Dies allein ist es, was ihr jetzt auch stille Thränen aus- preßt. -- Wie sie nun an das rechte Grab kommen, schau: da hängt an dem halb verwitterten, schon morsch gewordenen Kreuz ein großer, zierlich gewundener Kranz von frisch blühenden Rosen und ganze Behänge von Kornblumen ziehen sich um das Grab. Mutter und Sohn sahen einander fragend an. Beide wissen von Nichts, wissen nicht, wer all' den Schmuck hierher- gebracht haben kann -- aber sie sind unendlich gerührt davon, wissen überhaupt beide nichts zu sprechen an der heiligen Stätte, stehen nur beide mit gefalteten Händen stille da, schauen auf das Grab nieder und dann wieder zu einander auf -- die Mutter drückt den Sohn wie- der zärtlich an's Herz, der ihr das Leben nochmals lieb gemacht, das ihr schon lange eine rechte Last gewesen, und dann gehen sie Hand in Hand und schweigend wieder zu dem Kirchhof hinaus.
"Wer nur die Kränze dahin gebracht haben mag?" beginnt endlich sinnend Mutter Eva.
"Weißt Du Niemand hier, wer so schöne Kränze zu flechten versteht?" fragt unser Johannes.
"Wenn es nicht Suschen gewesen ist, das gute Kind," sagte die Mutter, so wüßt' ich Niemand. Jch will die Käthe aushorchen, damit wir ihr danken können."
Dies allein iſt es, was ihr jetzt auch ſtille Thraͤnen aus- preßt. — Wie ſie nun an das rechte Grab kommen, ſchau: da haͤngt an dem halb verwitterten, ſchon morſch gewordenen Kreuz ein großer, zierlich gewundener Kranz von friſch bluͤhenden Roſen und ganze Behaͤnge von Kornblumen ziehen ſich um das Grab. Mutter und Sohn ſahen einander fragend an. Beide wiſſen von Nichts, wiſſen nicht, wer all’ den Schmuck hierher- gebracht haben kann — aber ſie ſind unendlich geruͤhrt davon, wiſſen uͤberhaupt beide nichts zu ſprechen an der heiligen Staͤtte, ſtehen nur beide mit gefalteten Haͤnden ſtille da, ſchauen auf das Grab nieder und dann wieder zu einander auf — die Mutter druͤckt den Sohn wie- der zaͤrtlich an’s Herz, der ihr das Leben nochmals lieb gemacht, das ihr ſchon lange eine rechte Laſt geweſen, und dann gehen ſie Hand in Hand und ſchweigend wieder zu dem Kirchhof hinaus.
„Wer nur die Kraͤnze dahin gebracht haben mag?“ beginnt endlich ſinnend Mutter Eva.
„Weißt Du Niemand hier, wer ſo ſchoͤne Kraͤnze zu flechten verſteht?“ fragt unſer Johannes.
„Wenn es nicht Suschen geweſen iſt, das gute Kind,“ ſagte die Mutter, ſo wuͤßt’ ich Niemand. Jch will die Kaͤthe aushorchen, damit wir ihr danken koͤnnen.“
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Dies allein iſt es, was ihr jetzt auch ſtille Thraͤnen aus-
preßt. — Wie ſie nun an das rechte Grab kommen,
ſchau: da haͤngt an dem halb verwitterten, ſchon morſch
gewordenen Kreuz ein großer, zierlich gewundener Kranz
von friſch bluͤhenden Roſen und ganze Behaͤnge von
Kornblumen ziehen ſich um das Grab. Mutter und
Sohn ſahen einander fragend an. Beide wiſſen von
Nichts, wiſſen nicht, wer all’ den Schmuck hierher-
gebracht haben kann — aber ſie ſind unendlich geruͤhrt
davon, wiſſen uͤberhaupt beide nichts zu ſprechen an der
heiligen Staͤtte, ſtehen nur beide mit gefalteten Haͤnden
ſtille da, ſchauen auf das Grab nieder und dann wieder
zu einander auf — die Mutter druͤckt den Sohn wie-
der zaͤrtlich an’s Herz, der ihr das Leben nochmals lieb
gemacht, das ihr ſchon lange eine rechte Laſt geweſen,
und dann gehen ſie Hand in Hand und ſchweigend
wieder zu dem Kirchhof hinaus.
„Wer nur die Kraͤnze dahin gebracht haben mag?“
beginnt endlich ſinnend Mutter Eva.
„Weißt Du Niemand hier, wer ſo ſchoͤne Kraͤnze
zu flechten verſteht?“ fragt unſer Johannes.
„Wenn es nicht Suschen geweſen iſt, das gute
Kind,“ ſagte die Mutter, ſo wuͤßt’ ich Niemand. Jch
will die Kaͤthe aushorchen, damit wir ihr danken
koͤnnen.“
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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/94>, abgerufen am 05.12.2024.
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