinne erklärt? Beide werden den Kompromiss schliessen müssen, dass Jeder für den Andern nur als „Erscheinung“, als Resultat der beiderseitigen Sinnes-Arbeit, Anerkennung finden kann; nur als Produkt ihres beiderseitigen illusorischen Denkens; dass sie also Beide sich, jeder dem Andern, ein Illusion sind. Aber Beide können ebenso gut zu der Annahme weiterschreiten, dass das kreatorische Prinzip der illusionistischen Tätigkeit des Andern – ebenso, wie bei sich – ein metafisisches, ein Transzendentes, der Dämon ist. Und damit ist ja das „Ding an sich“ erklärt und konstruirt. Zwar nur auf dem Gebiete des Illusionismus, der Erfahrung. Aber hier allein tritt mir ja die Frage nach Erklärung des „Ding an sich“ entgegen; die Frage was nach Abzug der Wirkung meiner Sinne in der Aussenwelt übrig bleibt. Von meinem Denken aus kenne ich kein „Ding an sich.“ Denn von hier aus ist die gesamte Aussenwelt Illusion. Aber im Bereich der

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Zitationshilfe: Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/panizza_illusionismus_1895/49>, abgerufen am 27.04.2024.