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Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895.

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was ich von ihm erfahrungsgemäss aussagen kann, auf Rechnung meiner Sinne komt, von ihnen geliefert ist, bis selbst auf den Laut "Apfel", der ganz mein eigen ist, und zu dessen Kreirung Ohren und nervus acusticus gehören. Was bleibt also vom Apfel, vom Ding der Aussenwelt übrig? - Meist antwortet man: Das "Ding an sich". Der Apfel an sich. - Was ist aber das "Ding an sich"? - Niemand weiss es. Es ist nur eine Abstrakzion, ein Gedanke; soviel ist es ganz gewiss; denn was habe ich Tatsächlicheres, als mein Denken? und als Gedanke fiele es rettungslos in mein Inneres hinein; und Apfel und "Apfel an sich", und die gesamte Aussenwelt schlukte ich so ohne Rest in mich hinein. Filosofisch also müsste ich das "Ding an sich" jeder Zeit anihiliren.

Aber als Erscheinung ist Alles gegeben, ich, der Apfel, sein Geschmak, seine Form, und der Raum, den er einnimt. In der Tat dürfte es gewagt sein, diese Dinge, wie Fichte und Berkeley taten, ganz zu läugnen; d. h. sobald ich mich auf eine Diskussion des illudorischen Gebiets, der illudorischen Ereignisse, überhaupt einlasse. Aber das leztere will ich ja tun. Ich tue es, um mit meinen Freunden diskutiren zu können; um mich, selbst Erscheinung, in dieser Welt der Erscheinungen bewegen zu können. Es ist ein Kompromiss, den ich mit meinem Denken schliesse, und ohne den ich nicht auskomme. Ich frage meinen Nachbar, wieviel Uhr es ist, mit der Reservazion: Nehmen wir einmal an, die Uhr, der Nachbar und ich existirten als Erscheinung wirklich in der Aussenwelt. - Hier ist es in der Tat gefährlich, auf den Standpunkt des Läugnens sich stellen zu wollen. Hier ist es besser, mit den Wölfen zu heulen. Denn hier trift mich z. B. die fatale Frage an: woher es komme, dass z. B. ein Flötenspieler, dessen Spiel nach meinem Standpunkt des Denkens samt dem Spieler das Resultat meiner Sinnes-Projekzion ist, wenn ich fortgehe und ihn nicht mehr höre (ihn nicht mehr mit meinen Sinnen kreire) noch immer da ist, und von Anderen gehört wird. - Freilich, was gehen mich die Andern an? In dem Moment, da ich da war, war er das Resultat meiner Sinne und ihrer illudorischen Fähigkeit. Wenn er jezt, wo ich fort

was ich von ihm erfahrungsgemäss aussagen kann, auf Rechnung meiner Sinne komt, von ihnen geliefert ist, bis selbst auf den Laut „Apfel“, der ganz mein eigen ist, und zu dessen Kreïrung Ohren und nervus acusticus gehören. Was bleibt also vom Apfel, vom Ding der Aussenwelt übrig? – Meist antwortet man: Das „Ding an sich“. Der Apfel an sich. – Was ist aber das „Ding an sich“? – Niemand weiss es. Es ist nur eine Abstrakzion, ein Gedanke; soviel ist es ganz gewiss; denn was habe ich Tatsächlicheres, als mein Denken? und als Gedanke fiele es rettungslos in mein Inneres hinein; und Apfel und „Apfel an sich“, und die gesamte Aussenwelt schlukte ich so ohne Rest in mich hinein. Filosofisch also müsste ich das „Ding an sich“ jeder Zeit anihiliren.

Aber als Erscheinung ist Alles gegeben, ich, der Apfel, sein Geschmak, seine Form, und der Raum, den er einnimt. In der Tat dürfte es gewagt sein, diese Dinge, wie Fichte und Berkeley taten, ganz zu läugnen; d. h. sobald ich mich auf eine Diskussion des illudorischen Gebiets, der illudorischen Ereignisse, überhaupt einlasse. Aber das leztere will ich ja tun. Ich tue es, um mit meinen Freunden diskutiren zu können; um mich, selbst Erscheinung, in dieser Welt der Erscheinungen bewegen zu können. Es ist ein Kompromiss, den ich mit meinem Denken schliesse, und ohne den ich nicht auskomme. Ich frage meinen Nachbar, wieviel Uhr es ist, mit der Reservazion: Nehmen wir einmal an, die Uhr, der Nachbar und ich existirten als Erscheinung wirklich in der Aussenwelt. – Hier ist es in der Tat gefährlich, auf den Standpunkt des Läugnens sich stellen zu wollen. Hier ist es besser, mit den Wölfen zu heulen. Denn hier trift mich z. B. die fatale Frage an: woher es komme, dass z. B. ein Flötenspieler, dessen Spiel nach meinem Standpunkt des Denkens samt dem Spieler das Resultat meiner Sinnes-Projekzion ist, wenn ich fortgehe und ihn nicht mehr höre (ihn nicht mehr mit meinen Sinnen kreïre) noch immer da ist, und von Anderen gehört wird. – Freilich, was gehen mich die Andern an? In dem Moment, da ich da war, war er das Resultat meiner Sinne und ihrer illudorischen Fähigkeit. Wenn er jezt, wo ich fort

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[47/0048] was ich von ihm erfahrungsgemäss aussagen kann, auf Rechnung meiner Sinne komt, von ihnen geliefert ist, bis selbst auf den Laut „Apfel“, der ganz mein eigen ist, und zu dessen Kreïrung Ohren und nervus acusticus gehören. Was bleibt also vom Apfel, vom Ding der Aussenwelt übrig? – Meist antwortet man: Das „Ding an sich“. Der Apfel an sich. – Was ist aber das „Ding an sich“? – Niemand weiss es. Es ist nur eine Abstrakzion, ein Gedanke; soviel ist es ganz gewiss; denn was habe ich Tatsächlicheres, als mein Denken? und als Gedanke fiele es rettungslos in mein Inneres hinein; und Apfel und „Apfel an sich“, und die gesamte Aussenwelt schlukte ich so ohne Rest in mich hinein. Filosofisch also müsste ich das „Ding an sich“ jeder Zeit anihiliren. Aber als Erscheinung ist Alles gegeben, ich, der Apfel, sein Geschmak, seine Form, und der Raum, den er einnimt. In der Tat dürfte es gewagt sein, diese Dinge, wie Fichte und Berkeley taten, ganz zu läugnen; d. h. sobald ich mich auf eine Diskussion des illudorischen Gebiets, der illudorischen Ereignisse, überhaupt einlasse. Aber das leztere will ich ja tun. Ich tue es, um mit meinen Freunden diskutiren zu können; um mich, selbst Erscheinung, in dieser Welt der Erscheinungen bewegen zu können. Es ist ein Kompromiss, den ich mit meinem Denken schliesse, und ohne den ich nicht auskomme. Ich frage meinen Nachbar, wieviel Uhr es ist, mit der Reservazion: Nehmen wir einmal an, die Uhr, der Nachbar und ich existirten als Erscheinung wirklich in der Aussenwelt. – Hier ist es in der Tat gefährlich, auf den Standpunkt des Läugnens sich stellen zu wollen. Hier ist es besser, mit den Wölfen zu heulen. Denn hier trift mich z. B. die fatale Frage an: woher es komme, dass z. B. ein Flötenspieler, dessen Spiel nach meinem Standpunkt des Denkens samt dem Spieler das Resultat meiner Sinnes-Projekzion ist, wenn ich fortgehe und ihn nicht mehr höre (ihn nicht mehr mit meinen Sinnen kreïre) noch immer da ist, und von Anderen gehört wird. – Freilich, was gehen mich die Andern an? In dem Moment, da ich da war, war er das Resultat meiner Sinne und ihrer illudorischen Fähigkeit. Wenn er jezt, wo ich fort

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Zitationshilfe: Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/panizza_illusionismus_1895/48>, abgerufen am 28.04.2024.