Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 2. Leipzig, 1846."Fürchten Sie Nichts!" sagte der Commissair mit widerlichem Lächeln. "Die Augen der Polizei vergessen sogleich wieder, wenn sie auch Etwas erfahren sollten, das nicht vor ihr Forum gehört -- nur was vor diesem Forum bedenklich und gefährlich erscheint, bewahrt ihr Gedächtniß treu -- und darin läßt sie sich nicht täuschen und irren." Während er dies mit Nachdruck sagte, hatte er wie der einen Brief entfaltet und indem er ihn überflog, nahmen seine Augen einen ganz eigenen Ausdruck an, halb wie vor Schreck, halb wie vor Freude. Es war der erste Brief, welchen Thalheim an seine Gattin geschrieben, er datirte von dem Gute des Rittmeisters Waldow und die Stelle, welche solch' eigenthümliches Leben in das Gesicht des Polizeicommissairs brachte, lautete: "Ich bin bei Franz gewesen -- ich habe die Noth und das Elend gesehen, welches dort unter den Fabrikarbeitern herrscht -- ach, Amalie, dieser Armuth gegenüber haben wir in beneidenswerthem Reichthum geschwelgt! -- Ich habe Franz das Versprechen gegeben, daß, wenn mir in meinem neuen Wirkungskreise Zeit bleibt, mich mit literarischen Arbeiten zu beschäftigen, ich auch über die Noth der Fabrikarbeiter schreiben werde. Vielleicht wird mir auf meiner Reise Gelegenheit, darüber noch anderweite Notizen zu sammeln. Franz selbst schreibt in seinen Mußestunden, aber diese einfachen Stimmen mitten heraus aus dem „Fürchten Sie Nichts!“ sagte der Commissair mit widerlichem Lächeln. „Die Augen der Polizei vergessen sogleich wieder, wenn sie auch Etwas erfahren sollten, das nicht vor ihr Forum gehört — nur was vor diesem Forum bedenklich und gefährlich erscheint, bewahrt ihr Gedächtniß treu — und darin läßt sie sich nicht täuschen und irren.“ Während er dies mit Nachdruck sagte, hatte er wie der einen Brief entfaltet und indem er ihn überflog, nahmen seine Augen einen ganz eigenen Ausdruck an, halb wie vor Schreck, halb wie vor Freude. Es war der erste Brief, welchen Thalheim an seine Gattin geschrieben, er datirte von dem Gute des Rittmeisters Waldow und die Stelle, welche solch’ eigenthümliches Leben in das Gesicht des Polizeicommissairs brachte, lautete: „Ich bin bei Franz gewesen — ich habe die Noth und das Elend gesehen, welches dort unter den Fabrikarbeitern herrscht — ach, Amalie, dieser Armuth gegenüber haben wir in beneidenswerthem Reichthum geschwelgt! — Ich habe Franz das Versprechen gegeben, daß, wenn mir in meinem neuen Wirkungskreise Zeit bleibt, mich mit literarischen Arbeiten zu beschäftigen, ich auch über die Noth der Fabrikarbeiter schreiben werde. Vielleicht wird mir auf meiner Reise Gelegenheit, darüber noch anderweite Notizen zu sammeln. Franz selbst schreibt in seinen Mußestunden, aber diese einfachen Stimmen mitten heraus aus dem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0040" n="34"/> <p> „Fürchten Sie Nichts!“ sagte der Commissair mit widerlichem Lächeln. „Die Augen der Polizei vergessen sogleich wieder, wenn sie auch Etwas erfahren sollten, das nicht vor ihr Forum gehört — nur was vor diesem Forum bedenklich und gefährlich erscheint, bewahrt ihr Gedächtniß treu — und darin läßt sie sich nicht täuschen und irren.“</p> <p>Während er dies mit Nachdruck sagte, hatte er wie der einen Brief entfaltet und indem er ihn überflog, nahmen seine Augen einen ganz eigenen Ausdruck an, halb wie vor Schreck, halb wie vor Freude. Es war der erste Brief, welchen Thalheim an seine Gattin geschrieben, er datirte von dem Gute des Rittmeisters Waldow und die Stelle, welche solch’ eigenthümliches Leben in das Gesicht des Polizeicommissairs brachte, lautete:</p> <p>„Ich bin bei Franz gewesen — ich habe die Noth und das Elend gesehen, welches dort unter den Fabrikarbeitern herrscht — ach, Amalie, dieser Armuth gegenüber haben wir in beneidenswerthem Reichthum geschwelgt! — Ich habe Franz das Versprechen gegeben, daß, wenn mir in meinem neuen Wirkungskreise Zeit bleibt, mich mit literarischen Arbeiten zu beschäftigen, ich auch über die Noth der Fabrikarbeiter schreiben werde. Vielleicht wird mir auf meiner Reise Gelegenheit, darüber noch anderweite Notizen zu sammeln. Franz selbst schreibt in seinen Mußestunden, aber diese einfachen Stimmen mitten heraus aus dem </p> </div> </body> </text> </TEI> [34/0040]
„Fürchten Sie Nichts!“ sagte der Commissair mit widerlichem Lächeln. „Die Augen der Polizei vergessen sogleich wieder, wenn sie auch Etwas erfahren sollten, das nicht vor ihr Forum gehört — nur was vor diesem Forum bedenklich und gefährlich erscheint, bewahrt ihr Gedächtniß treu — und darin läßt sie sich nicht täuschen und irren.“
Während er dies mit Nachdruck sagte, hatte er wie der einen Brief entfaltet und indem er ihn überflog, nahmen seine Augen einen ganz eigenen Ausdruck an, halb wie vor Schreck, halb wie vor Freude. Es war der erste Brief, welchen Thalheim an seine Gattin geschrieben, er datirte von dem Gute des Rittmeisters Waldow und die Stelle, welche solch’ eigenthümliches Leben in das Gesicht des Polizeicommissairs brachte, lautete:
„Ich bin bei Franz gewesen — ich habe die Noth und das Elend gesehen, welches dort unter den Fabrikarbeitern herrscht — ach, Amalie, dieser Armuth gegenüber haben wir in beneidenswerthem Reichthum geschwelgt! — Ich habe Franz das Versprechen gegeben, daß, wenn mir in meinem neuen Wirkungskreise Zeit bleibt, mich mit literarischen Arbeiten zu beschäftigen, ich auch über die Noth der Fabrikarbeiter schreiben werde. Vielleicht wird mir auf meiner Reise Gelegenheit, darüber noch anderweite Notizen zu sammeln. Franz selbst schreibt in seinen Mußestunden, aber diese einfachen Stimmen mitten heraus aus dem
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Zitationshilfe: | Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 2. Leipzig, 1846, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss02_1846/40>, abgerufen am 16.07.2024. |