Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 2. Leipzig, 1846.dem sie das Kind geboren, welches nun wie ein Theil von ihr selbst losgerissen worden und dem Grabe verfallen ist, während sie doch unter den Tausend Dolchstichen, unter welchen ihr blutendes Herz zuckt, noch beten kann: "Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen -- sein Name werde gepriesen." In Amaliens Schmerze war das Gepräge dieser ehrwürdigen Heiligkeit verdunkelt. Erst jetzt, als ihr das anvertraute Kleinod für immer entrissen war, begann sie zu empfinden, welches Glück sie in demselben besessen, und es traf sie als ein entsetzlicher Vorwurf ihres eigenen Innern, daß sie das Kind nicht mit wahrer Mutterzärtlichkeit geliebt, weil es das Kind eines ungeliebten Vaters war. Und so war denn ihr Schmerz eine anklagende Verzweiflung, denn sie sagte sich selbst, daß ihr das Kind vielleicht nicht genommen worden wäre, wenn sie ihm eine bessere, zärtlichere Mutter gewesen; ja, sie machte sich selbst den Vorwurf, vielleicht auf eine leicht verletzte Gesundheitsregel nicht genug geachtet zu haben und dadurch selbst sogar vielleicht mit Theil an der schnellen und so unheilvollen Krankheit zu haben. So brachte ihr der Schmerz nicht den heiligen, stärkenden Thau frommer Ergebung und Erhebung, sondern nur verwundende Stacheln, welche sie sich selbst wie im grausenhaften Spiel wechselnd in ihr blutendes Innere stieß und herausriß. dem sie das Kind geboren, welches nun wie ein Theil von ihr selbst losgerissen worden und dem Grabe verfallen ist, während sie doch unter den Tausend Dolchstichen, unter welchen ihr blutendes Herz zuckt, noch beten kann: „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen — sein Name werde gepriesen.“ In Amaliens Schmerze war das Gepräge dieser ehrwürdigen Heiligkeit verdunkelt. Erst jetzt, als ihr das anvertraute Kleinod für immer entrissen war, begann sie zu empfinden, welches Glück sie in demselben besessen, und es traf sie als ein entsetzlicher Vorwurf ihres eigenen Innern, daß sie das Kind nicht mit wahrer Mutterzärtlichkeit geliebt, weil es das Kind eines ungeliebten Vaters war. Und so war denn ihr Schmerz eine anklagende Verzweiflung, denn sie sagte sich selbst, daß ihr das Kind vielleicht nicht genommen worden wäre, wenn sie ihm eine bessere, zärtlichere Mutter gewesen; ja, sie machte sich selbst den Vorwurf, vielleicht auf eine leicht verletzte Gesundheitsregel nicht genug geachtet zu haben und dadurch selbst sogar vielleicht mit Theil an der schnellen und so unheilvollen Krankheit zu haben. So brachte ihr der Schmerz nicht den heiligen, stärkenden Thau frommer Ergebung und Erhebung, sondern nur verwundende Stacheln, welche sie sich selbst wie im grausenhaften Spiel wechselnd in ihr blutendes Innere stieß und herausriß. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0030" n="24"/> dem sie <hi rendition="#g">das</hi> Kind geboren, welches nun wie ein Theil von ihr selbst losgerissen worden und dem Grabe verfallen ist, während sie doch unter den Tausend Dolchstichen, unter welchen ihr blutendes Herz zuckt, noch beten kann: „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen — sein Name werde gepriesen.“</p> <p>In Amaliens Schmerze war das Gepräge dieser ehrwürdigen Heiligkeit verdunkelt. Erst jetzt, als ihr das anvertraute Kleinod für immer entrissen war, begann sie zu empfinden, welches Glück sie in demselben besessen, und es traf sie als ein entsetzlicher Vorwurf ihres eigenen Innern, daß sie das Kind nicht mit wahrer Mutterzärtlichkeit geliebt, weil es das Kind eines ungeliebten Vaters war. Und so war denn ihr Schmerz eine anklagende Verzweiflung, denn sie sagte sich selbst, daß ihr das Kind vielleicht nicht genommen worden wäre, wenn sie ihm eine bessere, zärtlichere Mutter gewesen; ja, sie machte sich selbst den Vorwurf, vielleicht auf eine leicht verletzte Gesundheitsregel nicht genug geachtet zu haben und dadurch selbst sogar vielleicht mit Theil an der schnellen und so unheilvollen Krankheit zu haben. So brachte ihr der Schmerz nicht den heiligen, stärkenden Thau frommer Ergebung und Erhebung, sondern nur verwundende Stacheln, welche sie sich selbst wie im grausenhaften Spiel wechselnd in ihr blutendes Innere stieß und herausriß.</p> </div> </body> </text> </TEI> [24/0030]
dem sie das Kind geboren, welches nun wie ein Theil von ihr selbst losgerissen worden und dem Grabe verfallen ist, während sie doch unter den Tausend Dolchstichen, unter welchen ihr blutendes Herz zuckt, noch beten kann: „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen — sein Name werde gepriesen.“
In Amaliens Schmerze war das Gepräge dieser ehrwürdigen Heiligkeit verdunkelt. Erst jetzt, als ihr das anvertraute Kleinod für immer entrissen war, begann sie zu empfinden, welches Glück sie in demselben besessen, und es traf sie als ein entsetzlicher Vorwurf ihres eigenen Innern, daß sie das Kind nicht mit wahrer Mutterzärtlichkeit geliebt, weil es das Kind eines ungeliebten Vaters war. Und so war denn ihr Schmerz eine anklagende Verzweiflung, denn sie sagte sich selbst, daß ihr das Kind vielleicht nicht genommen worden wäre, wenn sie ihm eine bessere, zärtlichere Mutter gewesen; ja, sie machte sich selbst den Vorwurf, vielleicht auf eine leicht verletzte Gesundheitsregel nicht genug geachtet zu haben und dadurch selbst sogar vielleicht mit Theil an der schnellen und so unheilvollen Krankheit zu haben. So brachte ihr der Schmerz nicht den heiligen, stärkenden Thau frommer Ergebung und Erhebung, sondern nur verwundende Stacheln, welche sie sich selbst wie im grausenhaften Spiel wechselnd in ihr blutendes Innere stieß und herausriß.
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