den Knechten und dergleichen, ist das Lesen immer und ewig eine Arbeit. Man geht aber nicht an die Ar- beit, wenn man nur eben ganz ermüdet von der Arbeit kommt, da will man ausruhen und eine Unterhaltung haben. Sehen Sie diese Leute! mit dem ersten Morgenruf sind sie schon auf und müssen in's Feld hinaus. Dort arbeiten sie fast rastlos den ganzen Tag im Schweiße ihres Angesichts, die heiße Mittagssonne brennt ihnen auf den Schädel, und immer müssen sie sich fortbewegen und unter ihren sengenden Strahlen thätig sein. Was Wunder, wenn dabei nicht nur die körperliche, sondern auch die geistige Kraft ermattet und alle Gedanken vergehen. Wenn sie dann müde und erschöpft nach Hause kommen, dann können sie nicht mehr arbeiten, sondern nur noch genießen. Sie werden dann Keinen ein Buch mehr in die Hand nehmen sehen -- die Augen, die so lange die Sonne ertragen haben, könn- ten kaum die ungewohnten Buchstaben erkennen, die ermüdeten Gedanken würden nicht zu folgen vermögen und die matten Augen schläfrig darüber zufallen. Das Bücherlesen wird für den Landmann nur auf den Sonntag zu verschieben sein, wo er keine andre Arbeit hat, und allenfalls auf die Winterabende, wo die vor- hergehende Arbeit minder anstrengend gewesen ist; nur wenn er noch unermüdet an das Lesen geht, wird er
den Knechten und dergleichen, iſt das Leſen immer und ewig eine Arbeit. Man geht aber nicht an die Ar- beit, wenn man nur eben ganz ermuͤdet von der Arbeit kommt, da will man ausruhen und eine Unterhaltung haben. Sehen Sie dieſe Leute! mit dem erſten Morgenruf ſind ſie ſchon auf und muͤſſen in’s Feld hinaus. Dort arbeiten ſie faſt raſtlos den ganzen Tag im Schweiße ihres Angeſichts, die heiße Mittagsſonne brennt ihnen auf den Schaͤdel, und immer muͤſſen ſie ſich fortbewegen und unter ihren ſengenden Strahlen thaͤtig ſein. Was Wunder, wenn dabei nicht nur die koͤrperliche, ſondern auch die geiſtige Kraft ermattet und alle Gedanken vergehen. Wenn ſie dann muͤde und erſchoͤpft nach Hauſe kommen, dann koͤnnen ſie nicht mehr arbeiten, ſondern nur noch genießen. Sie werden dann Keinen ein Buch mehr in die Hand nehmen ſehen — die Augen, die ſo lange die Sonne ertragen haben, koͤnn- ten kaum die ungewohnten Buchſtaben erkennen, die ermuͤdeten Gedanken wuͤrden nicht zu folgen vermoͤgen und die matten Augen ſchlaͤfrig daruͤber zufallen. Das Buͤcherleſen wird fuͤr den Landmann nur auf den Sonntag zu verſchieben ſein, wo er keine andre Arbeit hat, und allenfalls auf die Winterabende, wo die vor- hergehende Arbeit minder anſtrengend geweſen iſt; nur wenn er noch unermuͤdet an das Leſen geht, wird er
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0110"n="102"/>
den Knechten und dergleichen, iſt das Leſen immer und<lb/>
ewig eine <hirendition="#g">Arbeit.</hi> Man geht aber nicht an die Ar-<lb/>
beit, wenn man nur eben ganz ermuͤdet von der Arbeit<lb/>
kommt, da will man ausruhen und eine Unterhaltung<lb/>
haben. Sehen Sie dieſe Leute! mit dem erſten<lb/>
Morgenruf ſind ſie ſchon auf und muͤſſen in’s Feld<lb/>
hinaus. Dort arbeiten ſie faſt raſtlos den ganzen Tag<lb/>
im Schweiße ihres Angeſichts, die heiße Mittagsſonne<lb/>
brennt ihnen auf den Schaͤdel, und immer muͤſſen ſie<lb/>ſich fortbewegen und unter ihren ſengenden Strahlen<lb/>
thaͤtig ſein. Was Wunder, wenn dabei nicht nur die<lb/>
koͤrperliche, ſondern auch die geiſtige Kraft ermattet und<lb/>
alle Gedanken vergehen. Wenn ſie dann muͤde und<lb/>
erſchoͤpft nach Hauſe kommen, dann koͤnnen ſie nicht<lb/>
mehr arbeiten, ſondern nur noch genießen. Sie werden<lb/>
dann Keinen ein Buch mehr in die Hand nehmen ſehen —<lb/>
die Augen, die ſo lange die Sonne ertragen haben, koͤnn-<lb/>
ten kaum die ungewohnten Buchſtaben erkennen, die<lb/>
ermuͤdeten Gedanken wuͤrden nicht zu folgen vermoͤgen<lb/>
und die matten Augen ſchlaͤfrig daruͤber zufallen. Das<lb/>
Buͤcherleſen wird fuͤr den Landmann nur auf den<lb/>
Sonntag zu verſchieben ſein, wo er keine andre Arbeit<lb/>
hat, und allenfalls auf die Winterabende, wo die vor-<lb/>
hergehende Arbeit minder anſtrengend geweſen iſt; nur<lb/>
wenn er noch unermuͤdet an das Leſen geht, wird er<lb/></p></div></body></text></TEI>
[102/0110]
den Knechten und dergleichen, iſt das Leſen immer und
ewig eine Arbeit. Man geht aber nicht an die Ar-
beit, wenn man nur eben ganz ermuͤdet von der Arbeit
kommt, da will man ausruhen und eine Unterhaltung
haben. Sehen Sie dieſe Leute! mit dem erſten
Morgenruf ſind ſie ſchon auf und muͤſſen in’s Feld
hinaus. Dort arbeiten ſie faſt raſtlos den ganzen Tag
im Schweiße ihres Angeſichts, die heiße Mittagsſonne
brennt ihnen auf den Schaͤdel, und immer muͤſſen ſie
ſich fortbewegen und unter ihren ſengenden Strahlen
thaͤtig ſein. Was Wunder, wenn dabei nicht nur die
koͤrperliche, ſondern auch die geiſtige Kraft ermattet und
alle Gedanken vergehen. Wenn ſie dann muͤde und
erſchoͤpft nach Hauſe kommen, dann koͤnnen ſie nicht
mehr arbeiten, ſondern nur noch genießen. Sie werden
dann Keinen ein Buch mehr in die Hand nehmen ſehen —
die Augen, die ſo lange die Sonne ertragen haben, koͤnn-
ten kaum die ungewohnten Buchſtaben erkennen, die
ermuͤdeten Gedanken wuͤrden nicht zu folgen vermoͤgen
und die matten Augen ſchlaͤfrig daruͤber zufallen. Das
Buͤcherleſen wird fuͤr den Landmann nur auf den
Sonntag zu verſchieben ſein, wo er keine andre Arbeit
hat, und allenfalls auf die Winterabende, wo die vor-
hergehende Arbeit minder anſtrengend geweſen iſt; nur
wenn er noch unermuͤdet an das Leſen geht, wird er
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/110>, abgerufen am 05.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.