sehen, so dachte er auch jetzt nur daran und meinte, sie wolle ihre Furcht aussprechen, daß sie ihn nun wohl bald wieder nicht mehr haben werde -- während doch viele Mütter für ihr ganzes Leben bei ihren Söhnen blieben. Er sagte deshalb im Voraus tröstend: "Nun Mutter, warum quält Jhr Euch denn eigentlich schon? wenn ich auch wieder von hier fort gehe, ich kann ja nun bald und öfter zurückkommen, seitdem wir die Eisenbahn hier haben, da ist's nun gar keine Entfernung mehr."
"Ach an die Zeit mag ich gar nicht denken!" ant- wortete Mutter Eva, "mir ist das Herz noch von ganz andern Dingen schwer! Sieh, Anfangs wie Du nur her- kamst und so zutraulich und herzig mit allen Leuten warst, da dacht' ich: der Johannes ist ein gutes, sanftes Kind, der kann keiner Fliege etwas zu Leide thun, viel weni- ger denn einem Menschen, darum müssen ihn auch Alle lieb haben und gut sein. Nach und nach aber kam es doch anders. Da sind wohl viele Leute, die möchten Dich vor lauter Liebe auf den Händen tragen und wis- sen gar nicht, wie sie Dir's genug beweisen sollen, mit denen kannst Du machen was Du willst -- aber es sind auch wieder Andere, die hassen Dich und nehmen ein Aergerniß an Dir, die gönnen Dir die Liebe der An- dern nicht, und möchten Dir um jeden Preis Schaden zufügen. Ach, ich kann nicht denken, daß so Etwas gut
ſehen, ſo dachte er auch jetzt nur daran und meinte, ſie wolle ihre Furcht ausſprechen, daß ſie ihn nun wohl bald wieder nicht mehr haben werde — waͤhrend doch viele Muͤtter fuͤr ihr ganzes Leben bei ihren Soͤhnen blieben. Er ſagte deshalb im Voraus troͤſtend: „Nun Mutter, warum quaͤlt Jhr Euch denn eigentlich ſchon? wenn ich auch wieder von hier fort gehe, ich kann ja nun bald und oͤfter zuruͤckkommen, ſeitdem wir die Eiſenbahn hier haben, da iſt’s nun gar keine Entfernung mehr.“
„Ach an die Zeit mag ich gar nicht denken!“ ant- wortete Mutter Eva, „mir iſt das Herz noch von ganz andern Dingen ſchwer! Sieh, Anfangs wie Du nur her- kamſt und ſo zutraulich und herzig mit allen Leuten warſt, da dacht’ ich: der Johannes iſt ein gutes, ſanftes Kind, der kann keiner Fliege etwas zu Leide thun, viel weni- ger denn einem Menſchen, darum muͤſſen ihn auch Alle lieb haben und gut ſein. Nach und nach aber kam es doch anders. Da ſind wohl viele Leute, die moͤchten Dich vor lauter Liebe auf den Haͤnden tragen und wiſ- ſen gar nicht, wie ſie Dir’s genug beweiſen ſollen, mit denen kannſt Du machen was Du willſt — aber es ſind auch wieder Andere, die haſſen Dich und nehmen ein Aergerniß an Dir, die goͤnnen Dir die Liebe der An- dern nicht, und moͤchten Dir um jeden Preis Schaden zufuͤgen. Ach, ich kann nicht denken, daß ſo Etwas gut
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ſehen, ſo dachte er auch jetzt nur daran und meinte, ſie
wolle ihre Furcht ausſprechen, daß ſie ihn nun wohl bald
wieder nicht mehr haben werde — waͤhrend doch viele
Muͤtter fuͤr ihr ganzes Leben bei ihren Soͤhnen blieben.
Er ſagte deshalb im Voraus troͤſtend: „Nun Mutter,
warum quaͤlt Jhr Euch denn eigentlich ſchon? wenn ich
auch wieder von hier fort gehe, ich kann ja nun bald
und oͤfter zuruͤckkommen, ſeitdem wir die Eiſenbahn hier
haben, da iſt’s nun gar keine Entfernung mehr.“
„Ach an die Zeit mag ich gar nicht denken!“ ant-
wortete Mutter Eva, „mir iſt das Herz noch von ganz
andern Dingen ſchwer! Sieh, Anfangs wie Du nur her-
kamſt und ſo zutraulich und herzig mit allen Leuten warſt,
da dacht’ ich: der Johannes iſt ein gutes, ſanftes Kind,
der kann keiner Fliege etwas zu Leide thun, viel weni-
ger denn einem Menſchen, darum muͤſſen ihn auch Alle
lieb haben und gut ſein. Nach und nach aber kam es
doch anders. Da ſind wohl viele Leute, die moͤchten
Dich vor lauter Liebe auf den Haͤnden tragen und wiſ-
ſen gar nicht, wie ſie Dir’s genug beweiſen ſollen, mit
denen kannſt Du machen was Du willſt — aber es
ſind auch wieder Andere, die haſſen Dich und nehmen
ein Aergerniß an Dir, die goͤnnen Dir die Liebe der An-
dern nicht, und moͤchten Dir um jeden Preis Schaden
zufuͤgen. Ach, ich kann nicht denken, daß ſo Etwas gut
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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/263>, abgerufen am 22.11.2024.
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