an Eurem Ehrentag. Gleich unten, wie ich in's Haus trat, fragt' ich nach Mutter Eva -- die Mägde staunten mich an und sagten, sie sei droben bei den Gevattergästen -- da konnte ich nun nicht schnell genug die Treppe her- aufkommen, daß ich sie wieder sehe -- aber ich dachte auch: Jhr würdet mich schon erkennen -- und doch kennt mich Niemand, als eben nur die Herzensmutter. Das nun freilich hätt' ich mir nicht träumen lassen! Auch Sie, Herr Pfarrer, haben mich nicht einmal er- kannt, das könnte mich betrübt machen, wenn ich nicht eben zu glücklich wäre über all' dies Wiedersehen!" "Lassen Sie sich's nur nicht kränken," sagt' der Pfarrer, "meine alten Augen fangen an blöde zu werden, aber im Herzen ist noch jede Erinnerung frisch und jung. Wie Sie sprachen, erkannte ich Sie gleich! Die Stimme ist geblieben wie sie war, aber lang heraus- gewachsen sind Sie und in ihrem Alter ändern fünf Jahre das Gesicht auch. Damals sah man noch kein Härchen, wo jetzt der zierliche Bart ist."
Johannes wendete sich darauf zu den Andern und sagte: "Dort ist ja auch Suschen, groß herausge- wachsen und aufgeblüht, die damals noch in die Schule ging! Nun wir werden schon wieder gute Freunde wer- den und bleiben wie einst!" und er schüttelte ihr herz- lich die Hand.
an Eurem Ehrentag. Gleich unten, wie ich in’s Haus trat, fragt’ ich nach Mutter Eva — die Maͤgde ſtaunten mich an und ſagten, ſie ſei droben bei den Gevattergaͤſten — da konnte ich nun nicht ſchnell genug die Treppe her- aufkommen, daß ich ſie wieder ſehe — aber ich dachte auch: Jhr wuͤrdet mich ſchon erkennen — und doch kennt mich Niemand, als eben nur die Herzensmutter. Das nun freilich haͤtt’ ich mir nicht traͤumen laſſen! Auch Sie, Herr Pfarrer, haben mich nicht einmal er- kannt, das koͤnnte mich betruͤbt machen, wenn ich nicht eben zu gluͤcklich waͤre uͤber all’ dies Wiederſehen!“ „Laſſen Sie ſich’s nur nicht kraͤnken,“ ſagt’ der Pfarrer, „meine alten Augen fangen an bloͤde zu werden, aber im Herzen iſt noch jede Erinnerung friſch und jung. Wie Sie ſprachen, erkannte ich Sie gleich! Die Stimme iſt geblieben wie ſie war, aber lang heraus- gewachſen ſind Sie und in ihrem Alter aͤndern fuͤnf Jahre das Geſicht auch. Damals ſah man noch kein Haͤrchen, wo jetzt der zierliche Bart iſt.“
Johannes wendete ſich darauf zu den Andern und ſagte: „Dort iſt ja auch Suschen, groß herausge- wachſen und aufgebluͤht, die damals noch in die Schule ging! Nun wir werden ſchon wieder gute Freunde wer- den und bleiben wie einſt!“ und er ſchuͤttelte ihr herz- lich die Hand.
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an Eurem Ehrentag. Gleich unten, wie ich in’s Haus trat,
fragt’ ich nach Mutter Eva — die Maͤgde ſtaunten mich
an und ſagten, ſie ſei droben bei den Gevattergaͤſten —
da konnte ich nun nicht ſchnell genug die Treppe her-
aufkommen, daß ich ſie wieder ſehe — aber ich dachte
auch: Jhr wuͤrdet mich ſchon erkennen — und doch
kennt mich Niemand, als eben nur die Herzensmutter.
Das nun freilich haͤtt’ ich mir nicht traͤumen laſſen!
Auch Sie, Herr Pfarrer, haben mich nicht einmal er-
kannt, das koͤnnte mich betruͤbt machen, wenn ich nicht
eben zu gluͤcklich waͤre uͤber all’ dies Wiederſehen!“
„Laſſen Sie ſich’s nur nicht kraͤnken,“ ſagt’ der Pfarrer,
„meine alten Augen fangen an bloͤde zu werden, aber
im Herzen iſt noch jede Erinnerung friſch und jung.
Wie Sie ſprachen, erkannte ich Sie gleich! Die
Stimme iſt geblieben wie ſie war, aber lang heraus-
gewachſen ſind Sie und in ihrem Alter aͤndern fuͤnf
Jahre das Geſicht auch. Damals ſah man noch kein
Haͤrchen, wo jetzt der zierliche Bart iſt.“
Johannes wendete ſich darauf zu den Andern und
ſagte: „Dort iſt ja auch Suschen, groß herausge-
wachſen und aufgebluͤht, die damals noch in die Schule
ging! Nun wir werden ſchon wieder gute Freunde wer-
den und bleiben wie einſt!“ und er ſchuͤttelte ihr herz-
lich die Hand.
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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/53>, abgerufen am 05.12.2024.
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