Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895.Deterministen und Anhänger der Prädestinazionslehre gemacht haben? - Wir nennen nach logischer Abwandlung ein Denken "induktiv", welches im Untersaz einen neuen Gedanken bringt, der sich nicht vom Obersaz ableiten lässt, und stellen es dem blos "deduktiven" Denken als eine höhere Form gegenüber. Wir nennen generell das induktive Denken "genial" und deuten damit auf eine fremde Quelle in unserem geistigen Leben hin, welche nur dem glüklichen Finder giesst, nicht durch Anstregung herbeigezogen werden kann, und unserem gewöhnlichen, in Assoziazionen verlaufenden Denken entgegengesezt wird, in das es "induzirt", eingeführt wird. Also Erfahrung wie Logik kennen gleicherweise jenes geistige Erlebnis in uns, welches ein direkter Hohn auf alle kausale Verknüpfung ist, eine Form des Geschehens, die gleicherweise unser materjelles wie psichisches Leben beherrscht. Für die moderne Psichologie auf materjalistischer Grundlage haben diese plözlichen Einbrüche in unser Geistesleben wenig Schwierigkeiten. Sie sind, sagt sie, Vorstellungen, wie jede anderen, nur fehlen die Zwischenglieder, es fehlt der Beginn der Reihe. Unser Denken, sagt sie, verläuft in Form der Assoziazionen, von Denkinhalten, die für sich eine kausale Reihenfolge bilden, wie die Gehirn-Reflexe, deren Abbilder sie sind; nur fallen sie nicht alle in unser Bewusstsein; und was nicht in's Bewusstsein fällt, ist eben unbewusst. - Ich muss sagen, wir stehen hier vor einer der kindischsten und puerilsten Leistungen in unserem zeitgenössischen Denken. Wer sagt uns, dass es "unbewusste Vorstellungen" gibt? Ungedachtes Gedachtes ist eine contradictio in adjecto; eine Verneinung bei gleichzeitiger Behauptung. Entweder ist die Vorstellung etwas Geistiges, dann ist sie bewusst. Denn nur in dem Charakter der Bewusstheit kennen wir Geistiges. Oder die Vorstellung ist nichts Geistiges - warum sie dann Vorstellung nennen, womit wir doch den Begriff von etwas Gedachtem verbinden? Warum sie dann nicht lieber Funkzion nennen? Aber hier stiesse die Psichologie auf den materjalistischen Aker, und Deterministen und Anhänger der Prädestinazionslehre gemacht haben? – Wir nennen nach logischer Abwandlung ein Denken „induktiv“, welches im Untersaz einen neuen Gedanken bringt, der sich nicht vom Obersaz ableiten lässt, und stellen es dem blos „deduktiven“ Denken als eine höhere Form gegenüber. Wir nennen generell das induktive Denken „genial“ und deuten damit auf eine fremde Quelle in unserem geistigen Leben hin, welche nur dem glüklichen Finder giesst, nicht durch Anstregung herbeigezogen werden kann, und unserem gewöhnlichen, in Assoziazionen verlaufenden Denken entgegengesezt wird, in das es „induzirt“, eingeführt wird. Also Erfahrung wie Logik kennen gleicherweise jenes geistige Erlebnis in uns, welches ein direkter Hohn auf alle kausale Verknüpfung ist, eine Form des Geschehens, die gleicherweise unser materjelles wie psichisches Leben beherrscht. Für die moderne Psichologie auf materjalistischer Grundlage haben diese plözlichen Einbrüche in unser Geistesleben wenig Schwierigkeiten. Sie sind, sagt sie, Vorstellungen, wie jede anderen, nur fehlen die Zwischenglieder, es fehlt der Beginn der Reihe. Unser Denken, sagt sie, verläuft in Form der Assoziazionen, von Denkinhalten, die für sich eine kausale Reihenfolge bilden, wie die Gehirn-Reflexe, deren Abbilder sie sind; nur fallen sie nicht alle in unser Bewusstsein; und was nicht in’s Bewusstsein fällt, ist eben unbewusst. – Ich muss sagen, wir stehen hier vor einer der kindischsten und puerilsten Leistungen in unserem zeitgenössischen Denken. Wer sagt uns, dass es „unbewusste Vorstellungen“ gibt? Ungedachtes Gedachtes ist eine contradictio in adjecto; eine Verneinung bei gleichzeitiger Behauptung. Entweder ist die Vorstellung etwas Geistiges, dann ist sie bewusst. Denn nur in dem Charakter der Bewusstheit kennen wir Geistiges. Oder die Vorstellung ist nichts Geistiges – warum sie dann Vorstellung nennen, womit wir doch den Begriff von etwas Gedachtem verbinden? Warum sie dann nicht lieber Funkzion nennen? Aber hier stiesse die Psichologie auf den materjalistischen Aker, und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0018" n="17"/> Deterministen und Anhänger der Prädestinazionslehre gemacht haben? –</p> <p>Wir nennen <choice><sic>noch</sic><corr>nach</corr></choice> logischer Abwandlung ein Denken „induktiv“, welches im Untersaz einen neuen Gedanken bringt, der sich nicht vom Obersaz ableiten lässt, und stellen es dem blos „deduktiven“ Denken als eine höhere Form <choice><sic>flegenüber</sic><corr>gegenüber</corr></choice>. 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Unser Denken, sagt sie, verläuft in Form der Assoziazionen, von Denkinhalten, die für sich eine kausale Reihenfolge bilden, wie die Gehirn-Reflexe, deren Abbilder sie sind; nur fallen sie nicht alle in unser Bewusstsein; und was nicht in’s Bewusstsein fällt, ist eben unbewusst. – Ich muss sagen, wir stehen hier vor einer der kindischsten und puerilsten Leistungen in unserem zeitgenössischen Denken. Wer sagt uns, dass es „unbewusste Vorstellungen“ gibt? Ungedachtes Gedachtes ist eine contradictio in adjecto; eine Verneinung bei gleichzeitiger Behauptung. Entweder ist die Vorstellung etwas Geistiges, dann ist sie bewusst. Denn nur in dem Charakter der Bewusstheit kennen wir Geistiges. Oder die Vorstellung ist nichts Geistiges – warum sie dann Vorstellung nennen, womit wir doch den Begriff von etwas Gedachtem verbinden? Warum sie dann nicht lieber Funkzion nennen? Aber hier stiesse die Psichologie auf den materjalistischen Aker, und </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [17/0018]
Deterministen und Anhänger der Prädestinazionslehre gemacht haben? –
Wir nennen nach logischer Abwandlung ein Denken „induktiv“, welches im Untersaz einen neuen Gedanken bringt, der sich nicht vom Obersaz ableiten lässt, und stellen es dem blos „deduktiven“ Denken als eine höhere Form gegenüber. Wir nennen generell das induktive Denken „genial“ und deuten damit auf eine fremde Quelle in unserem geistigen Leben hin, welche nur dem glüklichen Finder giesst, nicht durch Anstregung herbeigezogen werden kann, und unserem gewöhnlichen, in Assoziazionen verlaufenden Denken entgegengesezt wird, in das es „induzirt“, eingeführt wird. Also Erfahrung wie Logik kennen gleicherweise jenes geistige Erlebnis in uns, welches ein direkter Hohn auf alle kausale Verknüpfung ist, eine Form des Geschehens, die gleicherweise unser materjelles wie psichisches Leben beherrscht.
Für die moderne Psichologie auf materjalistischer Grundlage haben diese plözlichen Einbrüche in unser Geistesleben wenig Schwierigkeiten. Sie sind, sagt sie, Vorstellungen, wie jede anderen, nur fehlen die Zwischenglieder, es fehlt der Beginn der Reihe. Unser Denken, sagt sie, verläuft in Form der Assoziazionen, von Denkinhalten, die für sich eine kausale Reihenfolge bilden, wie die Gehirn-Reflexe, deren Abbilder sie sind; nur fallen sie nicht alle in unser Bewusstsein; und was nicht in’s Bewusstsein fällt, ist eben unbewusst. – Ich muss sagen, wir stehen hier vor einer der kindischsten und puerilsten Leistungen in unserem zeitgenössischen Denken. Wer sagt uns, dass es „unbewusste Vorstellungen“ gibt? Ungedachtes Gedachtes ist eine contradictio in adjecto; eine Verneinung bei gleichzeitiger Behauptung. Entweder ist die Vorstellung etwas Geistiges, dann ist sie bewusst. Denn nur in dem Charakter der Bewusstheit kennen wir Geistiges. Oder die Vorstellung ist nichts Geistiges – warum sie dann Vorstellung nennen, womit wir doch den Begriff von etwas Gedachtem verbinden? Warum sie dann nicht lieber Funkzion nennen? Aber hier stiesse die Psichologie auf den materjalistischen Aker, und
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