Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 2. Leipzig, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

auf seiner Stirn schwollen, seine ganze Gestalt schien größer zu werden, indem er sich hoch aufrichtete. Mit feierlicher, gehobener Stimme sagte er:

"Ja, die Zeit ist gekommen, wo die Armen ihre Rechte wiederfordern dürfen! Daß ich wüßte, wer diese erhebenden Worte geschrieben, diese herrliche Verkündigung eines neuen Evangeliums! Daß ich hineilen könnte zu diesen armen Brüdern, welche zu solcher Erkenntniß gelangt sind, daß ich ihnen sagen könnte: wir wollen zusammen stehen, zusammen handeln!"

Franz nahm seine Hand und sah ihn an. "Du auch, Bruder, Du auch?" sagte er erschrocken. "Was faßt Dich an? Beginnt schon das Gift zu wirken, welches aus diesem Schreiben uns entgegenhaucht? Läßt sich Dein Verstand so bald umnebeln, daß Du schon jetzt zu taumeln beginnst? Ach! diese Worte bethören Dich, diese schlimmen Worte, welche verführerisch klingen, wie Worte des Teufels."

"Lass' den Teufel aus dem Spiel!" lachte Wilhelm, "mahne mich nicht an die elenden Mährchen! Vor hohlen Schrecknissen zu erzittern habe ich aufgehört -- die armen Leute brauchen wahrhaftig nicht erst an eine Hölle da drüben zu glauben."

"Wilhelm, lästere nicht!" mahnte Franz. "Ich hätte nicht geglaubt, daß dies Schreiben voller Trugschlüsse und

auf seiner Stirn schwollen, seine ganze Gestalt schien größer zu werden, indem er sich hoch aufrichtete. Mit feierlicher, gehobener Stimme sagte er:

„Ja, die Zeit ist gekommen, wo die Armen ihre Rechte wiederfordern dürfen! Daß ich wüßte, wer diese erhebenden Worte geschrieben, diese herrliche Verkündigung eines neuen Evangeliums! Daß ich hineilen könnte zu diesen armen Brüdern, welche zu solcher Erkenntniß gelangt sind, daß ich ihnen sagen könnte: wir wollen zusammen stehen, zusammen handeln!“

Franz nahm seine Hand und sah ihn an. „Du auch, Bruder, Du auch?“ sagte er erschrocken. „Was faßt Dich an? Beginnt schon das Gift zu wirken, welches aus diesem Schreiben uns entgegenhaucht? Läßt sich Dein Verstand so bald umnebeln, daß Du schon jetzt zu taumeln beginnst? Ach! diese Worte bethören Dich, diese schlimmen Worte, welche verführerisch klingen, wie Worte des Teufels.“

„Lass’ den Teufel aus dem Spiel!“ lachte Wilhelm, „mahne mich nicht an die elenden Mährchen! Vor hohlen Schrecknissen zu erzittern habe ich aufgehört — die armen Leute brauchen wahrhaftig nicht erst an eine Hölle da drüben zu glauben.“

„Wilhelm, lästere nicht!“ mahnte Franz. „Ich hätte nicht geglaubt, daß dies Schreiben voller Trugschlüsse und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0091" n="85"/>
auf seiner Stirn schwollen, seine ganze Gestalt schien größer zu werden, indem er sich hoch aufrichtete. Mit feierlicher, gehobener Stimme sagte er:</p>
        <p>&#x201E;Ja, die Zeit ist gekommen, wo die Armen ihre Rechte wiederfordern dürfen! Daß ich wüßte, wer diese erhebenden Worte geschrieben, diese herrliche Verkündigung eines neuen Evangeliums! Daß ich hineilen könnte zu diesen armen Brüdern, welche zu solcher Erkenntniß gelangt sind, daß ich ihnen sagen könnte: wir wollen zusammen stehen, zusammen handeln!&#x201C;</p>
        <p>Franz nahm seine Hand und sah ihn an. &#x201E;Du auch, Bruder, Du auch?&#x201C; sagte er erschrocken. &#x201E;Was faßt Dich an? Beginnt schon das Gift zu wirken, welches aus diesem Schreiben uns entgegenhaucht? Läßt sich Dein Verstand so bald umnebeln, daß Du schon jetzt zu taumeln beginnst? Ach! diese Worte bethören Dich, diese schlimmen Worte, welche verführerisch klingen, wie Worte des Teufels.&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Lass&#x2019; den Teufel aus dem Spiel!&#x201C; lachte Wilhelm, &#x201E;mahne mich nicht an die elenden Mährchen! Vor hohlen Schrecknissen zu erzittern habe ich aufgehört &#x2014; die armen Leute brauchen wahrhaftig nicht erst an eine Hölle da drüben zu glauben.&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Wilhelm, lästere nicht!&#x201C; mahnte Franz. &#x201E;Ich hätte nicht geglaubt, daß dies Schreiben voller Trugschlüsse und
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[85/0091] auf seiner Stirn schwollen, seine ganze Gestalt schien größer zu werden, indem er sich hoch aufrichtete. Mit feierlicher, gehobener Stimme sagte er: „Ja, die Zeit ist gekommen, wo die Armen ihre Rechte wiederfordern dürfen! Daß ich wüßte, wer diese erhebenden Worte geschrieben, diese herrliche Verkündigung eines neuen Evangeliums! Daß ich hineilen könnte zu diesen armen Brüdern, welche zu solcher Erkenntniß gelangt sind, daß ich ihnen sagen könnte: wir wollen zusammen stehen, zusammen handeln!“ Franz nahm seine Hand und sah ihn an. „Du auch, Bruder, Du auch?“ sagte er erschrocken. „Was faßt Dich an? Beginnt schon das Gift zu wirken, welches aus diesem Schreiben uns entgegenhaucht? Läßt sich Dein Verstand so bald umnebeln, daß Du schon jetzt zu taumeln beginnst? Ach! diese Worte bethören Dich, diese schlimmen Worte, welche verführerisch klingen, wie Worte des Teufels.“ „Lass’ den Teufel aus dem Spiel!“ lachte Wilhelm, „mahne mich nicht an die elenden Mährchen! Vor hohlen Schrecknissen zu erzittern habe ich aufgehört — die armen Leute brauchen wahrhaftig nicht erst an eine Hölle da drüben zu glauben.“ „Wilhelm, lästere nicht!“ mahnte Franz. „Ich hätte nicht geglaubt, daß dies Schreiben voller Trugschlüsse und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Repository TextGrid: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-08-23T11:52:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christoph Leijser, Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-08-23T11:52:15Z)
HATHI TRUST Digital Library: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-08-23T11:52:15Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss02_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss02_1846/91
Zitationshilfe: Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 2. Leipzig, 1846, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss02_1846/91>, abgerufen am 28.11.2024.