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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849.

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ner Kindheit noch so freundlich war wie vorher, da er
doch nun ein großer Herr geworden, wie die Leute alle
sagten. Sie bildete sich darauf Etwas ein und eben weil
ihr Herz schon lange nicht mehr frei war, sondern ganz
und gar von dem Schulmeister ausgefüllt, so war sie
ganz unbefangen herzlich gegen Johannes wie dieser es
gegen sie auch war, sie fand das so natürlich und ge-
stattete ihm darum auch mehr Freiheit, als einem andern
Burschen, wie einen Händedruck oder eine heitre Plaude-
rei vor der Hausthür. Wie sie vom Kirchhof kam, hatte
sie sich nicht von ihm anreden lassen, nur weil sie ihm
nicht zu sagen wußte, warum sie so betrübt sei und noch
spät an das Grab gegangen, weil sie gar kein Gerede
davon gemacht hätte. Nun aber, da Christlieb sie gefaßt
hatte, war sie glücklich, daß sie gerade Johannes anrufen
konnte! Hatten doch auch vor ihm die Burschen im
Dorfe am meisten Respekt und hatte er in allen Dingen
eine Art sie so beizulegen, daß weiter kein Zank darum
und daraus wurde; war sie doch gewiß, daß er nicht wei-
ter von dem Vorfall schwatzen werde, wobei sie sich im-
mer hätte schämen müssen, wenn sie auch ganz unschul-
dig dazu gekommen; ihm dankbar zu sein, war ihr ja
auch kein lästiges Gefühl, wie's ihr doch gegen einen frem-
den Burschen gewesen wäre. Und wie sie nun auch unter
seinem Schutz den Christlieb bald los ward, da dachte sie,

ner Kindheit noch ſo freundlich war wie vorher, da er
doch nun ein großer Herr geworden, wie die Leute alle
ſagten. Sie bildete ſich darauf Etwas ein und eben weil
ihr Herz ſchon lange nicht mehr frei war, ſondern ganz
und gar von dem Schulmeiſter ausgefuͤllt, ſo war ſie
ganz unbefangen herzlich gegen Johannes wie dieſer es
gegen ſie auch war, ſie fand das ſo natuͤrlich und ge-
ſtattete ihm darum auch mehr Freiheit, als einem andern
Burſchen, wie einen Haͤndedruck oder eine heitre Plaude-
rei vor der Hausthuͤr. Wie ſie vom Kirchhof kam, hatte
ſie ſich nicht von ihm anreden laſſen, nur weil ſie ihm
nicht zu ſagen wußte, warum ſie ſo betruͤbt ſei und noch
ſpaͤt an das Grab gegangen, weil ſie gar kein Gerede
davon gemacht haͤtte. Nun aber, da Chriſtlieb ſie gefaßt
hatte, war ſie gluͤcklich, daß ſie gerade Johannes anrufen
konnte! Hatten doch auch vor ihm die Burſchen im
Dorfe am meiſten Reſpekt und hatte er in allen Dingen
eine Art ſie ſo beizulegen, daß weiter kein Zank darum
und daraus wurde; war ſie doch gewiß, daß er nicht wei-
ter von dem Vorfall ſchwatzen werde, wobei ſie ſich im-
mer haͤtte ſchaͤmen muͤſſen, wenn ſie auch ganz unſchul-
dig dazu gekommen; ihm dankbar zu ſein, war ihr ja
auch kein laͤſtiges Gefuͤhl, wie’s ihr doch gegen einen frem-
den Burſchen geweſen waͤre. Und wie ſie nun auch unter
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[160/0168] ner Kindheit noch ſo freundlich war wie vorher, da er doch nun ein großer Herr geworden, wie die Leute alle ſagten. Sie bildete ſich darauf Etwas ein und eben weil ihr Herz ſchon lange nicht mehr frei war, ſondern ganz und gar von dem Schulmeiſter ausgefuͤllt, ſo war ſie ganz unbefangen herzlich gegen Johannes wie dieſer es gegen ſie auch war, ſie fand das ſo natuͤrlich und ge- ſtattete ihm darum auch mehr Freiheit, als einem andern Burſchen, wie einen Haͤndedruck oder eine heitre Plaude- rei vor der Hausthuͤr. Wie ſie vom Kirchhof kam, hatte ſie ſich nicht von ihm anreden laſſen, nur weil ſie ihm nicht zu ſagen wußte, warum ſie ſo betruͤbt ſei und noch ſpaͤt an das Grab gegangen, weil ſie gar kein Gerede davon gemacht haͤtte. Nun aber, da Chriſtlieb ſie gefaßt hatte, war ſie gluͤcklich, daß ſie gerade Johannes anrufen konnte! Hatten doch auch vor ihm die Burſchen im Dorfe am meiſten Reſpekt und hatte er in allen Dingen eine Art ſie ſo beizulegen, daß weiter kein Zank darum und daraus wurde; war ſie doch gewiß, daß er nicht wei- ter von dem Vorfall ſchwatzen werde, wobei ſie ſich im- mer haͤtte ſchaͤmen muͤſſen, wenn ſie auch ganz unſchul- dig dazu gekommen; ihm dankbar zu ſein, war ihr ja auch kein laͤſtiges Gefuͤhl, wie’s ihr doch gegen einen frem- den Burſchen geweſen waͤre. Und wie ſie nun auch unter ſeinem Schutz den Chriſtlieb bald los ward, da dachte ſie,

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Zitationshilfe: Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/168>, abgerufen am 26.11.2024.