Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849.

Bild:
<< vorherige Seite

lich war's lange Zeit im Dorfe Sitte gewesen, daß jeder
Bauer vor seine Hausthür Johannistag einen Maien-
baum setzte, den er sich aus den nahen Waldungen geholt.
Aber unser Schulmeister hatte es in der Schule den Kin-
dern auseinander gesetzt, wie sie das sommerliche Fest statt
mit "Maiensetzen" zu verschönern, eigentlich dadurch gerade
entweihten und entheiligten, daß sie junge, schöne Bäume fäll-
ten, die lange Zeit hätten wachsen müssen, eh' sie so groß ge-
worden und die nun mit Eins mitten aus dem frischen
Leben des Sommers herausgeraubt und gemordet würden,
blos um ein paar Stunden einen festlichen Schmuck ab-
zugeben und einem eingebildeten Vergnügen zu dienen. Er
hatte den Kindern geradezu gesagt, es sei "Sünde", die
schönen Bäume umzuhauen -- sie sollten es ja nicht
thun, sondern lieber Blumen suchen -- die blühten dazu,
daß die Menschen sich damit schmückten, und vergängen
auf ihren Stengeln ohnehin fast eben so schnell, als wenn
sie davon gepflückt würden -- sie hätten auch keinen an-
dern Zweck, als den der Freude zu dienen, das sei ihre
Bestimmung. Wie anders sei es dagegen mit den Bir-
ken! Die wären schon viele Jahre mühsam aufgezogen
worden und könnten nun noch viele, viele Jahre wachsen und
groß werden, ehe sie damit fertig würden. Und wie viel
Nutzen gäbe dann nicht so eine groß und alt gewordene
Birke! Erst Jahrelang den Menschen Schatten und

lich war’s lange Zeit im Dorfe Sitte geweſen, daß jeder
Bauer vor ſeine Hausthuͤr Johannistag einen Maien-
baum ſetzte, den er ſich aus den nahen Waldungen geholt.
Aber unſer Schulmeiſter hatte es in der Schule den Kin-
dern auseinander geſetzt, wie ſie das ſommerliche Feſt ſtatt
mit „Maienſetzen“ zu verſchoͤnern, eigentlich dadurch gerade
entweihten und entheiligten, daß ſie junge, ſchoͤne Baͤume faͤll-
ten, die lange Zeit haͤtten wachſen muͤſſen, eh’ ſie ſo groß ge-
worden und die nun mit Eins mitten aus dem friſchen
Leben des Sommers herausgeraubt und gemordet wuͤrden,
blos um ein paar Stunden einen feſtlichen Schmuck ab-
zugeben und einem eingebildeten Vergnuͤgen zu dienen. Er
hatte den Kindern geradezu geſagt, es ſei „Suͤnde“, die
ſchoͤnen Baͤume umzuhauen — ſie ſollten es ja nicht
thun, ſondern lieber Blumen ſuchen — die bluͤhten dazu,
daß die Menſchen ſich damit ſchmuͤckten, und vergaͤngen
auf ihren Stengeln ohnehin faſt eben ſo ſchnell, als wenn
ſie davon gepfluͤckt wuͤrden — ſie haͤtten auch keinen an-
dern Zweck, als den der Freude zu dienen, das ſei ihre
Beſtimmung. Wie anders ſei es dagegen mit den Bir-
ken! Die waͤren ſchon viele Jahre muͤhſam aufgezogen
worden und könnten nun noch viele, viele Jahre wachſen und
groß werden, ehe ſie damit fertig wuͤrden. Und wie viel
Nutzen gaͤbe dann nicht ſo eine groß und alt gewordene
Birke! Erſt Jahrelang den Menſchen Schatten und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0210" n="202"/>
lich war&#x2019;s lange Zeit im Dorfe Sitte gewe&#x017F;en, daß jeder<lb/>
Bauer vor &#x017F;eine Hausthu&#x0364;r Johannistag einen Maien-<lb/>
baum &#x017F;etzte, den er &#x017F;ich aus den nahen Waldungen geholt.<lb/>
Aber un&#x017F;er Schulmei&#x017F;ter hatte es in der Schule den Kin-<lb/>
dern auseinander ge&#x017F;etzt, wie &#x017F;ie das &#x017F;ommerliche Fe&#x017F;t &#x017F;tatt<lb/>
mit &#x201E;Maien&#x017F;etzen&#x201C; zu ver&#x017F;cho&#x0364;nern, eigentlich dadurch gerade<lb/>
entweihten und entheiligten, daß &#x017F;ie junge, &#x017F;cho&#x0364;ne Ba&#x0364;ume fa&#x0364;ll-<lb/>
ten, die lange Zeit ha&#x0364;tten wach&#x017F;en mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, eh&#x2019; &#x017F;ie &#x017F;o groß ge-<lb/>
worden und die nun mit Eins mitten aus dem fri&#x017F;chen<lb/>
Leben des Sommers herausgeraubt und gemordet wu&#x0364;rden,<lb/>
blos um ein paar Stunden einen fe&#x017F;tlichen Schmuck ab-<lb/>
zugeben und einem eingebildeten Vergnu&#x0364;gen zu dienen. Er<lb/>
hatte den Kindern geradezu ge&#x017F;agt, es &#x017F;ei &#x201E;Su&#x0364;nde&#x201C;, die<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;nen Ba&#x0364;ume umzuhauen &#x2014; &#x017F;ie &#x017F;ollten es ja nicht<lb/>
thun, &#x017F;ondern lieber Blumen &#x017F;uchen &#x2014; die blu&#x0364;hten dazu,<lb/>
daß die Men&#x017F;chen &#x017F;ich damit &#x017F;chmu&#x0364;ckten, und verga&#x0364;ngen<lb/>
auf ihren Stengeln ohnehin fa&#x017F;t eben &#x017F;o &#x017F;chnell, als wenn<lb/>
&#x017F;ie davon gepflu&#x0364;ckt wu&#x0364;rden &#x2014; &#x017F;ie ha&#x0364;tten auch keinen an-<lb/>
dern Zweck, als den der Freude zu dienen, das &#x017F;ei ihre<lb/>
Be&#x017F;timmung. Wie anders &#x017F;ei es dagegen mit den Bir-<lb/>
ken! Die wa&#x0364;ren &#x017F;chon viele Jahre mu&#x0364;h&#x017F;am aufgezogen<lb/>
worden und könnten nun noch viele, viele Jahre wach&#x017F;en und<lb/>
groß werden, ehe &#x017F;ie damit fertig wu&#x0364;rden. Und wie viel<lb/>
Nutzen ga&#x0364;be dann nicht &#x017F;o eine groß und alt gewordene<lb/>
Birke! Er&#x017F;t Jahrelang den Men&#x017F;chen Schatten und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[202/0210] lich war’s lange Zeit im Dorfe Sitte geweſen, daß jeder Bauer vor ſeine Hausthuͤr Johannistag einen Maien- baum ſetzte, den er ſich aus den nahen Waldungen geholt. Aber unſer Schulmeiſter hatte es in der Schule den Kin- dern auseinander geſetzt, wie ſie das ſommerliche Feſt ſtatt mit „Maienſetzen“ zu verſchoͤnern, eigentlich dadurch gerade entweihten und entheiligten, daß ſie junge, ſchoͤne Baͤume faͤll- ten, die lange Zeit haͤtten wachſen muͤſſen, eh’ ſie ſo groß ge- worden und die nun mit Eins mitten aus dem friſchen Leben des Sommers herausgeraubt und gemordet wuͤrden, blos um ein paar Stunden einen feſtlichen Schmuck ab- zugeben und einem eingebildeten Vergnuͤgen zu dienen. Er hatte den Kindern geradezu geſagt, es ſei „Suͤnde“, die ſchoͤnen Baͤume umzuhauen — ſie ſollten es ja nicht thun, ſondern lieber Blumen ſuchen — die bluͤhten dazu, daß die Menſchen ſich damit ſchmuͤckten, und vergaͤngen auf ihren Stengeln ohnehin faſt eben ſo ſchnell, als wenn ſie davon gepfluͤckt wuͤrden — ſie haͤtten auch keinen an- dern Zweck, als den der Freude zu dienen, das ſei ihre Beſtimmung. Wie anders ſei es dagegen mit den Bir- ken! Die waͤren ſchon viele Jahre muͤhſam aufgezogen worden und könnten nun noch viele, viele Jahre wachſen und groß werden, ehe ſie damit fertig wuͤrden. Und wie viel Nutzen gaͤbe dann nicht ſo eine groß und alt gewordene Birke! Erſt Jahrelang den Menſchen Schatten und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/210
Zitationshilfe: Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/210>, abgerufen am 03.05.2024.